den 20sten. Febr. 1777.
Ich kan den guten Hrn Stosch nicht von uns gehen lassen, ohne daß ich drey Zeilen mit meinem liebsten Sulzer plaudere. An dem rande des lebens werk ich und strebe beständig. Hab ich schmerzen so krümm ich mich ein wenig, ist mir wohl so hüpfet mein geist, da der körper sinket, doch steh ich und gehe noch aufgerichtet genug. Hätte der Tod mich diesen Winter besucht, so hätt er mich die feder in der Hand angetroffen, indem ich ein sujet bearbeitete, welches Lavater bearbeitet hat, die aufopferung Isaaks. Der gute mann der freilich die sclaverey nicht verdient, in der ihn seine Empfindungen so fest halten, hat sich durch diese παρεγχειρησιν nicht beleidigt gehalten, er sagt mir daß mein Abraham gläubiger sey als der seine, meiner sey der sohn eines patriarchen, der seinige eines noch hastigen Jünglings. Ich nehme dises zum Ersaz für den wenigen Dank, den man für seinen guten willen und selbst für gute thaten von den folliculaires bekömmt; und so nehm ich die guten und die bösen tage vorlieb.
Es ist nicht Vorsaz Lavater zu kränken oder zu demüthigen wenn gewisse leute über das überspannte in seinen Empfindungen scherzen. Und wie kan man sie sanfter als mit lachen widerlegen? Aber er selbst macht immer die Mine des Mannes den es nicht kränkt, der verzeihet.
Kennen sie den Mauvillon nicht, in Cassel, der so vieles über staatskunst geschrieben hat? Er ist der Erste deutsche den mein Brutus, Thrasea pätus, Timoleon mir zum freunde gemacht hat. Er liebt mich dafür, wie Brutus mich lieben würde. Es ist ein phænomene, daß doch noch Einer in Deutschland so antidespotisch schreibt. Wenn man ihn fortschreiben läst, so zeigt es bey den despoten reste der menschlichen Empfindungen, oder äusserste Verachtung der sclaven; die man keiner unternehmung fähig hält.
Unser republicanische Iseli thut hingegen ausfälle in seinen Ephemeriden auf die Cassius und Brutus die er mit Damiens in Eine linie stellt.
Wenn sie nicht so viel ursache hätten die producte unsrer neuen scribler ungelesen zu lassen, so wollt ich sie fragen warum [→]der Philosoph für die Welt (Engel) seinen Wiz so sehr krümmet und windet, in Göthens Wehrter und Lessings Emilia Galotti psychologie aufzuspüren. Soll ich Ihnen sagen, daß die briefe des Prinzen von Montenegro, die bigarrures d'un Citoien de Geneve plakereyen sind?
Man sagt, daß Göthen ex professo gegen ihre theorie geschrieben habe. Es ist in der Ordnung daß die antileibnize gegen Sulzern aufstehen.
Ich darf Ihnen nicht ohne Erröthen sagen, daß ich, der jeden Abend für seinen lezten hält Einer derer bin, qui multa et præclara minantur. Wenn sie, wenn ich über den folgenden sommer hinaus von den früchten des feldes leben, so sollen sie sehen, und – tadeln, oder – loben.
Aber, mein liebster, welches politische Meteore, daß unsere Catholischen Cantons so sentimental schreiben! Sehen sie wie anstekend die proüesses von Empfindungen unserer neuen Epochemacher sind; da sie auch die kalten Alpiner erwärmen. Aber es ist nur geschreibe, nur phraseologie, blumenlese, manierter Heroidenseelen. Ihre thaten widerlegen ihre Worte so ungeschikt, daß wir keinen geringern als den lieben Gott zum Bürgen für ihre sentimens annehmen könnten.
Lebte noch der gute doctor Zellweger so wollte ich den Spaß durch ihn veranstalten, daß die Appenzeller in ihrer antwort alle diese heroische Grundmüthigkeiten für ächt und herzig annähmen, oder anzunehmen sich anstelleten, und in dem freundschaftlichen Eidsgenössischen Zutrauen zu dieser Großmuth den nächstfolgenden Tag die Zurükgebung des schönen Rheinthales sich versprächen, welches ihr wahres von ihren tapfern Alten ihnen hinterlassenes Erb ist, dessen Verlust ihnen die unangenehmste Empfindung machen muß, so daß ohne Zurükstellung ihr Herz aller wahren Zuneigung und Eintracht verschlossen ist. Sie wissen, mein lieber, daß die Cantons das land Appenzell um das Rheinthal gebracht haben, weil ein paar hundert Appenzeller den neuen Klosterbau in Roschach gehindert hatten, da der rothe Uli die gebeine der Heiligen Gallus und Othmar von S. Gallen dahin versezen wollen.
Das Bundsgeschäft mit Frankreich hat sich accrochirt, weil die Catholischen Cantons das Restitutionsgeschäft wollten vorhergehen lassen. Sie sehen aber schon, daß es ein stein des anstosses ist, den sie nicht heben können.
Noch ein Hinderniß ist daß Bern in dem französischen Bündniß den antirepublicanischen Bund von 1715 der cathol. orte disertis verbis abgethan haben wollte; welches Frankreich die Ehre Ludwig des XIV nicht zu befleken, nicht gut findet. Wir hier wären zufrieden wenn er durch allgemeine worte zernichtet würde, dises neue Bündniß sollte alle vorigen verschlingen.
Aber mein liebster, sind die theuersten Betheurungen zuverlässiger als pergament und papier, und wer machet sich es zur pflicht, perituræ parcere cartæ? Und wer hat den papier weniger geschont als der Mensch, dem sie es so gütig verzeihen. Lassen sie mich in ihrem Herzen leben und so den Tod meines Breitingers und meinen eigenen Tod überleben. Ich umarme sie.
Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.