Mein werthester Herr und Freünd.
Ich sehe dem Herbst mit Vergnügen entgegen, nicht wegen der Lustbarkeiten der Weinlese, die dieses Land nicht kennt, sondern wegen der Briefe die ich von Ihnen erwarte, und die mir immer schäzbarer und einigermaßen nothwendiger werden. Meine übrigen Freünde in der Schweiz schreiben mir selten, und von umliegenden Freünden und bekannten sehe ich beynahe gar keine mehr. Zum Theil liegt die Schuld an mir, indem meine Baugeschäfte mir Zeit und Muth zum Schreiben benehmen. Diese gehen nun aber bald zu Ende, denn in wenigen Tagen hoffe ich das dach auf mein Haus zu sezen. Ich werde eine sehr angenehme Wohnung bekommen, wo ich recht in dem Angesicht der Natur werde seyn können, und dort werde ich mit ungemeiner Lust wieder wie von neüem anfangen den Musen und der freündschaft zu dienen. Dort werde ich anfangen Melißen mit der Natur, mit ihr selbst und mit meinen Freünden bekannt zu machen.
Mit ihrem lezten Brief habe ihr Portrait und die lezten Bogen des 1 Theils von Criton bekommen, für beydes danke verbindlichst. Ich hätte mich durch den mir etwas unverständlichen oder vielmehr zweydeütigen Titel des Landbusems bald arg betrügen laßen. Weil ich ganz was anders Vermuthete, so wollte ich das Stük übergehen. Wie viel hätte ich durch diese Eilfertigkeit verlohren. Ich finde Sie nirgend so sehr nach meinem Herzen, als in solchen kleinen Gedichtchen, dergleichen auch ein paar in den neüen Crit. Briefen sind. Ich will sie deswegen dem Noah nicht an die Seite sezen. Ich ärgere und betrübe mich zugleich über das stumpfe Gefühl der Menschen, da ich so wenig hier vom Noah reden höre. Weil ich mir vorgesezt hatte mit keinem einzigen von den hiesigen Kennern oder Liebhabern der Poesie zuerst davon anzufangen, (dazu hatte ich besondere Gründe) so habe ich bis auf diese Stunde nicht erfahren, ob Ramler oder seine Freünde ihn gelesen haben. Es ist, als wenn sie mich zwingen wollten davon anzufangen. Jezo kann man hier Exemplare haben. Ich wünsche aber doch recht sehr, daß Sie, so bald es angehen will, eine Auflage davon hierzulande veranstallten laßen. Die Menschen suchen das gute nicht, es muß Sie suchen, oder vielmehr man muß es Ihnen erst aufdringen. Ich hoffe daß Hr. Sak, wann er nur einmal aus Gewißen Geschäften wird heraus seyn, den Noah hier ein wenig ausbreiten wird. Denn jezo sehe ich lauter Leüte die nichts anders als steinerne und hölzerne Buchstaben kennen.
Wißen Sie schon, daß Klopstok sich wird verheyrathen? Nicht mit der Schmidtin, sonder mit einem Hamburgischen Mädchen. Er ist vor 4 Wochen in Quedlimburg gewesen, und Ramler hat ihn bey Gleimen gesprochen. Nun ist er wieder in Coppenhagen. Man sagt die Schmidtin habe ihn ungeachtet ihrer Neigung nicht heyrathen mögen, aus furcht ihr Vermögen möchte bey ihm nicht gut aufgehoben seyn.
Der Antiovid ist allerliebst. Aber vom Herman kann ich noch nichts zu sehen bekommen. Sie haben mir das Blatt nicht geschikt, das Sie mir versprochen. Künftige Meße schike ich Ihnen einen Noah mit kurzen Anmerkungen wieder zurük.
Hier schike ich Ihnen einen Brief von Voltairen an den Card. Quirini. Dignum patella operculum. Ich ärgere mich, daß kein deütscher den Geist gehabt den Cardinal zu turlupiniren. Der [→]abbé Prades ist vom König als Lecteur angenommen worden. Hier in Berlin hat er sich noch nicht gezeiget.
Sie werden wol [→]von dem Streit gehört haben, den unsre Academie oder vielmehr unser President mit Hrn. König hat. Hr. Heß war bey der Sentenz zu gegen und kann Ihnen sagen, was ich schreiben könnte.
Erinnern Sie doch diesen Freünd seines Versprechens, mir zu schreiben. Er ist noch der einzige Schweizer von denen, die ich hier kennen gelernt, der mein Herz mit sich genommen. Der junge Escher hat sich sehr ungeschikt hier aufgeführt. Und jezo reißt ein junger Meyer, des Spittalmeisters Sohn sehr mißvergnügt über mich von hier. Er ließ mir bey seiner Ankunft sagen, er hätte einen Brief für mich, ich möchte ihn bey ihm abholen, und er foderte von mir Lectionen in der praktischen Geometrie, aber in seinem wirz Haus. Weil ich auf keine von diesen Invitationen antwortete, so hielt er mich für einen Hochmüthigen Menschen. Mich dünkt es wäre nöthig, daß man in Zürich ein Tribunal aufrichtete, vor welchem sich alle Jungen Herrn legitimiren müßten ehe sie in frömde Länder reißten, damit man die zu Hause behalten könnte, die durch viele Umkosten blos das erlangen daß man von ihnen und ihrem Vaterland auswerts sehr übel urtheilet.
Haben Sie die Recension gesehen, die Haller vom Noah gemacht hat? Sie ist für einen halben Überläuffer noch gut genug.
Der Noah hat Kleisten nicht mehr in Potsdam gefunden. Er ist Ihnen näher, als uns, in dem er sich jezo in Speyer aufhält. Meine Liebste empfiehlt sich Ihnen Bestens. Empfehlen Sie mich ihren Freünden.
Ich verharre
Ihr ergebenster Fr.
Sulzer.
den 7 Sept. 52.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 185–188 (Auszug).
Epître de Monsieur de Voltaire au Cardinal de Quirini, 1752.
Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »beantwortet den 29 Octob. durch Einschluß Hn Direct. Schuldheiß«.