Brief vom 8. September 1753, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 8. September 1753

Unter den seligen Unsichtbaren, die izt um die Freundschaft Sulz. und Kynz. schweben, ist auch Bodmers geist und sieht auf sie mit einem vergnügen, das nur dann empfindlicher wäre, wenn auch sein leib bey ihnen seyn könnte. Noch hoffe ich Sie beyde werden noch beisammen seyn, wenn meine kleinen Repræsentanten in dem Hause das Sulzer selbst gebauet hat, ankommen werden; personen die ziemlich viel vom Körper haben, nicht nur das papier. Es sind die Sunith, Jacob beim Isak, die Zulika, der Parcival, der Colombo, die Dina. Sie sind schon den 20 augusts in zwey päkgen von hier abgereiset, man hat gefunden daß Zulika mitleiden und Sunith Verzeihung verdieneten, und man hat in disen personen Emblemata von meiner poesie gefunden. Mein Wieland hat mit obigem auch seine repræsentanten geschikt, eine menge von abgestorbenen Revenans. Sein geprüfter Abraham ist bis auf einen bogen aus der presse. Die Briefe der abgestorbenen haben selbst den Doctor H...l so stark erschüttert, daß er in einem raptu die spöttische verachtung bedauert hat, womit er bisher diesem ausserordentlichen geist begegnet ist. Ich lasse Wieland nicht von mir verreisen, bis Hr. provisor bey uns zurük ist. Zu dem gebete des Deisten wird das gebet des Christen kommen. Ich fürchte Klopstok werde es übel empfinden daß diese anständiger beten als sein Freigeist und Christ. Er hat uns auf unsere briefe, die wir im april an ihn schrieben, nicht geantwortet. Vermuthlich hat Wieland ihn damit geärgert, daß er die partey der verstossenen Fanny ziemlich warm genommen hat. Wir haben abschriften von briefen gesehen, die seine Moller an ihn geschrieben hat, welche ganz wunderlich sind; nichts ärgers zu sagen.

Der Buchdruker Geßner klagt sehr, daß er den Noah und Zimmermanns dissertationen nicht verkaufen könne. Ich werde wol ihn schadlos zu machen, ein Moyen de parvenir schreiben müssen. Hr. provisor wird auf der Messe in Leipzig einen agent Hn Orellen antreffen, der ist mein gevater und von dem beliebe er sich ein paar duzend von der Auffoderungsschrift wegen der minnesinger geben zu lassen, und solche dann auf seiner Herreise auszustreuen und zu empfehlen, mit vermelden daß Hr. Breitinger mit mir das werk besorgen werden. Wenn er neue gute Bücher weiß, so beliebe er disem Factor davon nachricht zu geben. Er kann ihm auch etwas an mich beyzupaken geben. Er wird ihm zu Dienste stehen. Hr. Kirchenschreiber, der sich mit Orell in die Buchhandlung associert hat, erwartet von Hrn. professor antwort auf sein begehren, das er ihm eine neue vorrede zu dem werke von der auferziehung schreiben solle. Hr. professor soll in der ostermesse die Abhandlung vom Noah, die Nacht, und einen brief von mir erhalten haben. –

Hr. von Haller fährt fort, seine gedichte zu verachten. Er scheint überhaupt die poesie für eine kleine kunst anzusehen. Er verachtet aber auch Homer, und glaubt es sey darinn ein grosser mangel an sittlichem. Wir verlangen sehr nach Klopstoks Abhandlung von der christlichen Epopee. Wir hatten sonst Hn. Breitinger sollicitieren wollen über dise materie zu schreiben und wir ärgern uns von Zeit zu Zeit daß nicht ein Sak, ein Jerusalem, ein Jacobi sich hierüber erklären. Es wird sonst bald dahin kommen daß man die christlichen Epopoen für arbeiten der heiden ausgiebt, und ihre verfasser excommunicirt. Ich bitte Hr. professor dem Hrn. von Kleist eine von den beyden Colombona zu geben. Er hat mir sehr höflich geschrieben. Er versichert mich auf seine Ehre, daß die beaux esprits Deutschlands etwas von mir halten. Es dünkt ihn fremde daß Wieland im vertheidigten Noah (so heißt er das werk) Gleim, Ramlern, Uz – angreife, doch glaubt er man werde es der guten Absicht wegen nicht übel nehmen, und man wisse, daß ich ihn dazu nicht veranlasset habe. –

Sein fryhling ist bei Geßner unter der presse. Der junge Geßner hat ein artiges unschuldiges schäfergedicht geschrieben, welches uns mit seiner thörichten Nacht wieder versöhnt hat. Wir haben Hr. professors Theorie des sentimens in den Actis der Academie gefunden und gesehen daß er so gut Systeme als Häuser bauen kann. Bald wird er wied. ganz seiner Freunde werden. D. professor König hat mir die Maupertuisiana geschikt. Der Naufrage des Iles Flotantes hat uns vil gedanken und vil projecte verursacht. –

Es wäre mir sehr leid, wenn meine gedichte sie beide nicht noch beisammen anträfen. Doch müste ich es mit geduld tragen, wie ich es tragen muß daß ich nur im geiste und durch schwache Repræsentanten bey ihnen seyn kann. Also sind auch Breitinger, Heidegger, Waser, Heß, und alle unsere theuern freunde bey ihnen, die uns das leben süß machen. Ich verbleibe von ganzem Herzen

Ihr ergebenster Fr. und Dr.
Bodmer.

Ich habe mit vieler freude im buchladen die fables pour les enfans angetrofen, wovon ich ihnen das original geschikt, das ich verlohren geglaubt.

Zürch den 8 Sept. 1753

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Anschrift

pour Monsr. Soulzer professeur tres-celebre à Berlin

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »8 Sept. 53.« – Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

König hat mir die
König hat mir seine die
den 8 Sept. 1753
den 8 August Sept. 1753

Stellenkommentar

Zimmermanns dissertationen
Der Theologe Johann Jakob Zimmermann ließ seine zahlreichen Dissertationen zwischen 1739 und 1756 von der Offizin Gessner verlegen.
Auffoderungsschrift
Aufforderungs-Schrift, wegen einer Auflage der sogenannten Manessischen Sammlung, 1753, von Hans Konrad von Orelli publiziert. Bodmer und Breitinger arbeiteten an der Sammlung von Minnesingern aus dem schwäbischen Zeitpuncte und suchten dafür Subskribenten. Die Sammlung erschien 1758–59.
Haller fährt fort
Vgl. Haller an Bodmer, Bern, 20. August 1753 (ZB, Ms Bodmer 2a.3. Abgedr. in: Haller Gedichte 1882, S. 361 f.). In diesem Brief stellte Haller ohne Pathos seine fehlende Anlage zum Dichter fest. Über die Poesie Klopstocks und Bodmers schrieb er: »Ob ich wohl mich niemals an den Hexameter gewagt habe und zu furchtsam gewesen bin, den gewohnten Pfad zu verlassen; so hindert mich dieses Maaß am wenigsten nicht am Gefühle des Schönen und Wahren, das in der griechischen Verkleidung vorgetragen wird, und ich habe deswegen alle die Wollust genossen, die das Zärtliche und Philosophische in den verschiedenen Gedichten erweckt, die nach dem verneuerten Metro gebildet sind.« (ebd. S. 361). Hallers Kritik an den homerischen Gedichten, in denen ihm zufolge uralte, schlechte Sitten dargestellt würden, hob mit den Worten an: »Ich bin kein Homerist [...]«.
Klopstoks Abhandlung von der christlichen Epopee
Klopstocks Abhandlung Von der heiligen Poesie, die als Vorrede zur Kopenhagener Ausgabe des Messias 1755 erstmals gedruckt wurde.
hat mir sehr höflich geschrieben
Vgl. Kleists Brief vom 22. Mai 1753 (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 236).
unschuldiges schäfergedicht geschrieben
[S. Geßner], Daphnis, 1754.
Theorie des sentimens
Sulzer, Recherches sur l’origine des sentiments agréables et desagréables. In: HAR 1751 (1753), S. 57–100.
König hat mir die
Samuel Königs Brief an Bodmer konnte nicht ermittelt werden. Bei den Maupertuisiana handelt es sich um eine von Voltaire besorgte Sammlung der Streitschriften, die die Auseinandersetzung zwischen Samuel König und Maupertuis bzw. der Akademie betrafen.
Naufrage des Iles Flotantes
É.-G. Morelly, Naufrage des Isles Flottantes, ou Basiliade du célèbre Pilpai, 1753.
fables pour les enfans
B. L. de Muralt, Fables nouvelles, 1753. Vgl. zur verloren geglaubten Sendung Kommentar zu Brief letter-sb-1752-11-11.html.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann