Ich habe einen artigen, gefühlvollen Brief von der Jgfr. Meisterin, ich sehe daß sie die rechte Person für ihre Haushaltung und für die weibliche Auferziehung ist; wiewol sie aus bescheidenheit fürchtet sie verdiene ihren beifall nicht. Sie hat sich eine Vorstellung von Vollkommenheit einer gouvernante gemacht, die Heloisen und Julies à la Rousseau lieben sollte. Ich glaube nicht, daß Sie ihre Kinder zu Heloisen machen wollen. Ich sehe daß sie das Herz ihrer beyden Töchterchen in ihrer Hand trägt. Die ältere hat mir durch sie eine liebesvolle Erklärung gemacht, die mich hoffen läst, daß sie ausführen werde, was ich mir von der verstorbenen Melissa versprochen hatte: –
– auf mein prachtloses grab Violen und rosen zu streuen.
Die erste Helfte der Noachide machet mich alle tage ungeduldiger nach der andern. Ich bin auf Füßli der sie verzögert hat, böser als ich es mir selbst gern bekenne. Und ihnen mein liebster Freund, bin ich alle tage mehr gut, wenn das möglich ist, daß sie sich der Verlassenen so sehr angenommen haben.
Wie herzlich verlangt mich zu vernehmen daß Wegelin bey Ihnen sey, und wenn er bey Ihnen ist, wie kann er anders als wol seyn?
Heute gehen unsere Helvetier nach Schinznach; es kommen da viele und ansehnliche männer zusammen. Ich fürchte doch ihre geschäfte werden wenig mehrers seyn als Eclat, Bruit, noise. Sie werden den Prinz Louis mehr schäzen wegen seiner Geburt als wegen seiner popularen sitten. Ich halte ihn für den der sich weniger aus seinem geblüt machet als ein Berner. Die Republik Bern hat ihm mit Bals ihre Eitelkeit und die kleine Opinion von ihm verrathen. Er wird nach Zürich kommen und ich schäme mich, wenn wir Ihn nicht besser zu schäzen wissen. Hr. Dr. Haller hat wieder eine Rathsherrnstelle verfehlt.
Sagen sie der Jgfr. M. pag. 121 der Noachide sey ein Vers durch die punctation sehr schlecht geworden:
Schamhaft sahen die mædchen zur Erd' und schwiegen nicht lange.
Ich hätte anständiger gesagt:
Schamhaft sahn die mædchen zur Erd' und schwiegen. Nicht lange,
Erinnern Sie sich wie viel leichtfertige Possen die Tscharner in ihrer Beurtheilung der zwey ersten Gesänge, die 1750 in Leipzig gedrukt worden, gesagt haben? Die Jgfr. M. muß mich bey andern Frauenzimmer vertheidigen, die sich ärgern möchten daß die Siphaitinnen so fertig sind den ersten Tag die jünglinge zu sehn, und mit ihnen zu Bette zu gehn.
Sie hat in ihrer Vaterstadt so viel Freunde und Freundinnen von der besten Art verlassen, daß man es ihr verzeihet, wenn sie die neuen Freundschaften sich weniger schenken läst, und eine sehnsucht, die Heimweh scheint, nach jenen hat.
Evangelisch Glarus hat zween von ihren Häuptern nach Solothurn gesandt, zu fragen ob seit 1722 friedensgelder bezahlt worden, weil sie argwohnen die Herren haben sie empfangen und unterschlagen. Die Wahrheit ist daß Frankreich weder ihnen noch uns FriedensGelder schuldig ist.
Unterwalden unter dem Wald hat auf seiner Landsgemeinde die ganze Capitulation abrogirt, welche ihre gesandten vorigen sommer, von der Landsgemeinde autorisirt, in Solothurn geschlossen. Zugleich ward erkannt alle Bündniß mit Frankreich aufzuheben.
Wir sind gerad izt in den Tagen der Landsversammlungen und erwarten mit verlangen und furcht die Entschliessungen der andern popularen cantons. Vorausgesezt, daß viel weisheit bey den aristocratischen staaten sey, so würde ich Ihnen rathen, daß sie von ihren Einsichten und ihrem patriotisme den Democratien und ihren Demagogen etwas mittheilen sollten.
Ich versäume keine gelegenheit mit Ihnen zu schwazen. Vor zween tagen habe ich Hn Director einen Pak für sie gegeben, den sie durch die fuhr bekommen sollen.
Wir haben hier Prediger die so viel aus dem glauben machen daß er bald ein so bewährtes Mittel wird die geschehnen und die künftigen sünden zu tilgen wie der Ablaß Leo des Zehnten, man giebt ihm eine magische Kraft. Die Wunden und Bluttheologie hat vornehme Gönner unter den Geistlichen. Bald [→]werden sie Socin zu leid Herrnhuter, und sezen den sohn über den Vater.
Hudibras ist noch nicht aus den Händen der Censur, und wird doch auf der messe in Leipzig durch ganz Deutschland zerstreut. Ich umarme sie.
Ihr Ergebenst. Bo.
den 19. Maj 1765
Der wakere Pfarrer Schinz von Herbishofen wünschte herzlich, nachricht einzunehmen ob ein gewisser Carl ⟨Pocher⟩ von Erbishofen noch existirt. Er stand 1750 unter Graf von Finkenstein Dragonerregiment. Im Februar 1760. war er in des Prinzen von Preußen Husarenregiment; und damals zu Neustadt bey Scharfenberg sehr krank.
Unser liebe Chorherr Geßner ist sehr krank, doch sagt man ihn seit gestern wieder besser
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
pour Monsr. le Professeur Soulzer.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »19 May 65.«