Mein Wehrtester Freund.
Gott habe Dank daß ihre Betrübniß auf den punkt niedergesessen ist, wo sie die Freuden der Welt balancirt, und Sie nicht hindert mit ihrem Zustande zufrieden zu seyn. Aber wie hat es die L. Frau professorinn? Glauben sie wol daß nach so viel verflossenen Jahren, seitdem ich mein liebstes kind habe sterben gesehen, ich mich scheue sein portrait anzuschauen, aus Furcht das Herz möchte mir brechen. Wir lassen es in Heiliger Verwahrung und werfen nur im vorübergehn stillschweigende starke blike auf das Behältniß. Nichtsdestoweniger danken wir der vorsehung die es mehr einem gefährlichen leben als uns entrißen hat. –
Izt ist Hagedorn auch bey unsern geliebten verstorbenen; der wakere mann hat mir noch mit sterbender Hand geschrieben. Er sagt, daß er nur noch an seinen bruder und an Sulzern schreiben werde. Ich bin ihm viel und das beste von der englischen Poesie schuldig. Er hat Sie mit seinem bruder in Briefwechsel gebracht. Ich hoffe dieser rechtschaffene Bruder hat ihn noch im leben angetroffen, und noch umarmet, und er sey desto männlicher gestorben. Fragen sie disen bruder, ob Bohn die Hymnen, die ich ihm für den verstorbenen zugestellt, habe übergeben lassen. Mit meinem brief, den sie in händen haben, mögen Sie nach belieben handeln. Melden sie auch dem Hrn. von Hagedorn, ich werde dem Verlangen des verstorbenen heilig nachkommen, nichts von seinen an mich geschriebenen Briefen weder ganz noch halb verrätherisch ans Licht zu bringen. Ich versichere mich der Segen dieses redlichen mannes allein, den er mir im sterben gegeben hat, sey mehr als stark genug alle flüche in der ästhetischen Nuß zu verwehen. Der boshafte autor treibt noch sein gespötte mit meiner väterlichen trauer. Ist es Schönaich? Wieland und Geßner haben Hrn. Gleim eine Bündniß wider die duncen angetragen, und ihm etliche satyrische und critische stüke gesandt, die er in Sachsen publiciren soll. Sie glauben Er werde nicht so böse auf uns seyn, daß er ihren Beystand [→]adversus communem hostem bonæ mentis ausschlagen werde. Wenn er zu ihnen stehen will so werden sie ihm noch mehr starke schriften schiken. Zu Ramlern haben wir keine hoffnung. Sein oratorio ist ein schelmisches stük. Ich sehe Ihren moralischen Gedanken über unsere Epopöen (dem probiersteine gewisser zweydeutiger schweiger) mit verlangen entgegen. Vielleicht ist es gerade izt die rechte Zeit auf die dunsen zu druken, da sie sich so schamlos bloß gegeben haben.
Man hat hier die betrübte nachricht daß Klopstok an einer auszehrung ohne hoffnung liegt. Wird Hudemann nicht sagen es sey ein Göttliches Gericht? Wie werden Gottsched und Schönaich triumphieren? Ich habe mir niemals versprochen, daß ich die Vollendung der Messiade erleben werde: dieses macht mich bey diesem Zufalle desto unempfindlicher.
Lessing soll in seiner Zeitung die ästhetische Nuß recensirt und die verborgnen Absichten des verfassers entdekt haben. Was für Absichten mögen das seyn? Womit hat Hr. von Kleist es verdient, daß er nicht in die Nuß gekommen ist? Durch die furcht vor seinem degen?
Herr Wiel. hat hier gulden 500. jährlicher Einkünfte, und nur vier Eléves, und lauter gute tage. Man hat ihm gewisse wahrscheinliche Mittel vorgeschlagen, wegen eines Rectorates in Zerbst; er hat sie aber verworfen. Hrn. Kies hat er noch nicht geschrieben. Seitdem er von mir weg ist, hat er nichts wichtiges geschrieben. Izt ist ein stük vom Weltgericht von ihm unter der Presse, welches er noch bey mir verfertigt hat.
Ich selbst schreibe nicht mehr viel; ich verbessere nur, und habe die Nuß selbst so genuzet daß ich etliche Metaphern gemässigt habe. Das ist alle Rache, die ich an dem autor übe. –
Insonderheit habe ich an einer kleinen Epopöe gefeilet, die ich schon vorm jahre verfertiget hatte. Ich werde sie Ihnen übersenden, [→]ut tuo arbitrio stet vel cadat.
Glauben Sie, daß man mich leichter bereden könnte daß meine Gedichte elend, kalt, mager, seyn, als daß Schönaichs Hermann ein gutes stük sey. Ich verzeihe es meinen Tadlern leichter als seinen bewunderern.
Die stüke, die Wiel. und Gessn. Hrn. Gleimen geschikt haben sind: Edward Grandisons Aufenthalt in Görliz; Nothwendigkeit einer Duncias; Vorbereitung zu einer solchen; des Arminius verwandlung in den Hermann; von des Tacitus und Schönaichs schilderey mit worten. Aber das behalten sie für ein geheimniß.
Ich habe mich die leztern monathe stark mit dem Esprit des loix beschäftigt. Ich habe die ehmaligen jungen Freunde Hn Klopstoks beredet, daß sie die zwo ersten stunden ihrer gewöhnlichen zusammenkünfte zur gemeinschaftlichen lesung dieses werkes wiedmen sollten. Sie haben mir de bon coeur gefolget, und zeigen in dieser arbeit viel Ernst und viel Einsichten. Sie sind nicht mehr die Jünglinge, die sie waren, und einige von ihnen sind des Regiments. Ich komme gemeiniglich in diesen stunden zu ihnen; sie berauben sich dann um meinetwillen des Tobaks, den ich nicht mehr ertragen kann. Wieland kömmt nicht zu uns, er steht mit einigen von ihnen nicht gut. –
Hat Hr. Kynzli Ihnen nichts von W. geschrieben? Er ist 10. tage im vorigen herbst um ihn und die Frau Gerichtschreiberin Greblin gewesen. Diese ist W–s Zweite Serena. Er besucht mich alle sonntage, und ist überhaupt sehr wol mit mir zufrieden, die werkeltage giebt er Serenen.
Hier ist das Leben Herrn von Haller unter der Presse, der Autor ist Zimmermann, ein Doctor der Medicin aus Bruk. Das werk soll 20. bogen stark werden. Er hat viel Neider in Bern. Man hält sich ihm nicht sehr für die dienste verbunden, die er nicht dem vaterlande gethan hat. Sein Amt ist eben nicht erhaben. Als Hr. Rathshr. Heideker von standes wegen in Bern bewirthet wurde, muste der baron der Etiquette gemäß vor die tafel stehn, und auf die gesundheit jedes anwesenden anfangen. –
Sie haben mir lange nichts mehr von Herrn Escher geschrieben? Sein Hr. Vater ist ein guter, braver mann. Hr. stadtschr. Sulzer war ein paar tage bey uns. Wir redeten viel von Ihnen. Ich sagte daß ihre trauer sich mit denselben Symptomen zeigete, die ich selbst bey einer gleichen Gelegenheit empfunden hatte. Ich war nicht stärker als meine Liebste; wiewol ich mitten im paroxysmo die unbilligk. des Schmerzens und die seligkeit meines kindes vollkommen erkannte. –
Hätte mein kind gelebt, so wäre kein Noah, keine Colombona – Klopstok wäre nicht nach Zürich gekommen, nicht Wieland; ich wäre nichts als ein Züricher – alle diese poetischen bewegungen wären nicht entstanden, welche Deutschland izt so entzweyen. –
Ich verlange sehr nach nachrichten von Ihnen. Alle ihre hiesigen freunde wünschen ihnen täglich Gutes; vor allen andern
Ihr ergebenster
Bodmer.
raptim. Den 18 Januar 1755
Hr. von Haller hat einen bogen publicirt worinn er seinen antheil an der Myliussischen Entreprise stark rechtfertiget; und so daß wenige schuld auf Sie zu fallen scheint.
Lessing hat in den Vermischten schriften des Mylius leichtfertige sachen so wol von Mylius Charakter, schriften als diesem unternehmen gesagt. Lessing dünkt mich ein zweyter Mylius, eben so determiniert zum angreiffen, eben so schlimm; aber ungleich aufgewekter, wiziger und gelahrter. Wenn er die Partey der guten sache ergriffe, und seinen Wiz für sie anwendete, so würden seine schriften eine gute gestalt bekommen; er selbst würde vermuthlich dabey mehr gewinnen zum wenigsten sich mehr Ehre machen.
Können sie ihn nicht bekehren? Er thut doch alles aus Interet; und fände er sein Interet nicht besser bey der guten Partey? Thun sie einen versuch an diesem sünder. Es fehlt freilich an einem delicaten orte, am Herzen: aber sie wissen die wege in die herzen, und die tugend hat ihre Reizungen. Vielleicht hat er die noch nie erbliket. Zeigen sie ihm dieselbigen.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
Eingeschlossen in Salomon Geßners Brief an J. W. L. Gleim vom 24. Januar 1755 (GhH, Hs. A 751).
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »18 Jan. 55.«