Zürch den 7. Jul. 1777.
Ihr Liebster Brief vom 20. Jun. kam nicht von dem kranken Körper sondern von dem muntern geiste. Er sagte mir stark daß Sulzer lebt und nur sein Rok abgenuzt ist. Ich weis nicht wie es kömmt daß mein Rok, den ich ein viertel jahrhundert trug, zwar abgenuzt genug doch noch Regen hält. Doch ich selbst und nicht mein kleid redet izt mit Sulzer. Wir können durch den dienst der feder immer so nahe zueinander kommen wie wenn wir vor einander über sässen, denn wir sähen doch nicht mehr als das bild und hörten nur die töne, die seele sehen und hören wir durch die schrift so richtig wie von den lippen und den Ohren.
Aber was kann ich Ihnen mein Liebster sagen, als was den Wehrt es zu hören von Ihrer Liebe und Güte haben muß. Dünkt es Ihnen der Mühe wehrt zu lesen, daß die Cantons den bund mit dem König geschlossen, der alle Cantons dans une seule et même alliance vereinigen soll? Wir guten Zürcher möchten durch disen ausdruk das elende Bündniß der Catholischen stände von 1715 vereitelt haben. Wir versprechen 6000. freywilligen wenn der König in seinem Reich angegriffen wird; und wir meinen daß dieses uns nicht aus der Neutralität heraus seze.
In unserer Constitution ist enthalten daß in Bündnißhandlungen das reiflich berathschlagete so viel als möglich vor Abschliessung auf die Zünfte solle gebracht werden. Dieses geschah nachdem in Solothurn der bundsbrief von den Cantons (Zürch und Bern ausgenommen) unterzeichnet worden. Die Zünfte glaubten sie wären durch die Verspätung geäffet und ihr votum deliberativum unwürksam gemachet worden. Mißvergnügen, schmähungen entstanden in vollem Masse. Dennoch geschahen die Versammlungen der Zünfte mit der höchsten decence. Sie baten nur mehr Tage zur überlegung, und vornehmlich um Erklärung ob die Notification ihnen nicht sollte geschehen seyn da man die Instruction nach Solothurn gemachet. Die zweyhundert hatten das Herz ihnen beydes abzuschlagen.
Ihr Bürkli, m. liebster, der Eidam unsers directors embarassirte seine Zunftmeister mit Einwendungen, Beweisen, Grundsäzen, die ihn in den Ruf eines genferischen geistes sezeten, der Philosophie in die Politik werfen wollte. Wenn er würklich ein Representant ist oder wird, so sind die Zünfte nichts weniger als Citoiens. Die 200 mögten wohl gerne negatifs werden. Es ist geredet worden, das bündniß sey eine alliance entre Heidegger et Garvier. Der gute Burgermeister hat sich darüber betrübt.
Er ist doch in betrübtern umständen von andrer art. Seit etlichen Wochen muß man den Catheder anwenden ihm den Urin abzuzäpfen. Er war schon mit Retention behaftet als er die Wittwe des Rathshrn Werdmüllers heurathete, der die Stufen des menschlichen Alters geschrieben hat.
Das mißvergnügen hat sich aus der stadt auf das land erstrekt, der Nahme Franzos ist den bauern synonym mit treulos; und Bündniß mit pakt.
Ich weiß nicht wie es kam daß ich unwürdiger es den Häuptern und den Zünften recht machete. Die ersten haben mich citirt als autoritatem, die andern mir gedanket. Ich bin mir doch bewust daß ich den Mantel nicht nach dem Wind gehängt habe.
Wir sind in Verlegenheit, wenn wir einen Bürgermeister wählen müsten. Escher, aus liebe zur Ruh, und Übersehung der schwachen Collegen widert sich den Consulat anzunehmen. –
Der Canton Schwyz weigert sich die Cantons in seinen prätensionen auf den see zu Mittlern, arbitern anzunehmen, ausser mit Vorbedingungen die ihm seine Ansprache sichern.
Dieses alles mag Ihnen m. lieber, ziemlich gleichgültig seyn, ich hoffe, meine person ist es weniger. Meine literarische Haushaltung ist bestellt. Ich habe meine manuscripte fidei committirt. Ich darf Sie nicht bitten daß sie die Briefe die sie von mir haben, zu denselben legen. Ich denke daß ich noch ein paar jahre nach meinem Tod in dem Gedächtniß der leute an der Limmat leben werde. Geßner hat in einer art Capelle meinen buste mit Breitingers und seinem aufgestellt. Die Orellische Buchhandlung hat das Haus zum Elsasser gekauft und will meinen buste in demselben aufstellen, denn sie sieht mich für den stifter an. Ich muß fürchten daß sie das Haus in Bodmerskopf umtaufen, wie wir Shakespeares Head und Mohrenkopf haben.
Mein Vater der Glaubigen ist unter der presse, ich schliesse meine poetische Bahn mit diesem schauspiel. Das stük ist antilavaterisch, und hat doch Lavaters genehmigung. Wenn Sie alle lektur verworfen haben, so haben sie die Charité noch dises zu lesen, und bleiben bey den Irdischen bis ich es Ihnen schiken kann. Der Lavaterianismus gewinnt hier täglich mehr Fuß. Stolz heißt der junge dem Nicolai das siebende Vademecum dedicirt hat. Er war als student mein Verehrer und will es izt noch seyn. Häfeli, Er, und Kaufmann haben das Allerley ausgehekt. Sie predigen auf unsern Kanzeln daß Christus in den Wahren Christen wohne, und die in welchen er wohnt mit Verstand, Logik, philosophie versehe, daß sie Wissenschaften und Weisheit, dise menschlichen thorheiten nicht nöthig haben. Die Weiblein und die Männlein schluchzen, wenn sie dieses hören. Damen von gesundem Verstand werden in wenig Monathen Kopfhängerinnen. Das Dilemma gilt auch vor Häfeli und Stolz, Narr oder Schalk. Steinbrüchel und andere sind für den Schalk. Tobler, der Retter der Bibelehre, izt archidiaconus und Chorherr fürchtet sich sie anzupaken. Heß der Evangelist Jesu, izt diacon zum Frauenmünster befreundet sich mit ihnen. Unsere politischen und geistlichen häupter haben die Nase nicht den Mist zu riechen, oder eine übelverstandene toleranz, wo nicht, Indifference, bindet sie. Lavater sieht in [→]Doctor Runghen Prüfung der Lavaterischen Meinungen nichts als paralogien, Verdrehungen und Gespötte. Gelächter allein würkt noch auf ihn und seine Jünger.
Der Kämmerer von Küßnach ist ganz verlegen ihre mit seinen Meinungen zu concilieren, da es ihm sonst nichts zu schaffen gibt Lavater und Felix Heß, Herder und Breitinger, North und Fränkli, Howe und Wasinghton zu concilieren. Er sieht immer von seiner typik und Homiletik mitleidend auf mich herab. Er hat in seinen scriniis einen brief gefunden, den ich ihm 1718 geschrieben, in welchem ich über seine Typos gelachet. Aus diesem machte er mir den Vorwurf [→]quo semel imbuta est testa servabit odorem.
Ist es mir erlaubt von meiner person auf den Kaiser zu fallen? Er hat den Cantons schreiben lassen, daß sie ihn mit Ehrenbezeugungen verschonen sollen. Vielleicht hätte man ihm in der alten Einfalt den hafer oder höchstens einen Ochsen verehrt. Wir hätten ihn auf den see geführt, da er noch unser ist. Wir hätten ihm unsere seemacht gezeigt, ein neugebautes Admiralschiff, für den Admiral, den wir gemacht haben.
Wenn er nach Zürch kömmt werden die beauxesprits in Dr. Zimmermanns pandæmonium einen bessern geschmak zeigen als Chivot, der den Kaiser zum Mars umgeschaffen, weil er den Revües der königlichen Truppen, und zum Apollo weil er den sessionen der Quarante beygewohnt hat. Einen bessern Geschmak als die Dame, welche durch die Reize der jungen Königin die Lilien verschönert hat. Einen bessern geschmak als:
[→]En subjugeant les coeurs partout où vous passez,
Des princes vos voisins vous usurpez l'empire.
Man hat das sinnbild zu meinem Kopf verworfen: Ein alter Mann am Homerion schlafend, über welchen Tauben Oliven-Mandel-CitronenZweige streuen, Motto
Frugifera texere palumbes fronde.
Man fand es nicht praticable. Auf das Emblema zu Breitingers und meinem kopf, die hintereinander stehen: Ein Rosenstrauch um einen Ölbaum gewunden, Motto,
Unus in his sensus pulcri, sapor unus honesti.
Geßner schlug vor, zween Adler die zusammen nach der sonne fliegen. Sie mein Lieber kennen meine Sittsamkeit, die mich dises für das verwerflichste halten heisst.
Meister hat zween Bände geschrieben: Geschichte der Teutschen Sprache und der Nationalliteratur. Er hat todte und lebende geplündert. Mir auch sind etliche federn aus dem Pfauschwanze gerissen. Ich bin aber so gütig daß ich ihm alle meine Erudition von dem schwäbischen Zeitalter preisgeben wollte, wenn er sie nur unverfälscht lieferte. Es ist das Werk canis festinantis. Doch auch so hat es viel neues für Wieland, Eschenburg, Voß.
Der Nasse sommer hat mich nur ein paar mal an das gestad der Limmat geführt. Die Linden, die pappeln, die Felben dünkten mich Wüste, da ich unter denselben nicht Breitinger im schatten sizen fand. Ich sah die sonne untergehen und folgenden morgen widerkommen. Breitinger kommt nicht wider, wie Zimmermann, Wyß, Zellweger, Künzli nicht widergekommen sind. Waser ist noch da, aber ein abgefaulter Baum ohne saft. Wenn wir beyde auch untergegangen sind, werden wir nicht ursache haben, von den freunden, bey denen wir dann sind, uns zu denen, die wir zurükliessen, herunter zu wünschen. Dafür lasse ich von ganzem herzen den sorgen, der mich und Sie in diesen planeten gesezt hat, der sehr vermuthlich Einer der schlechtesten ist. Der Göttlichen Vorsorge übergeb ich mich und Sie. Mein liebster Sulzer leben Sie ewig wohl.
Ewig.
Ihr Bodmer
Fragen sie mir bey Reinhard dem prediger nach, der hier gewesen. Ihr wakerer professor Engel kann ihnen auch von mir sagen. Ich hatte durch Stosch dem pastor Lange in Laublingen einen brief von mir überbringen lassen. Vermuthlich einem Todten.
[→]Cäsar kam von dem Thron in die hütten der Menschen hernieder
Wie ein gebohrner Mensch mit Menschen Umgang zu pflegen;
Also, bevor Mißtraun, Empörung u. Treubruch den Schöpfer
Von dem Erschaffnen weggewandt, da pflog mit dem Menschen
Gott selbst, oder ein engelischer gast wie freund mit dem freunde
Umgang, gefällig; er saß bey ihm, sie hielten vertraulich
Eine ländliche Mahlzeit. Ihm ward vergönnet den Engel
Ungetadelt zu fragen, mit Freiheit Antwort zu geben.
Cäsar wollte nicht bloß gefürchtet, er wollte geliebt seyn;
Seine Rechte von Bliz entwaffnet, von donner die stimme,
Kam er zu uns; wir sahen sein Antliz hell wie des Himmels
An dem purpurnen Morgen; nicht wie des saturnischen Jovis,
Wenn er ein Volk zu strafen kömmt, das ohne gewissen,
Falsch, mit Meineid, die Schwüre brach, und das Recht verkehrte.
Dann verfinstert der Gott den Tag; bewaffnet mit blizen
Seine Rechte; die Ceder, die Eiche des Walds im Gebirge
Flammen, die glut ergreift die Thürm' und hohen paläste.
Im Julius 1777.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
A Monsieur Soulzer de l'academie royale des sciences Berlin
J. J. Bodmer, Der menschliche Cäsar, Joseph der Zweite. Als er in die Schweiz kam (Handschrift).