Mein Liebster,
kommen sie diesen Mittwochs mit mir zuzubringen. Aber sagen sie mir zuerst, daß das Fieber sie verlassen hat, und sie munter und vergnügt seyn. Nach dem Coffée gehn wir zu Breitinger, bey ihm sehen wir einen östreichischen Ritter, Hn Riegger, der neulich professor im Jure Civili auf der universität in Freiburg im Breisgou geworden. Er ist ein Anverwandter des prälaten von St. Blasius; ein Autor, er schreibt die Civilistische Bibliothek mit sentimens und Geschmak. Kein Östreicher hat den Geschmak an Poesie noch so richtig gehabt. Er hat die Comödie, die pamela als mutter, geschrieben. Er verdient von den unsrigen zu seyn. Von da gehen wir unsers [→]Theologi Ulrichs disputation de cantu veterum zu hören. Ein vermischtes Gewäsch, das sie lesen sollen u. lachen, dann zu Geßner. Ich geb ihm den Einfall, seinen Abel oder Hudibras in porcellain vorzustellen. Er zeichnet auf porcellain wie in Kupfer. Man redet von dem Göttlichen Meyer von Lucern. Er war auf dem sindicat in Lauis, Ougsburger von Bern war mit ihm, Ougsburger detestirt ihn wegen seiner Venalität. Die Luzerner sind violente leute. Sie haben einen Vogt von Mörischwanden bannisirt, weil er sich geklagt, daß sie seinem Fleken Eingriffe in seine Rechte gethan, und es wahr war. Ihren scharfrichter haben sie weggejagt, weil er die Tochter eines Lucernischen Junkers, obgleich mit Einwilligung des Vaters, geheurathet. Den Vater haben sie aus dem Rath gestossen. Wir fürchten daß wir noch mit ihnen zu schaffen bekommen. Nach Tische gehen die andern nach Rüschlikon die porcellain Fabrik zu sehen. Ich gehe in die Versammlung der Politischen Gerber, unter welchen das problem aufgelöst wird: Da die Reformation des Glaubens so viel übels gestiftet hat, ist sie nicht selbst ein Übel. Abends gehen wir ein Concert zu hören; ein Collegium Musicum von Candidaten wird Ramlers Tod Jesu executiren. Hr Antistes, Probst, bis zum Pedell, mit Frauen und Töchtern, erscheinen da in Galla. Hr. Archidiacon Hirzel findet unvergleichliche gedanken in diesem stük. Jedes bild ist nach ihm ein großer gedanke. Der Antistes lobt die leichtigkeit, und meint jedermann sollte so schreiben, so würde jedermann es verstehen. Die Ohren von A und O lange gestrekt, trunken von Tönen gehen wir nach Haus. Ich gebe Hn Riegger meinen Italus, er mag die Civiljura daran prüfen.
den 18. Septemb. 1765.
Sie haben mir einmal von einem Codice pindari geschrieben, der musicalische noten hat; der Hr. Prälat von St. Blasius, ein sehr gelehrter und sehr rechtschaffener Mann hat ein Werk de musica veterum von großer Erudition in der arbeit, er hat tausend anecdota gesammelt, einige genauere Nachrichten von obigem Codice möchten ihm gute dienste gethan haben.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
pour Mr. Soulzer profess. dans la nouvelle Academie des jeunes gentilshommes à Berlin.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »18 Sept. 65.« – Blatt an Siegelstelle abgerissen.