Mein theuerster Freund.
Ich hatte verschieben wollen ihnen die verlangten bücher zu schiken bis sie mir schrieben daß sie Muße hätten die lectur derselben ohne Anstand vorzunehmen. Da izt Hr. Sulzer mir sagt, daß sie darnach gefragt haben will ich sie Ihnen in den nächsten tagen zufertigen. Unsere Vorsteher, die wir partem sanctiorem senatus betiteln, haben nicht gut gefunden den Antrag des marquis d’Entraigue dem großen Rath, der in ihren Augen eine Landsgemeind ist mitzutheilen. Ich wollte doch gern die gesichter sehen, wenn der K. in P. einen gleichmäßigen Vertrag thun ließe. Vorigen Mittwochs haben wir einen debat vor den CC gehabt, ob wir das große Hoffartsmandat wieder so wie es ist wollten verlesen laßen, oder ob wirs zuerst revidiren wollten. Ward erkannt es sollte eine Comission von 6. Herren die Revision vornehmen und gelegentlich wider vor congreßen bringen, indeßen sollte das alte Mandat verlesen werden. Die Hh. commissirten haben insbesondere befehl Mitteln nachzudenken, wie die Handhabe od. Execution erleichtert werden könne.
Die guten herren meinen an einen ort zu gehen seÿ genug daß man füße habe, sie wissen nicht daß zuerst der Willen dahin zu gehen da seÿn müße, und daß es auch nichts hilft wenn man die füße bewegt aber ordine inverso. Ich wollte den für einen genie und patrioten verehren, der mir Instituta erfände, die Vanitæt, die sich aus kostbaren Babiolen Verdienste machet, aus den gemüthern auszureuten und sentimens de frugalité, Moderation, Egalité, dafür einzupflanzen. Ich halte nichts auf die Tugenden, die durch penalmandate erzeugt werden. Gewiß haben die civilmandate keine kraft das gemüth zu beßern. Aber man will nur die Ausbrüche, die groben Ausbrüche, hemmen. Das wird so kommen wie wenn ein Arzt die Exanthemata zurüktreibt, daß sie an einem andern ort, vielleicht in einer andern gestalt ausbrechen oder noch gefährlicher im geblüt bleiben.
Nichtsdestoweniger ist ein obgleich schwacher Effort noch ein gutes Zeichen. Es sind noch allezeit männer die es gut meinen und gut wünschen bisweilen auch einen Versuch thun. Winterthur und Zürich, in ihrer proportion genommen, sind die triebe zur verbeßerung und die anlagen dazu bey uns größer als bey ihnen. Der luxe ist für ihre umstände größer als bey uns, und die bemühungen ihm entgegen schwächer. Ich bin mittwochs in einer gesellschaft junger leute, die alle unter 20. sind gewesen, wo ich sentimens von Mäßigung, von sobrieté, von Ordnung ... gehört habe, die nicht nur auf den lippen gewesen, oder stüke der Imagination und der Eloquenz waren. Man hätte sie dürfen vor großem und kleinem Rath vortragen, und es wären da fremde Maximen gewesen. Wenn diese junge Menschen mit dieser denkensart zur Regierung kommen, so muß Winterthur desto mehr sicherheit beÿ seinen Rechten bekommen, wenn es gleich an seinem ort dazu weniger beÿträgt. Ich entdeke viel feuer und Eifer beÿ ihren rathspersonen so oft es ihr familie händel und eigenes Interesse betrift, aber desto mehr trägheit und arbeitscheue, wenn es die formirung der jugend zu guten maximen, oder die lenkung des Rathes zu einer ihm ungewöhnlichen politik angehet. Selbst die genies, die eine superiorität über die kleinen geister haben, scheinen nicht zu merken mit welchem vortheil sie sich dieser verstandesüberlegenheit bedienen könnten; sie fürchten Staatsmärterer zu werden. Aber alle patrioten sind gewißermaßen staatsopfer geworden. Man sagt nicht umsonst daß ein solcher sich dem staat aufopfere. Unsere großen patrioten sind nur gute leute, die die Regierung so wie sie sie finden, tant bien que mal fortführen. Es sind löter, beker und hafenfliker, – Ich weis wol daß in einer versammlung von schwachen köpfen der philosoph und der patriot die hiboux sind – aber wenn doch der führer und der haupt philosoph und patriot und Demosthenes ist, so wollte ich ihm versprechen daß er alle seine Miträthe zu hiboux od. zulezt zu etwas beßerm umbilden könnte. Er müste aber gute lunge haben und alle Rathstage predigen, wie ein professor.
Aber das sind sachen, die ich eben nicht einem mann schreiben sollte, der sie beßer weiß als ich, ich schreibe sie aber nicht ihnen allein, und ich habe lieber so viel vergeblich schreiben wollen als nicht schreiben. Indem ich an Sie schreibe, bin ich vor ihrer stirn, und das ist mir allemal ein vergnügen, das ich nur habe, wenn ich an die rechtschaffensten und meine liebsten und würdigsten schreibe. Empfehlen sie mich unsern dasigen großen freunden.
Bo.
d. 19 Novemb. 1762
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »19 Nov. 62.«