Zürch den 18. Feb. 1778.
Izt, mein liebster Sulzer, habe ich sie bey mir nach ihrem himmlischen theile und nach dem irdischen. Jenen haben sie mir vor ein paar jahren in der theorie der W. und K. geschikt, und mit ihm hat mein geist einen täglichen vertraulichen Umgang. Den Körper oder noch etwas mehr, das simulacrum, das ἐιδωλον hab ich von der schöpferischen Hand Hr. Grafen; ich fürchte daß Sie in demselben mehr licht und leben athmen als in ihrem Kerker von Fleisch und Blut. Hr. Escher hat es mir zum beständigen gesellschafter in meinem einsamen Zimmer gegeben. Wenn Sie m. lieber, da gleich keinen laut von sich geben, so versteh ich doch ihre Augen, die mir zuwinken: frange calamos! Tais-toi jean jaques, die Welt ist Göthens, und der Kraftnarren!
Doch, halten sie Wort und leben in die Tage der kommenden frühlingsblumen, so sollen Sie die lezten Töne der Cigale hören, ὀπα λειριοεσσαν; oder lieber des Nestoriden, der drey Alter der poesie gesehen hat, das Gottschedische, das Nicolaische, und das Göthensche; des menschen der die Harfe in der Hand über den grabhügel singet.
Haller ist zu Breitinger, Künzli und Waser gegangen. Das lange leben ist mit der ungelegenheit behaftet, daß ich vor mir hinsterben sehe, die durch ihren Geist und ihr Herz der Menschheit Ehre macheten: Haller hat mich lieb gehabt; seine liebe zu mir war nicht Poesie wie Wielands. Und meine Liebe zu ihm war aufrichtig, eben so aufrichtig wie sie im August 1750 zu dem jüngling war, den Sie zu mir brachten, den ich immer liebe, und mit dem der mir sagt daß er mich nicht hienieder liebet, zanken kann.
In einem Frankfurter Blatt stand jüngst, Klopstok habe die Ode an Bodmer bloß aus Großmuth mit seinen andern Oden gedrukt. –
Ich freue mich meines langen lebens besonders daß es sich bis zu der Vollendung der Messiade, bis zu der Seligmachung des Abbadona erstrekt hat.
Welche wonne für unsern Heß von Neftenbach wenn er sie erlebt hätte! Erinnern sie sich seiner und meiner Ecstase bey der ersten Erscheinung der Messiade? Ich segne das jahr 1750. ungeachtet seiner stürmischen Tage. Klopstok, Kleist, Wieland, Hartman haben in meinem Leben Epoken gemachet. Wenn Sie Hr. Sak sehn, so erinnern Sie ihn an Klopstok den jüngling, und an Bodmer. Ich erinnere mich an Hn Sak wenigstens alle sonntage, wenn meine Baucis, Philemons Baucis, sich eine von seinen predigten vorlesen läst. –
Ich möchte die weltliche gewalt haben Lavatern zu Spalding zu schiken.
Ich umarme Sie
Ihr Bodmer.
Jedermann hier hält Sulzern, des Rectors sohn für den Verfasser der Breloken. Er ist der Cicispeo der Frau, von der briefe in Ihre hände gefallen sind. An diesem Versehen hat unser director Schuldheß einige Schuld. Sie werden es von unserm Bidermann Schuldheß hören. Er war vorige woche bey uns, es war wie die Erscheinung eines Geistes.
Dr. Zimmermann kann gegen die Kraftnarren nicht auftretten, daß Lavater es nicht empfinde.
Nachdem die Deutschen mehr als Milton haben, mehr als Shakespear, so ist es natürlich daß sie auch mehr als Garrik haben müssen, und welcher Dämon wird ihnen verwehren, daß sie nicht Brochmann zu Roscius umschaffen. Haben Sie von dem roi philosophe einen so zärtlichen, patriarchischen Abschied genommen, wie Sipha vom Noah?
Leben sie ewig wohl p
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.