Mein theurester Freund.
Ihr Zweites schreiben hat mich von dem vergnügen Sie bald zu umarmen, um etliche wochen zurükgeschlagen. Noch mißgönne ich den freunden in Bern, die Sie indessen genießen sollen, diese zärtlichen stunden nicht, zumal, wenn diese freunde Tscharner, Tschifeli, Fellenberg sind. Auch ist der Hr. von Bonstetten, Hr. Tscharners Schwähervater, der neulich auf dem Tag zu Frauenfeld als Zweiter Gesandter gewesen, ein verdienstvoller Mann, den ich vor vilen andern bewundere und hochschäze und liebe.
Erst den Tag vor demjenigen, an welchem ich ihr ersteres aus Basel empfangen, war ich mit H. Breitinger aus Winterthur zurük gekommen. Welche freundschaftliche bewegungen, wenn sie uns bey ihren und unsern besten freunden in Winterthur überraschet hätten! Doch die Wallungen werden so noch heftig genug seyn. Ich halte mich bereit mit ihnen über Literatur und Critik; Nicolai und Gellius; Gleim und Weisen, Noah und Noachide, Tullius Cicero und Melchthal zu reden und zu plaudern. Die beyden leztern stücke sind ihnen noch unbekannt und ich habe noch mehr andere sachen im Vorrath, womit ich sie in den langen Winternächten, wenn die ersten ecstatischen Regungen sanfter fliessen werden, zu beschäftigen gedenke.
In Bern werden sie nicht weit von diesem außerordentlichen manne, Jean Jaques Rousseau, seyn. Sein Emile und sein Contract social haben einige wenige von uns zu moralischen und politischen Wahrheiten verführet, die wir so lebhaft nicht eingesehen hatten. Kein Wunder, daß die societätischen, universitätischen, Männer von Basel und dem grösten Theil der übrigen Welt wenig aus ihm machen! Was müsten sie aus sich selbst machen? Aber der Conseil de Geneve, der mit Emile [→]den Zweiten Tom von Servet publicirt hat! Wer hätte nicht erwartet, daß ein solcher Citoien ihn höflicher, wo nicht bedachtsamer gegen Jean Jaques gemachet haben sollte? Die Regierung von Bern war politer, aber nicht erleuchteter. Gewiß hat der wakere mann sich mehr an dem staat als an der Religion versündiget. Die Holländer haben Baile tausend sottises gegen den glauben verziehen, dem Rousseau haben sie paradoxa, die leider! unerkannte Wahrheiten sind, nicht übersehen. Ich denke, daß man sich mit diesen Verdammnissen um Frankreich hat verdient machen wollen.
Wir denken hier nicht so groß von Peter dem III. daß wir ihn nicht Jean Jaques in parallele stellen könnten. Welch Unglük, wenn eine außerordentliche Erhabenheit der seele ihn gestürzet hat! Das wäre trauriger als wenn Etourderie, Wildigkeit, debauches, ihn unter seine Gemahlin hinabgesezt haben. Es ist doch seltsam daß diese frau sich zu scheuen scheint, ihn ihren Gemahl zu nennen. Sie hat in seiner tödtlichen Colik, die sie sich bemühet glaubwürdig zu machen, die sorgfalten bezeiget, die sie den Menschen, und dem Gemahl nicht so sehr, schuldig seyn will. Wir meinen data zu haben, daß die Gedanken der Czaarin, wiewol noch verdekt, so sind, wie wir sie wünschen.
Wenn der König den contract social sich gefallen läst, so will ich ihn für größer erkennen, als alle seine siege ihn gezeigt haben. Thu ich ihm unrecht, wenn ich ihn in diesem Punkt so schwach zu seyn glaube, als den besten von seinen Confreres en royauté? Kann man ein König seyn, und das volck für den souverain, und die Citoiens für participans à l'autorité souveraine, und die volonté generale für heiliger halten, als des Regenten? Kann man das droit du plus fort für einen Wiederspruch halten, und sich nicht damit behelfen?
Ihre Gegenwart in Winterthur kommt zur gelegenen Zeit, weil ihre freunde da gleich izt in einer kleinen Gährung sind, seitdem ihnen wegen der beleidigungen von dem schlimmen Feldheimer eine so geringhaltige Satisfaction geschehen ist. Die wakern Männer können sich darüber aufhalten daß die sachen in diesem societätischen Wirbel nicht allemal die ordnung halten, die sie sich davon aus einem gütigen, sehr indulgenten betrug versprochen. Vermuthlich haben sie in ihrer vaterstadt noch keine ausnahmen von Ordnung, Formalität und Geradigkeit gehabt. Ich hoffe sie werden mir helfen unsern freunden maximen zu empfehlen, die ohne basesse gebraucht werden, und dienen können sie vor dergleichen tracas sicher zu stellen. Im übrigen sind alle unsre freunde munter und lebhaft, ich selbst trage den Rücken nicht viel gekrümmter, als sie mich ihn in Klopstoks Tagen (eine merkwürdige Aera) krümmen gesehen haben, wiewol ich schon damals gesungen:
[→]Mir ist das funfzigste Jahr auf meinem rücken geseßen.
Neulich habe ich in des Cicero diebus emortualibus ætatis den Tod dieses nicht genug geschäzten Republikaners in einem drama gefeiert; aber diese 64 jahre und mehr noch die 67. jahre meiner Liebsten, machen mich und sie untüchtig Ihnen mein dach und meinen herd zu anerbieten, ohne daß ich uns, und Sie noch mehr als uns, genieren würde. Wir sind so einsam, so verlaßen, wie es einem alten paar zufällt, das ohne söhn und töchter und fast ohne bedienten lebet. Ohne bedienten sind wir selbst nur desto weniger Knechte. Nichtsdestoweniger werde ich sie täglich zu genießen mittel und wege finden. Ihr Hr. Neveu siehet ihnen mit sehnsucht entgegen. Die nachricht von ihrer Annäherung hat bey allen ihren bekannten einen fröhlichen lerm verursacht, und selbst andere, von welchen sie kaum gehört haben, machen sich ein vorräthliches vergnügen ihren geschäzten Sulzer mit leiblichen Augen zu sehen. Wir werden Rath halten müßen, wie wir verhüten wollen, daß sie von besuchen nicht vielmehr verfolget als geehret werden. Ich bin versichert daß es ihnen wenig mühe kosten wird Hr. Chorhr. Geßner zu überzeugen, daß ihre zärtliche Achtung für ihn nicht abgenommen hat, wiewol Sie ihm davon nicht nöthig gefunden haben viel schriftliche Urkunden vorzulegen. Selbst der alte Doctor von Trogen würde in ihre Arme laufen, wenn die füße ihn noch trügen, wie sie ihn getragen haben als er mich vor zwanzig jahren über Berg und Tobel und Waldwaßer führete, eine schüßel Molken zum morgentrank einzunehmen. Ich habe ihm Ihre Erscheinung schon angekündigt und Wegelin verdient auch daß er sie wisse. Seine gespräche religioser personen vom Clero, und seine Abhandlung von den Gesezen des Lycurgus haben eigene Verdienste von Wahrheiten, die nicht alltäglich sind, wie wol sie im Ausdruck etwas schweeres und affektirtes haben.
Ich wollte was schönes geben, daß sie dem Gellius in Leipzig hätten sprechen können. Er hat Wiz und muth übrig den literaturbriefstellern ihre wahrheiten zu sagen. Aber seine Anecdota aus der empyrischen Welt, und seine Abneigung gegen die beste Welt? Er gehöret zu Sembek.
Von Bonstetten und Tscharner waren große Gönner von Wieland; Mle. Bondeli, zu der Frau Hallerin sie führen wird, war ihm in Bern, was die Frau Amtmannin Grebel ihm in Zürich war. Aber Bondeli ist eine geistreiche, denkende, Dame. Sie werden ihnen von seinem gegenwärtigen Zustande mehr anecdota zu sagen wissen, als uns bekannt sind. Er hat sich in Bern gezeiget, wie man ihn in Zürich gefunden hat. Sie sind gütig gewesen, daß sie meinem brief an Klopstok seinen lauff gegeben haben. Er hat weit herum giriren müßen, bis er nach Hamburg gekommen. Ich habe mich mehrmals bemühet, die scintillas in H. Kl. Herzen aufzufächeln, die in solchen empfindlichen Herzen, für die er das seine giebt, bey der geringsten gelegenheit, von einem strohalm in flammen gerathen sollten. Aber es ist mir noch nicht nach meinem Wunsche mit ihm gelungen. Fragen sie Tscharnern, ob sie in Bern ein trauerspiel vom Tullius Cicero in verlag nehmen würden? Ich umarme sie voller sehnsucht nach einer würklichen umarmung.
Ihr ergebenster
Bo.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »Aug. Sept. 62.«