Brief von Juli 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: Juli 1757

Mein wehrtester Herr professor.

Hiermit kommen die gedichte der deutschen poeten wieder zurük, die Hr. von Arnimb gewürdiget hat zusammenzutragen. Es ist sehr mittelmässige Wahr, und man muß nicht sehr delicate seyn und grosse geduld besizen, wenn man dergleichen sachen mit einiger lust abschreiben kan. Ich habe sie mit mühe gelesen.

Ich habe ein Päckgen an Hrn. Secretar Möser in Oßnabrück hinzugeleget. Er hat vor einigen jahren eine Epopöe in der alten schwäbischen sprache von dem heiligen Georg durch subscription publiciren wollen, das vornehmen ist aber in steken gerathen, weil er nicht genug gönner gefunden. Ich schike ihm eine Chriemhilde, weil ich aus einigen proben gesehen daß er die Sprache des 13ten jahrh. gut genug verstehet. Er hat sonst auch ein trauerspiel, Arminius, publicirt, welches aber einen schwachen Genie und kleinen poeten verrathen hat. Der weg zu ihm über Berlin ist der weitere, aber bey disen kriegerischen Zeiten der sicherere. Da die sache nicht pressirt, so warten sie mein wehrtester auf irgends eine Gelegenheit das Päkgen nach Oßnabrück zu befödern.

Ich überlasse Orellen Ihnen Chriemhilden zuzufertigen, er wird es nicht verabsäumen, weil sein Interesse damit verbunden ist. Leben sie vergnügt.

Ihr Ergebenster Dr.
Bodmer

Im Julius 1757.

p. s. Ich hätte schier vergessen Ihnen die Abschriften der beyden gedichte, der Larve und des banketes, bey dieser gelegenheit wieder zuzufertigen. Ich hoffe sie haben durch das Unglück, das ihnen begegnet ist, vielmehr gewonnen als verlohren. Ich gebe sie in ihre gewalt; Tuo judicio stabunt aut cadent: Doch meine ich daß sie wol verdienen zu leben; nur daß man das, was man von ihrem autor weiß, nicht verrathe.

Beilage: Eingeschlossener Brief an Justus Möser

Kaum hat es jemand für ein grösseres unglük gehalten daß Ew. HochEdelg. Vornehmen den H. Georg zu publiciren in stecken gerathen, als ich gethan habe. Dieses werk war in so geschikte hände gefallen; sie gaben uns so starke ursachen eine getreue, mit Einsicht und sorgfalt gemachte ausgabe zu bekommen, daß ich es den Kaltsinnigen, die ihr Vorhaben nicht unterstüzet haben, nicht verzeihen kan. Wo war die menge der Deutschen Gesellschaften, die sich so viel aus dem alterthum ihrer sprache machen; die ihr aufzuhelfen solche grosse Innungen mit solchen Zurüstungen aufrichten? Ich habe für mich einen eignen grund diese alten denkmäler an das licht hervorzuziehen. Es ist mir lieb die deutschen in einem Zeitpuncte in welchem man sie so tief unter unsern Zeiten hinunter sezet, in ihrer wahren Denkungsart und Geistesart, in ihrem täglichen Umgange – kennen zu lernen.

Ich bin an meinem Orte ziemlich glüklich gewesen meinen landesleuten eine begierde nach diesen alten Resten des deutschen Wizes beyzubringen. Sie haben gönner gefunden die mich in den stand gesezet haben die Fabeln; die rache; und die Klage, zu publiciren; diesen soll in kurzer Zeit der manessische Codex nachfolgen. Selbiger soll aber in einem ansehnlichen Format erscheinen. Man hat mit dem kleinen Formate jener Gedichte die Kosten erleichtern wollen; und ich dächte daß die 6000. Verse von dem Ritter Georg in einem solchen noch wol einen Verleger finden sollten. Wir müssen unsern deutschen zuerst durch ausgesuchte Proben einen Geschmak an den dichtern aus dem schwäbischen Kaiserthum beybringen; wenn diese die Geschmack davon finden, sich vermehren, so werden sich bald mehr verleger finden.

In der Rathsbibliothek von Brämen liegt des von Gravenberg Wigalois unter dem Goldastischen Nachlasse. Das gedicht ist aus dem provenzalischen und hat verdienste die durch den druk gerettet werden sollten. Wenn man diese Alterthümer nicht durch die presse gemein machen kan, so ist doch gut daß man sie durch Copien einen schritt weiter von ihrem Untergang zurükziehe. Vielleicht thun künftig unsere nachkommen was uns so schwer gemachet wird.

In Sachsen Gotha ligt Veldegs Eneas, nichts wäre nüzlicher für die alte sprache als eine ausgabe davon. Veldeg hatte den umgang mit der grossen welt und war Eschilbachs vorgänger. Es dünkt mich der betrachtungen eines critischen Kopfes nicht unwürdig die veränderungen, die Veldeg mit der Virgilischen Aeneis vorgenommen hat, nachzuspüren. Hr. professor Gottsched hat eine Abschrift davon genommen, und ich wünschte, daß er nicht lange mehr säumte sie unter die Presse zu legen. Wenn sie etwas auf ihn vermögen, so befödern sie dieses gute werk.

Ich habe die Ehre mit vieler Hochachtung zu verbleiben

Ew. HochEdelgebohren
Ergebenster und gehorsam. Dr.
Johann Jacob Bodmer
professor der helvetischen geschichte p.

Zürich in der Schweiz
den Julius 1757

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Büchersendung und Brief an Justus Möser.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: » Jul. 57.«

Eigenhändige Korrekturen

dichtern aus dem schwäbischen Kaiserthum
dichtern ⌈ausdes |dem| schwäbischen Kaiserthums

Stellenkommentar

vor einigen jahren
Vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1749-07-26.html.
ein trauerspiel
Justus Mösers 1750 publiziertes Trauerspiel Arminius.
des von Gravenberg Wigalois
Der Bremer Kodex des Epos Wigalois des mittelfränkischen Dichters Wirnt von Grafenberg (SUUB, msb 0042) ist auf 1356 datiert und stellt die zweitfrüheste Überlieferung des Werkes dar. Der Textumfang beläuft sich auf über 10.000 Verse.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann