Brief vom 1. Juli 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 1. Juli 1757

Mein theuerster Hr. professor.

Wiewol Dr. Hirzel in einer intimen freundschaft mit Hr. Hofrath Stahl stehet, da er aber diselbe nicht unterhalten, und sie lediglich in sein herz eingeschlossen hat, so hat er geglaubet, daß er einen Mittler von nöthen hätte, der seinen brief an diesen Herren übergäbe. Ich versichere mich daß sie diese mühe um meinetwillen und schon um der sache selbst willen gern übernehmen. Wir suchen einen menschen der hiesige Apotheck, Schuldheß zum Hammerstein, dirigieren könne. Die Wittwe Hrn. Dr. Schuldheß, die jüngst auch ihren sohn, der die handlung providirte, verlohren hat, ist eine sehr wakere Dame, die verdient, daß man ihrer sich in diesen traurigen umständen annehme. Was für eine person man fodert, und was für verrichtungen man fodert, ist in einem blatt des briefes an Hn Hofrath genugsam gemeldet. Ich supponire, daß Er ihnen dasselbe zeigen werde. Die Conditionen wird man so machen, wie ein wakrer Mann sie nur verlangen darf. Ich attestiere Ihnen den ganzen Inhalt des briefes, sie dürfen mit sicherheit darauf bauen. Wenn der Hr. Hofrath einen stimulum nöthig hat, so geben sie ihm denselben, sie thun ein werk der Liebe und der Rechtschaffenheit. Ich fürchte die gröste schwierigkeit werde seyn, einen solchen provisorem oder directorem zu finden; wenn aber einer gefunden ist, so wenden sie doch alle ihre Beredtsamkeit an, ihm den aufenthalt in Zürch angenehm vorzustellen.

Wir sind einige tage her von den östereichischen gazettiers stark erschüttert worden, die uns auf ihre Ehre unter großem Triumph und te deum bezeuget haben, Bevern sey totaliter geschlagen, der König selbst sey bey der Action gewesen, Prag sey entschüttet, man wisse nicht wo der K. sey, die Resten seiner armee seyn zurück nach schlesien gegangen. Dagegen halfen unsere unglaubigen raisonments nichts. Gerade izt bringt man uns ganz andere unvergleichliche und so erwünschte nachrichten, daß wir sie ebendeßwegen nicht glauben dürfen, der König habe Prag nur par stratageme verlassen, die garnison heraus zu loken, Daun sey auch das Haupt geschlagen, Keit habe sich Prages bemächtiget. Also stehet man inter spem metumque. Der affeckt unserer leute für den K. ist ganz feurig.

Die schlimmen nachrichten kommen von allen seiten, man zwingt uns bald ihnen zu glauben. Tout cela me fait mal au Cœur.

Ich muß darum schliessen.

Ihr Ergebenst. Dr.
Bo–r.

den 1. Jul. 1757

Ihren brief vom 21 beantworte nächst; raptiss. titubante calamo.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Eigenhändige Korrekturen

unterhalten, und sie
unterhalten hat, und sie

Stellenkommentar

Hr. Hofrath Stahl
Georg Ernst Stahl, bei dem sich Hirzel 1747 in Potsdam aufgehalten hatte.
Wittwe Hrn. Dr. Schuldheß
Anna Schulthess, geborene von Muralt, seit 1753 verwitwet. Ihr Mann war der 1727 in Halle promovierte Doktor Hans Jakob Schulthess. Der gleichnamige Sohn verstarb im Jahre 1757 (Leu Lexicon , Suppl.-Bd. 5, S. 445).
östereichischen gazettiers stark erschüttert
Vgl. dazu Brodrück Quellenstücke und Studien über den Feldzug der Reichsarmee von 1757 1859.
inter spem metumque
Übers.: »zwischen Furcht und Hoffnung«.
Tout cela me fait mal au Cœur
Übers.: »All das tut mir im Herzen weh«.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann