Mein Werthester
Wir haben etliche wenige Tage den wakern Hr. Bamberger bey unsern promenaden gehabt. Wir redeten viel von Sulzer, von Sak – wie stark ergriff uns das verlangen, sie bey uns zu haben? Wie vieles vergnügens sehen wir uns beraubt, daß wir sie und die wenigen andern von ihrem herzen nicht bey uns haben? Wie viel aufmunterungen zum guten, welche brave vorbilder müssen wir mangeln? Dennoch haben wir Erhard, Künzli, Waser, Heß –
In wenig tagen wird Künzli in unserer stadt an unserer seite seyn. Wir anticipieren das vergnügen ihn zu geniessen alletage schon in den gedanken. Heidegger wird uns schier ganz von dem staat entrissen. Man hat ihn en ambassade nach Solothurn und nach Bern geschikt, wo er [→]mit grosser geschiklichkeit etliche Sätze gepredigt hat, welche zum fundament dienen sollen, die ansprachen des prälaten von Santgallen auf das mannschaftsrecht im Tokenburg in die billigen, nöthigen und friedfertigen schranken zu setzen. Er hat Bern denken gemachet, wie sie kaum selbst vermuthet hatten, er ist le roi de leur coeur geworden. –
Ich habe Ihnen durch die Meßleute etliche Neuigkeit geschikt; Hymnen von Wieland, Fizesborn von Schuldheiss, verlohrnes Paradies – dabey ist ein trauriger brief – doch ich will izt ihre wunde nicht anrühren, damit sie nicht wieder blute; [→]oὐ γὰρ ἔγω γε τέρπομαι ὀδυρόμενος μεταδόρπιος
[→]Interdum quidem luctu mentem oblector, interdum rursus
Quiesco; brevi enim satietas est moleti luctus.
Wie haben sie es mit Hrn. Esch.? Ich habe Hr. Ot– seit vilen wochen nicht gesehen. Der liebe mann ist ziemlich das, was beym Spectateur ein Schuheisen genannt wird; und dazu kommen ich weiß nicht was für fanatische Einfälle. Er ist nicht zu heilen. Wenn sie Neuigkeiten von Klopstok haben so eilen sie dieselben uns mitzutheilen. Wir sind darauf erpicht. Hauchet Hagedorn noch die reinen Flüsse des Lichtes? Ich hätte sie dises schier in Hexametern gefraget, wenn ich nicht mich erinnert hätte, daß Hagedorn sie zwar tolerirt, aber nicht herzlich liebet. Liebet Ramler uns noch nicht? Uns – ich meine Wieland und mich. In einem greifswaldischen Journal wird er sehr gegen Wielands jugendliche hize in der Abhandl. vom Noah vertheidiget, Wieland und die schweizer werden da sehr positiv für Schmäher erklärt. Die Meinung will allgemein werden daß die Schweizer schmähen. Ich wollte gern fragen, ob der charakter, der in dem Naufrage des Iles flottantes, chant XIII. bl. 204 stehet, eine schmähung sey. Wenn es eine ist, so haben freilich die Schweizer oft und stark geschmähet; und ich fürchte daß sie noch mehr so schmähen werden, wenn sie auf dergleichen materien fallen. Andere Nationen dürfen doch auch einige Blike in sich selbst hineinschiken, und die Traits ihres gemüthes da bemerken, und auch öfentlich etwas davon gestehen. Aber die Deutsche – doch ich käme aufs schmähen – Wie haben wirs mit Lessing? Hat er uns keine neuen Schläge gegeben?
Sie sehen mit was für unerheblichen sachen ich sie unterhalte; lieber mit unerheblichen, als daß ich Hrn. Bamberger ohne ein paar worte zu ihnen hätte verreisen lassen. Leben sie wol und behalten in ihrer liebe
Ihren ergebensten Freund und Diener
Bodmer.
Zürich den 30. Sept. 1754
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.