Brief vom 29. Oktober 1752, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 29. Oktober 1752

Z. den 29 Octob. 52

Mein theuerster Hr. professor.

Die Kaufmannsgüter von der Michelismesse sind noch nicht hier, darum weiß ich noch nicht, wie durchgehends der Noa mißfällt. Aber das stillschweigen der grossen leute, Gleim und Ramler, verstehe ich genug. Es ist eine starke demüthigung für einen scribenten der sich sonst auf den beyfall dieser Männer etwas rechtes eingebildet hätte. Hätte ich nicht schöne proben von dem edeldenkenden Sulzer, daß der Noa ihm noch einiger Ehre und einiges aufsehens würdig scheint, so wollte ich ohne viel Flehens mich zu den Naumannen und Schönaichen in den staub daniederlegen. – Ich erwarte daß Kl. das stillschweigen obiger beyden durch ein gleiches stillschweigen bekräftigen werde; und alsdann werde ich mich nicht länger erwehren können die Zunft der elenden scribenten zu vermehren. Ich bereite mich dazu zum voraus, damit ich alle die selbstzufriedenheit der Dunces mit mir an den boden hinunter nehme. Und ich habe das versprechen von meinem liebenswürdigen freunde, Wieland, daß er sich neben mich an den niedern boden, wo die poetischen würmer kriechen, hinlegen wolle. Ich werde mich dann zu hüten wissen daß ich zu dem elenden dichter nicht noch den unverschämten hinzufüge. Ich werde die Columbona, und die sündflut, die ich beyde vollendet habe, mit mir in den staub nehmen, und nur mir selber, wie es die art der kleinen Geister mit sich bringet, damit groß dünken. Von mir soll man nicht sagen, wie von Columbo

„-- Er gab die göttliche Gabe
Die er so kühn verhieß und rächte mit großmut des geistes
Abschlag und Hohn, womit sein geschenk Europa verschmähte.”

Die spanische Isabella – soll die stirne nicht küssen

– vor welcher der grosse gedanke
Eine westliche Welt aufstieg –

Columb soll nicht im triumphe einhergehen

Zwischen Dom Fernand und Isabella, der grössern Tiphys.

Der Dison soll nicht fühlen

Wie die tugend so göttlich ist noch wie reizend die unschuld

Keine Funken der liebe, die in den Olympiern brennet sollen in seine seele fallen.

„On” der bey Chemos Füssen gesessen die weisheit der wollust
Aufzufassen, ein dichterischer Kopf, dem die giftigen pfeile
Dieses erhizten geistes die Adern inwendig durchrannten

Soll nicht mit Nabal dahingehen; mit Nabal

Nabal dem König beym trinkfest und noch dem liebling der schönen
Ob jahrhunderte gleich schon über sein leben geflogen.
Feuriger küßt' er, die Glatze mit rosenkränzen bedeket.

Der einsylbigte G– möchte sonst im On den Anacreon und im Nabal den K.. gefunden haben.

Sie wissen nicht, mein liebster Sulzer, mit welcher Dapferkeit ich die artigen laster unserer wizigen Jünglinge angegriffen hätte, wenn ich nicht so decisive ein ⟨schmierer⟩ geworden wäre. Aber izt sage ich zu mir selbst, wie Stokhausen gesagt und Gl... und R–r. geschwiegen haben: [→]Frange miser calamos vigilataque prælia dele p.

Hr. von Haller schrieb an Hn Canon. Gesner: Noam cum voluptate legi etsi vetere de luto ego et rimator sim. Das giebt mir ein paar blike in sein herz. Man weiß hier daß K. einen Himmel von Schönheit von verstand und von reichthum geheurathet hat, und die Chronique scandaleuse sezet hinzu, einen Himmel von Lust. Wir hoffen seine himmlische Muse werde künftig durch die fanatischen verliebten Empfindungen und rauschenden Freuden desto weniger gestört werden.

Izt ist der Verf. der Natur der Dinge in meinem Hause. Ich kann so wol in Absicht auf den moralischen Caracter als auf die gelehrsamk. ohne poetische Entzükung sagen: Hier ist mehr als K... Ohne vergleichung mehr. Ich habe die beste hoffnung, er werde mir seyn, was Lamech von seinem ungebohrnen Noa erwartete: Er wird mich trösten wegen der Arbeiten meines geistes und meiner hände auf Erde.

Wielands Hermann ist noch unter der feile; sie sollen durch die verzögerung sehr viel gewinnen. Diser liebe freund bereitet mir eine unwiderstehliche Mißgunst durch einen vollkommen critischen Commentar über den Noa. Er ist fähig in der Critik und der poesie die grösten verrichtungen zu vollführen, und das werden nur seine jugendfrüchte seyn. Ich könnte ausserordentliche thaten von ihm weissagen, wenn er selbst nicht so vil gutes von mir gesagt hätte. Es möchte den schein haben, bin ich Virgil, so sollst du Homer seyn. – Dr. Hirzel hat einen versuch gethan, Hr. von Kleist nach Zürch zu vermögen. Man sagt gerade izo, er sey ihm diese woche entgegen geritten. Er wolle hier mit ihm auf die parade gehen. Ich will gern sehen ob Hr. von K. sich zu s. Absichten sich bequemen werde. – Ich bleibe mit Wielanden in meiner dunkeln Einsiedeley. Bisher scheint es noch nicht, daß die jungen Herren mir seinen besiz rauben wollen. Es wäre ein unternehmen über ihre Kräfte. Er ist ein Anacreontomastix. Er trinkt so wenig Wein, als ich, raucht nicht tabak, und brauset und tanzt nicht, und ißt nicht Gläser –

Es freut mich so sehr, daß sie bald aus ihren Baugeschäften heraus sind, als ob ich selbst mit ihnen gearbeitet hätte. Künftig werde ich desto weniger bedenken haben, mit ihnen so in Briefen zu plaudern wie ich pflege. Ich empfehle mich Ihrer Freundinn. Hr. Wieland empf. sich Ihnen. Wir beyde bleiben

Ihre ergebensten Diener.

Es stehet mir selbst nicht an, eine Auflage des Noah in Leipzig od. Halle zu veranstalten. Nur wenn ein andrer das thäte, wollte ich es ihm nicht verargen. Aber da der Noa ein so elendes stük ist, so wird sich wol niemand mit ihm beladen wollen. – Könnten Sie Ramlern nicht bereden, daß er sein verdammendes urtheil der ganzen Welt, der iztlebenden und der künftigen erzählte. Ich wollte ihnen dafür verbunden seyn. Ich wollte nicht, daß er aus freundschaft für sie mir verschonte.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Anschrift

A Monsieur le Professeur Soulzer à Berlin par Amitie!

Eigenhändige Korrekturen

mich an den niedern
mich auf an den niedern
legi etsi vetere
legi etsi de vetere
Das giebt mir
Das ist giebt mir
Empfindungen und rauschenden
Empfindungen desto und rauschenden
gelehrsamk. ohne poetische
gelehrsamk. mit ohne poetische
brauset und tanzt nicht
brauset und hüpfttanzt⌉ nicht
ich desto weniger
ich mir desto weniger

Stellenkommentar

versprechen von meinem liebenswürdigen freunde
Vermutlich Wielands Brief an Bodmer aus Biberach vom 6. September 1752 (Wieland Briefwechsel 1963, Bd. 1, S. 117–120).
Er gab die göttliche Gabe
Im Folgenden zitiert Bodmer verschiedene Passagen aus der Colombona, 1753, S. 5, 83 und aus der Syndflut, 1753, S. 64 f., 77.
einsylbigte G–
Gleim.
K..
Vermutlich Klopstock.
Frange miser
Iuv. sat. II, 7, 27. Übers.: »Zerbrich den Stift, vernichte die in durchwachten Nächten entstandenen Schlachten«. (Juvenal, Satiren, 2017, S. 237).
Haller schrieb an Hn Canon. Gesner
Albrecht von Haller an Johannes Gessner, 4. Juni 1752. (Haller Briefe an Johannes Gessner 1923, S. 185). Übers.: »Den Noah habe ich mit Vergnügen gelesen, obwohl ich selber aus alter Erde, und ein Reimer bin.« Vgl. auch die Abschrift einiger Sätze, die wohl J. Gessner aus den Briefen Hallers für Bodmer anfertigte. (Haller Gedichte 1882, S. 360. Dort ist der Brief irrtümlich auf den 4. Januar datiert).
Verf. der Natur der Dinge in meinem Hause
Wieland kam einem Eintrag in Bodmers Tagebuch zufolge am 25. Oktober 1752 bei ihm an. (Bodmer Tagebuch 1891, S. 191. – Starnes Wieland 1987, Bd. 1, S. 33).
critischen Commentar über den Noa
[C. M. Wieland], Abhandlung von den Schönheiten des Epischen Gedichts Der Noah, 1753.
Anacreontomastix
Wortschöpfung Bodmers, die darauf verweisen sollte, dass Wieland anakreontische Freuden wie das Weintrinken, ablehnte.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann