Brief vom 30. November 1754, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 30. November 1754

Werthester Hr. und Fr.

Ich habe doch endlich den für verlohren gehaltenen Brief nebst dem Milton den Hymnen und den übersezen Briefen bekommen, und bin Ihnen für jedes insbesondere mit vielem Dank verpflichtet. Da der gute Hagedorn schon tod war, als ich diese Sachen bekommen, so will ich den Brief an ihn behalten, wenn Sie mir die Erlaubniß dazu geben werden. Ein Brief von Ihnen ist mir mehr wehrt, als einem Samler natürlicher Seltenheiten das beste Cornu Ammonis werth ist.

Die Betrübniß, welche der Tod meiner Meliße Ihnen gemacht hat schreibe ich auf die Rechnung der vielen und mannigfaltigen Dinge, die meine Dankbarkeit gegen Sie täglich größer machen. Ich kann mich nicht rühmen, daß der edlere Theil meiner Seele über den, dem Leib näher verbundenen in diesem Streit gesieget habe. Mein Schmerz erneüert sich täglich, aber ich trage ihn gerne, und finde gar keinen Grund zu wünschen, daß er jemals aufhöre. Es ist etwas süßes in dieser Trauer, und hat eine Krafft meine übrigen Neigungen zu mäßigen. Meliße hat eine Schwester nachgelaßen, die schon im ersten Jahr ihres Lebens beynahe so weit ist, als jene im 2 Jahr war. Deßen ungeachtet dienet sie nur das Andenken ihrer Schwester lebhafter zu unterhalten. Ich kann mich unmöglich entschließen meiner Betrübniß entgegen zu arbeiten. Sie dünkt mir angenehmer, als die Freüden der welt, und hintert mich nicht mit meinem Zustand zufrieden zu seyn.

Die Hymnen haben mich in eine neüe Bewundrung des Verfaßers gesezet, und ein neües und etwas ungeduldiges Verlangen erwekt ihn zu kennen. Ich halte ihn nun für vollkommen stark genug, auch für sich selbst der ganzen Schule der weltlichen Dichter zu wiederstehen. Ich kann nicht errathen wer dem seel. Hagedorn gesagt, daß er den lezten Sommer seines Lebens Wieland und mich in seiner Gesellschaft in Hamburg sehen werde. Denn er hat mir zuversichtlich geschrieben, daß er sich auf unsre Ankunft freüe. Dieser redliche Dichter hat ihr Portrait von mir bekommen, hier nach dem Züricherischen Orig. gemalt. Er hat es der Raths Bibliothec geschenkt, und ihm folgende aufschrift gegeben.

oben. Joh. Jac. Bodmer unten. Hanc viri verissimi
P. P. Tigurinus Tot meritis celeberr.
Senator I. ordinis effigiem
in patria Decus. Biblioth. Hamburg.
D. Amicus.
F. D. H. MDCCLIV.

Von Klopstoken höre ich seit seiner Verheyrathung nichts mehr. Er ist aber wieder in Dennemark. Meine Gedanken über ihre epischen Gedichte sind noch nicht aus der Preße. Ich habe vieler Umstände halber kürzer sein müßen, als ich mir vorgenommen hatte. Indeßen hoffe ich doch einige Frucht dieser kleinen Arbeit zu sehen. Ich werde die erste Gelegenheit ergreiffen, sie Ihnen zu schiken.

Ramler übersezt den cours de belles lettres, den er mit deütschen Exempeln erläutern wird. Er hat mir schon viel vorgesagt, von seiner Sorge nicht genug deütsche Exempel zu finden, da er blos todte Schriftsteller anführen will. Er thut mir doch bisweilen die Ehre mich über einige Critische Begriffe, die philosophisch sind um rath zufragen. Noch kennt er weder den geprüften Abraham noch die Hymnen. Ich sagte ihm, daß er auf mein wort nachsagen könne, das Abrah. eines der aller vollkommensten Gedichten in seiner Art sey. Aber er sprach mich doch nicht darum an. Ex ungue Leonem.

Den Leßing kenne ich noch nicht. Er hat schon einige mal wollen zu mir kommen, aber ich konnte ihn entweder nicht annehmen, oder ich war nicht zu Hause.

Gleim wird eine Samlung von Satyren gegen Gottsch. nebst ZuSäzen druken laßen. Er schreibt mir, daß es nicht zu glauben ist, wie sehr dieses Verderbers Ansehen unter der mittleren art Leüthe, das gute zurük hält.

Ich bin Begierig zu sehen ob eine andre Art Kunstrichter von einem Höhern Rang als Gottsch. ist, bey meinen Anmerkungen über ihre Gedichte Stillschweigen werden. Es soll mir ein Probierstein seyn, ihre Gesinnungen zu kennen. Nächstens werde ich Ihnen mit mehrerer Muße wie ich hoffe schreiben. Ich grüße Hr. Wieland und bin auf immer

Ihr ergebenster Dr. Sulzer

den 30 Nov.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 219–223 (Auszug).

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer in Zürich

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite: »accepi à D. Kynzlius d: 13 Decembr. 1754«. – Siegel.

Stellenkommentar

der gute Hagedorn schon tod
Friedrich von Hagedorn war am 28. Oktober 1754 verstorben.
Cornu Ammonis
Ammonit.
eine Schwester nachgelaßen
Sulzers Tochter Elisabeth Sophie Auguste, die spätere Ehefrau des Malers Anton Graff, war am 7. Dezember 1753 geboren worden.
mir zuversichtlich geschrieben
Hagedorns Brief an Sulzer nicht ermittelt.
folgende aufschrift
Übers.: »oben. Joh. Jac. Bodmer Vater des Vaterlandes Zürcher Senator der ersten Klasse eine Zierde seines Vaterlandes | unten: Sein Freund F. D. H. [= Friedrich von Hagedorn] gab der Hamburger Bibliothek dieses Portrait des gerechtesten und wegen so vieler Verdienste sehr berühmten Mannes. 1754.« Das mit der Inschrift Hagedorns versehene Porträt Bodmers, eine Kopie eines unbekannten Künstlers nach dem Gemälde von Johann Caspar Füssli, befindet sich heute noch in der SUB Hamburg, Sign.: Gemäldesammlung 9.
übersezt den cours de belles lettres
Charles Batteux' Cours de belles lettres, den Ramler als Einleitung in die schönen Wissenschaften übersetzte und mit deutschen Beispielen erweiterte.
Ex ungue Leonem
Siehe Kommentar zu Brief letter-sb-1750-05-12.html.
schreibt mir
Nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann