Noch lebe ich, mein theürester, und habe das Vergnügen noch genoßen, das Sie durch ihren Brief vom 7 Jul. mir machen wollten. Gegen meine eigene Erwartung hat dieser ziemlich schlechte Sommer mir wieder neüe Kräffte gegeben; Kräffte, nicht nur im Schatten der von mir gepflanzten Bäume zu wandeln, sondern so gar einige Garten Arbeit zu verrichten. Nur zu Arbeiten des Geistes bin ich noch zu träge, und finde ungleich mehr Geschmak daran mich mit Pflanzen und Blumen, als mit Büchern zu beschäfftigen. Ich sehe dieses als eine Würkung des bey mir nicht verlohrnen Instinkts an, da mir ohne Zweifel izt die Arbeit der Hände und die Ergözung der Sinnen zuträglicher ist, als die Beschäfftigung des Geistes. Doch bin ich nicht so gar in das bloß Materielle versunken, daß mir nicht ihre sinnreiche Gedanken über den Besuch, den der Kayser den bescheidenen Republicanern gemacht hat, sehr angenehm gewesen wären. Auch haben Sie mir Lust gemacht ihren Vater der Gläubigen noch zu sehen.
Es ist doch eigen, daß nach dem Lichte, das verschiedene ihrer Lehrer seit des guten Zimmermans Zeiten auf das Catheder und auf die Canzeln gesezt haben, der Fanatismus bey ihnen mehr zu, als abgenommen zu haben scheinet. Indeßen ist diese Art des Fanatismus der unschädlichste; also kann man ihn gehen laßen. Der Gute Lavater scheinet sich vorgesezt zu haben, auch unsern Spalding zu seinem Glauben zu bekehren. Aber es wird ihm nicht gelingen. Doch – ich komme zu weit; ich wollte nur in zwey Worten Ihnen meine Freüde über ihre noch fortdauernde Munterkeit bezeügen und Ihnen sagen, daß auch ich anfange wieder aufzuleben.
Doch noch ein Wort von ihren Briefen. Ich hoffe es sey nicht ihr würkliches Verlangen, daß ich die, die Sie mir geschrieben haben, von mir gebe. Ich wünsche, daß sie in den Händen der meinigen Bleiben. Ich habe sie, bis auf die lezten mit eigener Hand abgeschrieben und in der Copey alles weg gelaßen, das Sie selbst nach meinem Vermuthen, wenn die Briefe in andre Hände kommen sollten, würden unterdrükt haben. p p.
Ich umarme Sie im Geist und bin ewig der Ihrige.
JGSulzer
den 2 August 77.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
An Herrn Profeßor Bodmer