Mein theuerster Freund.
Ihr ungewünschtes Schreiben vom 15 Junius hat den Schmerzen, den zwanzig jahre nur eingeschläfert hatten, bey mir in seinem stärksten gefühl wieder aufgeweket. Es war als ob mein so lange beweintes kind allererst mit ihrer Melissa gestorben wäre. Ich hatte das Herz nicht Ihre Klage meiner Liebsten vorzulesen damit sie nicht darüber zerflösse. Ich selbst habe mich nicht überwinden können ehender auf diese traurige nachricht zu antworten und izo noch zittere ich vor dem Gedanken, wie viel schöne hoffnungen, wie viel gegenwärtige Freuden Sie verlohren haben.
Freuden wichen von dir welche zu sehen oft
Aus den Sphæren herab Engel gestiegen sind!
Wie hat auch mich die Muse getäuscht, da sie mir verheissen hat,
Wenn nach kurzem mein geist zu leiblosen Chœren entflohen
Wyrde Sie kommen und meinen todtenhygel nur finden
Und auf das prachtlose grab neu-entfaltete rosen verstreuen –
Auch dieses Band mit der Zukunft womit ich mir beym mangel eigener Kinder geschmeichelt hatte ist mir abgeschnitten. – Wie stechend diese klagen sind, so gestehe ich mir doch mitten unter denselben daß sie ganz unbillig sind. Die theuerste Melissa ist wol aufgehoben und das gröste Übel das ihr geschehen könnte, wäre, daß unsere Nachwehen sie wieder auf diese elende Erde zurükbrächten. Es ist nur der theil von meiner seele, der tiefer in den körper verwikelt ist, welcher mir solche Klagen in den Sinn leget; und es ist zeit daß die höhere Seele ihre herrschaft wieder übernehme. Sie, mein freund und ihre theure, betrübte Wilhelmine, werden dieses etwas später thun, doch wird ihre Philosophie und Gottseligkeit Ihnen nicht so sehr entstehen, daß sie es nicht in Kurzem thun werden. Izt wünschte ich, daß ich sie zu zerstreuen, etwas vor ihre augen bringen könnte, welches ihrer aufmerksamkeit würdig wäre. Sehen sie ob die neuen Hymne dises thun können. Ihr verfasser ist izt mit Ausführung seines unterrichtungsplanes einzig beschäftigt. Vier junge menschen von gutem Hause sind ihm übergeben worden, und er bezieht von ihnen ein jährliches gehalt von 500. Er hat sein logis izt bey dem doctor Geßner, der mit meiner schwester verheurathet ist. Hr. Spalding hat ihn zu dem freiherrn von Arnimb eingeladen, und die Einladung war so entzükend daß sie einen hätte hochmüthig machen können; meiner gedenkt Hr. Spalding mit keinem worte, ausgenommen in dem umschlage, als ob er mir ihn hätte entwenden wollen. Allein Zürich hat zu viel Reize von verschiedener Art für Hrn. W. als daß er es so leicht verlassen könnte.
Ich habe keine neue epische sünde auf diese Herbstmesse geschikt. Das verlohrne Paradies ist nur eine alte, rehabilitirte sünde. Ihre moralische betrachtungen über den Noah werden mir immer nöthiger. Wissen Sie auch was für einen Fluch Gottsched und Schönaich mir zubereiten? Ein Lobgedicht von dem Teufel Adramelech, der muß mir und Wielanden und Klopstoken eine gewalt in seinem reiche versprechen weil wir geschikt wären
Ungereimet und sinnlos den Heiligen ewig zu læstern
und durch den rohen gesang verdammte gedoppelt zu quælen.
Segnen sie mich mein Sulzer für diese Lästerungen, ihr schlechtester segen wird stark genug seyn alle diese Fluche zu verwerfen. Ich bin es nicht weniger zufrieden daß Lessing mich hasset. Der ist ein wiziger Satan, und ein unflätiger Gelehrter. Sey er immer der Held der Göttinger, und verseze sie durch seine Lieder in die Entzükung in welche sie weder die sündflut noch die Zulika noch die Colombona gesezet haben. Es ist schon ein segen daß Gott uns diese leute zu Feinden gemachet hat. Ein göttingischer Recensent erkennt daß Lauder und Gottsched dem Milton unrecht gethan haben, aber er erklärt sich zugleich daß er aus werthaltung gegen den Hr. professor und seine verehrer nicht richter seyn wolle.
Ich habe keine Hoffnung daß ich die erfoderte Anzahl von erklärten liebhabern zur manessischen Handschrift bekommen werde. Ich will izt die sache auf einem andern Fuß angreifen ohne daß ich fremde Hülfe nöthig habe anzurufen.
Hr. von Hagedorn schreibt mir daß er mein portrait zur hand gebracht habe. Haben Sie ihm eine Copie gesandt?
Eben derselbe meldet daß einer von seinen liebsten freunden ihm vor Ablaufe dieses sommers Wielanden in die Arme lifern wolle. Ich weis nicht wer ihm dises könnte versprochen haben, ob Hr. Abt Jerusalem od. Hr. Spalding, und noch weniger worauf dieses versprechen gegründet ist.
Sie haben vergessen das stük von dem Bauzner Naumann beyzulegen, in welchem er sich an mir, wie Sie schreiben, rächet.
Doch was für Tristes schreibe ich Ihnen anstatt solcher Sachen die Ihre Trauer unterbrechen oder beschwören könnten. Dieses ist nicht in meiner gewalt. Ich kann nichts weiter als das andenken des liebenswürdigen Kindes so aufbehalten, wie ich in einem werke thun will, welches ich entworfen habe. Ich verbleibe ihr und Ihrer geliebten Freundinn
Ergebenster
Bodmer.
Zürich den 5 September 1754
Allererst vernehme von Hr. prov – Künzli die gerüchte von Hrn. Klopstok. Hier hat man sonst gesagt, durch seine Vermittelung sey Hr. pastor Kramer von Quedlinburg zum Hofprediger an den dähnischen Hof berufen worden. Man hat auch gesagt, Hr. Keller Klopstoks und Rahnens Camerad, habe sich mit ihnen brouillirt, und eine prediger vocation in Petersburg angenommen.
Es sollte mir herzlich leid seyn, wenn ich Hrn. von Hagedorn verliehren sollte; meinen redlichsten und einzig übrigen correspondenten von den deutschen. Er war zwar kein Mathan der unter die verkehrte welt der Dunse treten durfte, der Wahrheit ein lautes Zeugniß zu geben sondern von denen [→]qui exemplum admittent et quiescendo commune crimen facient. In der hoffnung daß er noch unter den lebenden sey, habe ich hier einen brief an ihn beigelegt den ich vor ihrer Nachricht geschrieben hatte. Wäre der wakere mann gestorben, wenn sie dieses empfangen, so behalten sie disen brief an ihn, od. machen ihn unnütze. Wo nicht, so bitte ihn für ihn auf die post zu geben.
O Busenfreundinn des Mannes
Der mein wertherer ist, der schmerz in den zärtlichen Adern
Seitdem deine Melissa nicht mehr dein Antliz beseligt,
Naget dich mit gelinderem Zahn mit ersättlicherm Hunger
Zwar mit ihr sind der Hoffnungen schönsten, die sanftesten Freuden
Deinem Gesicht entflohn, – ich bin mit den stichen des schmerzens
Auch bekannt, sie haben mir auch in dem busen gesessen;
Izt erneuert dein Leid sie in ihrem schärfsten gefühlen –
Aber wie viel du beweinst, wie viel ich selber beweine,
Lilith beweinte noch mehr, nicht ihre Mahalath alleine,
Die in deren unschuldigem Lächeln ihr Mutterherz ruhte;
O sie beweinte die elendverlohrne liebe des Schöpfers.
Ich habe alle hoffnung aufgegeben, subscriptionen zu der manessischen handschrift zu bekommen. Hr. Schöpfli und Hr. Schellhorn haben meine Hoffnung betrogen. Izt habe ich einen andern Entwurf das werk ohne die hülfe so vieler und so grosser Gönner zum stande zu bringen. Wenn es mir damit gelingt, so werde ich die wenigen freunde, die sich für mein ersteres Projekt bemüht haben, zu unterscheiden wissen. Hr. professor Wiedeburg hat viel guten willen für den Minnegesang, aber wenig Folge. Ich wollte daß er anstatt seiner nachrichten lieber zwanzig des Jenaischen Codicis sorgfältig und fleissig geliefert hätte. Können mir Ew. Hochwolg. nicht mit einiger gewißheit sagen, ob die dein, mein, seyn, – in dem codice argenteo so oder din, min, sin orthographiert seyen. Der Hr. Bodmer, dem sie die gütigkeit hatten nachzufragen hat eine kleine station von hiesiger vorstädte einer. Der prediger und eine reiche und noch albernere Frau beschäftigen den ganzen menschen. Er lebt schlechterdings in obscuro. Dem H Stadtvogt Renner, der mit den alten naifen poeten so genau sympathisirt, bitte gelegentlich meine Ergebenheit. Ich versichere sie nochmals daß ihre briefe bey mir wol verwahrt sind, und so sollen sie auch nach meinem leben seyn. Ich geniesse damit etwas von dem vergnügen der Eifersüchtigen und der geizigen. Damit meine briefe niemand in Versuchung führen, daß er sie publicire, druke ich gern ein solches siegel der nachlässigkeit darauf welches sie genugsam bewahren kann. Man muß solche nicht für mehrers nehmen als für gedanken, die bey einer pfeife tabak oder bey groben bier kommen; welche nichtsdestoweniger freunde wie von Hagedorn, wie Sulzer sind, gern verzeihen. Ich bleibe daher mit wahrer, nicht romantischer freundschaft
Ew. Hochedelgebohren
gehorsamster diener Bodmer.
Zürich den 6 Sept. 1754.
Die italienische Übersetzung von Popes Essai on Man durch den professor Castiglioni ist noch nicht aus der presse.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.
Brief Bodmers vom 6. September 1754 an Friedrich von Hagedorn mit Einschluss von B. C. B. Wiedeburg, Ausführliche Nachricht von einigen alten teutschen poetischen Manuscripten aus dem dreyzehenden und vierzehenden Jahrhunderte welche in der Jenaischen akademischen Bibliothek aufbehalten werden.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »5 Sep. 54.«