Brief vom 12. Juli 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 12. Juli 1757

Werthester Herr und Freünd.

Gestern, als ich ihren Brief mit dem Einschluß an Hrn. Hofr. Stahl bekam, dachte ich eben daran Ihnen zu schreiben, um Ihnen von dem, was seit dem 18 des vorigen Monats in Böhmen und andern Orten sich zugetragen hat, einige wahrhafte Nachrichten zu geben. Denn ich zweifle nicht, daß das Gerüchte Ihnen nicht sollte ungeheüere Sachen, verkündiget haben. Dasjenige, was wir hier in auswärtigen Zeitungen lesen ist schon förchterlich genug; aber die Nachrichten von ungenannten Quellen, dergleichen Sie vermuthlich auch bekommen haben, sind so ungeheüer, daß man sich in die Fabelhaften Zeiten versezt glaubet. Ich will Ihnen, mein werther Freünd, wahre Nachrichten geben, die ich aus den ersten und reinesten Quellen geschöpft habe.

Es ist allerdings wahr, daß dem König der Anschlag den FeldM. Daun mit seiner Armee aus Böhmen zu vertreiben mißlungen ist. Die Unternehmung des Königs war sehr kühn, und so groß, daß sein Ruhm unvergleichlich gewesen wäre, wenn sie glüklich wäre vollzogen worden. Der Sieg war auch meist in den Händen unsrer Armee, die mit unglaublicher Tapferkeit die Feinde hinter ihren Hügeln und Batterien weg getrieben hatte. Der große Verlust den die unsrigen erlitten hatten, machte Lüken, die schweere Cavallerie sollte das Fußvolk theils unterstüzen, theils den Feind von der Seite abhalten. Eine Fatalität deren Ursprung noch unbekannt ist, wollte, daß diese ihre Pflicht gar nicht that. Verschiedene Regimenter blieben stehen, obgleich der König sich an die Spize sezte um sie anzuführen. Die Feinde, welche schon von 2 Höhen weggetrieben waren, und die Schlacht so gewiß verlohren hielten, daß sie ihre Canonen selbst vernagelt und stehen laßen, bekamen wieder einigen Muth, da sie das schlechte Betragen eines Theils unsrer Cavallerie bemerkten. Sie machten Wiederhalt, um den weitern Angriff unsrer Infanterie zuverhintern. Mittlerweile brach ihre Ungarische Cavallerie in unsern einen flügel ein, und that viel Schaden, bis daß zwey von unsern Husaren Regimentern nebst einem Regim. Dragoner auf diese Feinde einbrachen, den größten Theil davon niederhaute und den rest zur Flucht brachten. Dieses alles geschah auf dem Flügel, den der König in Person commandirte. Der rechte Flügel unter Anführung des Herzogs von Bevern that noch mehr. Er schlug den Feind würklich, verfolgte ihn über 3000 Schritte, eroberte Canonen und andre Siegeszeichen. Während diesem Sieg ließ der König, welcher mit seinem Flügel noch immer auf dem zum theil eroberten Wahlplaz gegen die dritte feindliche Linie stuhnde, von der Schlacht ab. Vermuthlich aus Unmuth und Verwirrung über das ungewöhnliche und unerhörte Betragen der schweeren Reüterey, und auch zum theil, weil er schwerlich hofft, bey diesen Umständen die dritte Linie noch zu bezwingen. Die Ordre zum Abmarsch wurde gegeben, und dieser Flügel zog sich zurüke, ohne daß die Oesterreichische Infanterie von ihren Höhen herunter kam. Der König verließ also in seinem Unmuth das Schlachtfeld, welches der Herzog v. Bevern seinerseits behalten, und auf welchem er sein Lager würklich aufgeschlagen. Des folgenden Tages aber, zog er sich ebenfalls zu dem Königlichen flügel zurüke. Dieses sind die wahren Umstande dieser blutigen Schlacht. Wir haben dabey sehr wenig Cavallerie, aber sehr viel Fußvolk verlohren, deren Anzahl sich wol auf 6 tausend erstreken kann. Die Feinde müßen mehr verlohren haben. Ein gewißer Oberster von meiner Bekanntschaft, ein vernunftiger und wahrhafter Man, schreibt, daß sie mehr als tausend Schritte über feindliche Leichen fortgerüket, und daß unsre Leichte Cavallerie mehr als 3 tausend feindliche Reüter niedergehauen haben. Übrigens ists wahr, daß die Feinde von uns Canonen und Fahnen erobert, aber auch wir haben dergleichen von Ihnen. Ein einziges Dragoner Regiment hat 5 Fahnen und etliche Standarten erobert, die der König ihnen künftig zuführen befohlen hat.

Indeßen ist dieser Monarch noch voller Unmuth über seine schweere Reüterey und man sagt für gewiß, daß er ein ganzes Regiment davon caßirt habe. Nach Aussage der gefangenen, die wir gemacht haben, war die Daunische Armee bis über 90 tausend Man angewachsen. Der König hat bey dieser Schlacht 32 Bataillon und 105 Escadrons gehabt, welches 32 tausend Man zu fuß und 15 tausend Man Cavall. ausmacht. Der König mußte die Belagerung von Prag aufheben, um seiner Armee wieder einige Ruhe zu geben, und die Elbe, von welcher sie alle Zufuhre hat, gegen die feindliche Streiffereyen zu deken. Es ist aber eine häßliche Aufschneiderey der Oesterreicher, wenn sie vorgeben, daß sie den FeldM. Keith durch einen Ausfall von Prag weg getrieben. Sie sind nicht eher herausgekommen, bis unsre Armee weg war, sie versuchten in die Arrier Garde zu fallen, sind aber häßlich zurük getrieben worden.

Jezo stehen die Sachen so. Die HauptArmee, welche der Prinz v. Preüßen und unter Ihm der Herz. v. Bevern commandirt stehet noch in der Gegend von Niemburg gegen die Daunische Armee, die sich wieder hinter ihre Verschanzungen gezogen, der König aber steht mit dem FeldM. Keith in der Gegend Leuthmeriz mit ohngefehr 30 tausend Man. Vor der Erndte wird nun wol schwerlich was wichtiges vorfallen, wie wol unsre Armee mit großer Wuth einem neüen Angriff entgegen sieht. Indeßen soll der König ein Ansehenliches Corps nach dem Reich geschikt haben, vermuthlich um das Heßische zu deken, welches jezo am meisten in Gefahr scheinet.

Die Rußen haben nun mehr auch die Feindseeligkeiten mit der Belagerung von Memel angefangen. Daselbst steht der Kern unsrer Armee 30 tausend Man stark. Wir erwarten daher bald wichtige Nachrichten von dort aus. Es kan hier niemand begreiffen, warum die Engländer versäumt haben eine Flotte nach dem Baltischen Meere zu schiken. Der König trägt die Last eines so großen Krieges beynahe ganz allein. Was für ein Ruhm wird es für ihn seyn, sich gegen so viele zu halten?

Der Brief des Hrn. Dr. H. ist bestellt. Hr. Hofr. Stahl wird sich Mühe geben, so bald als möglich jemand auszukundschaften, den er hinschiken könnte, aber er scheinet zu zweifeln, die Sache nach Wunsch ausrichten zukönnen. –

An ihren Hr. Schwager kan ich jezo nicht mehr schreiben. Mein ganzer Brief an ihn, hat hier noch Plaz. Schwarz ist endlich vorgestern angekommen. Er hat sich gleich erkläret den Wechsel zu acceptiren mit Beding ihn in 6 Wochen zu bezahlen. Ich habe darüber mich Raths erholet, und man hat mir von allen Seiten gerathen, die Bedingung anzunehmen. Der Proceß würde länger, als 6 Wochen währen, und dann könnte man doch nicht so scharff, als mit einer Wechselklage verfahren. Hingegen, da er ihn acceptirt muß er in 6 Wochen bezahlen, oder man kan ihn einsteken laßen. Der Mann ist überhaupt nicht mehr sicher, und es ist ein Glük für Hrn. Orell, wann er sich noch lange hält. Komt es zum Concours so ist ein acceptirter Wechsel immer beßer als eine im Proceß schwebende Schuldfoderung.

Leben Sie wol, mein werthester Fr.

ich bin ganz der ihrige
Sulzer

den 12 Julij.

P. S. Grüßen Sie doch den Hrn. Dir. Schulthess von mir, und sagen Sie ihm, daß ich mich sehr über das gefreuet, was er dem Hrn. Burgermeister Schwarz in Magdeburg, geschrieben hät, und der Erfüllung seines Versprechens mit Verl. entgegen sehe.

Ich hatte mir vorgenommen auch an Hrn. Künzli zu schreiben. Die Hize ist so groß, daß ich vor Trägheit nicht mehr kan, da ich ohne dem mich allzu lange mit diesem Brief verweilet. Theilen Sie ihm die Neüigkeiten mit, und sagen Ihm, daß wir hier den Muth noch eben so hoch haben, als vor dem 18 Junii.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 362–365 (Auszug).

Stellenkommentar

in Böhmen und andern Orten sich zugetragen
Am 18. Juni 1757 erlitten die preußischen Truppen gegen die Österreicher unter Feldmarschall Daun in der Schlacht von Kolin die erste Niederlage im Siebenjährigen Krieg.
aus den ersten und reinesten Quellen
Sulzer bekam die Informationen über den mit ihm eng befreundeten späteren General Heinrich Adrian von Borcke. Vgl. einen Brief an Borcke vom 1. Dezember 1756: »Monsieur. Quoique je sache fort bien, qu'il convient aux Muses d'être retirées pendant que Mars tirannise la terre, j'ose pourtant vous envoyer une lettre, jusqu'au sein même d'une Armée. Comme Vous n'êtes pas tout à fait guerrier et que ma Muse ne se pique pas justement de chasteté, elle m'a pressé depuis longtems de Vous écrire. J'espère que Vous mettréz à profit la tranquillité des quartiers d'hiver et l'opportunité de Vous trouver au millieu d'une petite Armée, pour Vous informer de tout ce qui regarde les exploits de nos heros pendant la campagne passée. Nous savons bien en gros ce qu'ils ont fait, et nous avons même assez de jugement pour prévoir toujours qu'ils feront de grandes choses, et qu'ils vaincront tout énnemi. Mais Vous savez bien, que cette theorie est un peu sterile, à moins qu'on ne sache toutes les circonstances des choses. Vous êtes sans doute en état de Vous procurer des plans exacts des terrains, et de savoir par des bouches veridiques des anecdotes, qui caracterisent mieux les actions, que les relations generales. Nous venons de récevoir une relation abregée de la campagne, qui paroit d'une plume du premier rang. Mais cela est si honteusement defiguré par l'impression, et d'ailleurs d'un stile si concis, que notre cupidité de savoir tous les exploits de nos heros, en est plutôt irritée, que rassasiée.« (ZB, Ms Briefe Sulzer). Übers.: »Mein Herr, Obgleich ich sehr gut weiß, dass es den Musen ziemt, sich zurückzuziehen, wenn Mars die Erde tyrannisiert, dennoch wage ich es, Ihnen einen Brief bis in die Mitte einer Armee zu schicken. Da Sie nicht ganz ein Krieger sind und meine Muse nicht gerade auf Unberührtheit besteht, hat sie mich seit Langem gedrängt, Ihnen zu schreiben. Ich hoffe, dass Sie von der Ruhe der Winterquartiere und dem Vorteil, inmitten einer kleinen Armee zu sein, profitieren werden, um sich über alles zu erkundigen, was die Taten unserer Helden während des vergangenen Feldzuges betrifft. Wir wissen wohl im Ganzen, was sie getan haben, und wir besitzen sogar Verstand genug, um vorauszusehen, dass sie Großes vollbringen und jeden Feind besiegen werden. Doch Sie wissen ja, dass diese Theorie etwas fruchtlos ist, es sei denn, man wüsste alle Umstände. Sie sind zweifellos imstande, exakte Lagepläne zu besorgen und von vertrauenswürdigen Zungen Anekdoten zu kennen, die die Handlungen besser charakterisieren als die allgemeinen Berichte. Wir haben jetzt einen verkürzten Bericht des Feldzuges erhalten, der von einer erstrangigen Feder zu stammen scheint. Aber durch den Druck wurde er so schändlich entstellt, und dazu ist er so knapp, dass unsere Begierde, alle großen Taten unserer Helden zu kennen, viel eher gereizt als gesättigt wurde.«
gewißer Oberster von meiner Bekanntschaft
Heinrich Adrian von Borcke war seit 1755 Oberstleutnant und ab 1759 Oberst. Brief an Sulzer nicht ermittelt.
dem Hrn. Burgermeister Schwarz in Magdeburg, geschrieben
Brief von Johann Georg Schulthess an Philipp Christian Schwartz nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann