Brief vom 11. November 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 11. November 1752

Mein Verehrungswürdiger Freünd.

Ich freüe mich herzlich mit Ihnen, daß Sie den verlohrnen Kl. in der Person des würdigen W. doppelt wieder gefunden. O wie sehr wünschte ich nun meine Reise mit Kl. mit einer andern vertauschen zu können, da Wiel. Kl. Stelle hätte. Genießen Sie nun, o freünd mit vollen Zügen die Lust deren Erwartung Sie vor 2 Jahren getäuscht hat, und vergeßen Sie in Gesellschafft dieses werthen Jünglings Kl. Raml. Gl. p. so wie Sie schon lange Gottschedens und Schwabens vergeßen. Denn so weit diese leztern an Geist und Verstand hinter Ihnen zurük sind, so weit entfernen sich die erstern in der moralischen und philosophischen Art zu denken. Aber vergeßen Sie meiner, meiner Willhelmine und Hrn. Saks nicht. Ich begreiffe nicht, warum dieser leztere Ihnen nicht schreibt, da er doch seit geraumer Zeit her von nichts als dem Noah spricht, den er in seiner Familie zum Haus Buch gemacht hat. An ihm haben Sie einen wichtigen Verfechter ihres Unternehmens und deßen Ausführung. Sonst ist hier noch alles Still. Es sind zwahr sehr viele, die durch Anhörung einzelner Stellen überaus gerührt worden, aber meine Erwartung ist nicht erfüllt, weil ich geglaubt habe ein solches Werk würde ein allgemeines Aufsehen machen. Ich glaube bald, daß Homer auch schwerlich würde algemein worden seyn, wenn er von Persianischen Völkern und Helden geschrieben hätte. Wie dem aber sey, so macht mich das Exempel Homers u. Miltons glauben, daß Noah einmal triumfiren wird. Haller hat sich gegen mich über den Noah gar nicht auslaßen wollen. Ich schrieb ihm, daß ich recht erbittert auf die deütschen sey, die so viel Geschrey aus Kleinigkeiten machten, womit Sie ihre Ehre gegen die Franzosen zu behaupten vermeinen, da sie von unendlich wichtigern und beßern Werken, wie vom Noah Stille schweigen. Er antwortete mir auf diesen ganzen Artikel mit keinem worte. Die Sundfluth und Columbona müßen Sie nicht mit sich in ihr Bathos herunter nehmen. Sie müßen die Person eines elenden Scribenten ganz oder gar nicht annehmen. Diese behalten nichts vor sich. Aber das wollte ich wünschen, daß Columbona herauskäme ohne, daß die Vermuthung auf Sie käme. Man wird Sie zwahr aus dem Werk selbst erkennen, aber doch ist man alsdenn freyer in seinem urtheil darüber. Wenn Sie mich dieser Ehre werth halten, so schiken Sie mir die Abschrifft, daß ich die Ausgabe hier besorge. Ich habe es bey Ramlern und seinen Freünden so weit gebracht, daß ich nur etwas rühmen därff, um ihnen einen Ekel dafür zu machen. Es sind drey wochen seit dem ich Ihnen von Wielands Erzählungen gesprochen, und noch hat keiner das Herz gehabt sie zu lesen, oder zu fodern, daß ich sie Ihnen weisen soll. Einem hatte ich etwas aus dem Antiovid gelesen, der darüber entzükt war und mich um das Werkchen bat. Er ging damit zu Ramlern um es sich vorlesen zu laßen, und den andern Tag bracht er mirs ganz kaltsinnig wieder. – „Es sind würklich einige schöne Stellen darin – Aber die Lyrische art, sollte der gute Mensch nur unter wegens laßen”.

Aber warum rede ich so viel von den Berlinern, da ich mir vorgenommen nur von Wielanden zu reden. Ich vergebe es Ihnen, daß Sie mir das erste mal so wenig von ihm schreiben. Aber künftig möchte ich so viel erfahren, daß ich wegen meiner Abwesenheit von Ihnen einiger maaßen schadlos seyn kann. Weißt er die Kl. Geschichte schon? Wird er bey Ihnen seinen Hermann und seine Critik über den Noah vollenden? Was für eine Lebensart wird er erwählen, und vor allen dingen sagen Sie mir doch, wie hat ers gemacht, daß er in so jungen Jahren so viel weißt und so stark denkt. Die Natur hat ihm dieses allein nicht gegeben. Worauf ist sein Hauptgeschmak gerichtet? Wie leben Sie zusamen. Was hält W. von den hiesigen deütschen.

Ich habe seine Briefe noch nicht zu sehen bekommen, und in keiner Zeitung davon gelesen. Sein Frühling ist mir auch noch nicht zu Gesichte gekommen. Seine Erzählungen machen iezt unser größtes Ergezen, und das Gast Geschenke, das wir den frömden geben, die uns besuchen besteht in dem Lesen einer dieser Erzählungen, oder eines Buches aus dem Noah.

Ich möchte doch wol wünschen, daß Sie Kleisten kennen lernten. Ich halte ihn noch für den solidesten von den hiesigen Kunstrichtern. Er wird Ihnen gefallen, wenn nach Wielanden Ihnen noch etwas gefallen kann.

Bald hätte ich vergeßen Ihnen zu sagen, daß unser lange verlohrnes Paket mir vor 4 Wochen, nach dem Tode des Kaufmans an den es geschikt worden, ist zugestellt worden. Die Fabeln des Mur. haben mir sehr wol gefallen, und ich sehe, daß Jkr. Meyer die Idee seiner Fabel daher genommen hat. Sein Neveu Jkr. Schneeberger ist ein sehr artiger Jüngling, der mich wegen der vielen andern, die ofte herkommen schadlos hält. Was macht denn Hr. Heß, der mir versprochen hat, seine Bekanntschaft durch einen Briefwechsel zu unterhalten? Ich habe seit dem er von hier verreißt ist gar nichts von ihm gehört.

Mein Haus ist gedekt, und die schwersten Geschäffte sind vorbey. Aber jezo habe ich ein Geschäfft von einer andern art. Ich soll auf des Königs Geburths Tag einen Panegyricum halten. Lieber wollte ich ein ganzes Buch schreiben, als etwas von dieser art.

Ich grüße Hrn. Wieland

Und wenig andre welche würdig sind
Zu Euch gesellt zu seyn
– – –

Meine Frau empfiehlt sich den beyden Dichtern, die ihr so viel angenehme Stunden machen. Wenn Sie begierig sind von dem Process der Acad. mit Hrn. König etwas zu wißen so lesen Sie meinen Brief an Hrn. Breit. Ich verharre

ihr ergebenster und geh.
Sulzer

Berl. den 11 Nov. 52.

P. S. Ramler ist jezo beschäftiget eine Samlung von kleinen Gedichtchen herauszugeben, wodurch er die Ehre der Deütschen retten will. Er meint, daß diese Samlung das erste recht poetische seyn werde, das die Deütschen aufzuweisen haben. Er wird einige von Gleims, Uzens, Hagedorn und Gellerts und hernach seine eigene Stüke herein thun. Die erstern aber sollen alle, ohne, daß die meisten Verfaßer davon wißen durch seine Feile gehen. Denn es ist unmöglich, daß ohne seine Feile etwas gutes herauskommen kann.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 189–194.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »den 4 Christ. umständlich beantwortet, nebst überschik. eines Noah und 4 bestimmungen mittelst der Herren ⟨bey d Hauen⟩. den 9 habe ihm durch die Post geschrieben«.

Eigenhändige Korrekturen

Homers u. Miltons glauben
Homers ⌈u. Miltons⌉ glauben
Natur hat ihm
Natur allein hat ihm
W. von den hiesigen
W. aufvon⌉ den hiesigen

Stellenkommentar

Ich schrieb ihm
Vgl. Sulzers Brief an Haller vom 12. November 1752. (Burgerbibliothek Bern, N Albrecht von Haller 105.60, Sulzer, Johann Georg: 4).
Bathos
Griech. βάθος (»Tiefe«), hier für Niedrigkeit und Gesunkenheit.
Fabeln des Mur.
Bodmer hatte die Büchersendung, die auch Fabeln von Béat Louis de Muralt enthielt, bereits im Herbst 1748 an Sulzer geschickt. Vgl. seinen Vermerk auf dem Brief letter-sb-1748-10-12.html.
Jkr. Meyer die Idee seiner Fabel daher genommen hat
L. Meyer von Knonau, Ein halbes Hundert Neuer Fabeln, 1744.
Jkr. Schneeberger
Nicht ermittelt.
Panegyricum
Vgl. Berlinische Nachrichten, 25. Januar 1753: »Vormittags wurde dieses Königl. Geburts=Fest von dem hiesigen Joachimsthalischen Gymnasio feyerlich begangen, bey welcher Gelegenheit der berühmte Herr Professor Sulzer eine ausbündige schöne lateinische Rede, von der Liebe des Volcks gegen seinen Souverain, hielt.« Sulzer wurde wiederholt mit Lobreden betraut. 1758 publizierte er eine Lobrede auf den Geburtstag des Königs bei Grynäus und Decker. Vgl. Brief letter-sb-1758-01-28.html.
meinen Brief an Hrn. Breit.
Sulzers Brief an Breitinger vom 12. November 1752 (ZB, Ms Bodmer 22.43). Darin steht allerdings nur: »Wenn E HochEhrw. begierig sind zu wißen, was ich von dem Streit der Acad. mit Hrn. König halte, so werden Sie dieses durch den Herrn C. Geßner erfahren, dem ich iezo auch schreiben werde.« Der Brief an Johannes Gessner ist nicht erhalten.
eine Samlung von kleinen Gedichtchen
Der erste Teil der von Karl Wilhelm Ramler gemeinsam mit Christian Gottfried Krause herausgegebenen Oden mit Melodien, 1753.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann