Brief vom 11. März 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 11. März 1752

Mein werthester Herr und Freünd.

Was für eine Menge angenehmer Nachrichten geben Sie mir in einem einzigen Brief? Ich soll bald den Noah und seine jüngern Geschwister sehen, und eine Probe vom Herman? Ich freüe mich auf diese Sachen zum Voraus, wie die Kinder auf versprochene Geschenke. Wie Vergnügt müßen Sie ihre Zeit zu bringen da so angenehme und würdige Beschäfftigungen zu erfüllen? Wenn mich ein reicher König fragen würde wer glüklicher wäre, als er, so würde ich sagen Bodmer, und wenn ich die heütigen Tibullen und Anakreonen bewegen müßte ihre Gaaben beßer, als zu poßen anzuwenden, so würde ich ihnen blos zeigen was Bodmer, Klopstok und Wieland geschrieben haben.

Welches Vergnügen, ja welche Glückseeligkeit würde es für mich seyn, ein Zeüge und Vertrauter ihrer Arbeit zu seyn. Wenn Sie die Bäume rauschen hören, die ihr Closet mit Stille beschatten, so denken Sie daß mein Geist kommt Sie zu besuchen um ein Zeüge der hohen Unterredungen zu seyn, die die gottseeligen Musen mit ihnen halten, die mit abgewandten Angesichtern vor den Zimmern unsrer Bacchus und Venus Priestern vorbey eilen.

Es ist doch gut, daß Sie mit einigen wenigen der allgemeinen Verachtung in welche die Poeten und Poesie sonst nothwendig kommen müßten einen Damm vorsezen. Deütschland wird elend mit poetischem Unrath überschwemmt. Ich bedaure recht sehr, daß ich nicht so viel Muße noch Geschik habe, als ich wünschte um den kleinen Dichterchen Lehrreiche Vermahnungen zu geben. Hr. Künzli sollte es thun und wenigstens nur einen Brief an einen angehenden Poeten schreiben so wie Swifft an einen angehenden Geistlichen geschrieben.

Klopstoks Ode an den König von Dennemark hat viel großes, etwas Mittelmäßiges und vielleicht auch etwas schlechtes. Weil Sie sie bald selber werden zu lesen bekommen, so will ich, insonderheit da ich sehr eilfertig zu schreiben genöthiget bin nichts davon Hersezen.

Wißen Sie schon daß wir einen deütschen Homer bekommen. Die 2 ersten Bücher der Ilias sind gedrukt. Es ist keine Popische übersezung aber es sind meines Erachtens sehr schöne Stellen darin, die mir Hofnung geben, daß der Verfaßer mit der Zeit seine Übersezung so ausbeßern werde, daß sie immer schöner seyn wird als die Lateinischen mit welchen wir ungriechische Leüte uns behelffen.

Racinens Urtheil vom Meßias befrömdet mich nicht. Ich hätte es beynahe vorhersagen können. Welcher Franzose kan den Milton vertragen? Ich habe hier verschiedenes von Pope gehört, welches nicht beßer war, als was Young den Tscharnern von ihm gesagt hat. Ich kenne auch Leüte deren Gott der wiz ist, dem sie tausendmal mehr dienen, als denen Sachen, die andern heilig sind. Sie erröthen über einen Fehler gegen den Geschmak als über eine Schandthat, und Lieben Bubenstüke, wann sie in Geschmak eingehüllet sind.

Ich arbeite nun aus allen Kräfften mein kleines Landgut Mitten in Berlin dies Jahr so in stand zubringen, daß ich künftiges Jahr darin wohnen kann. Diese Possession sollte einen Poeten vom besten Geschmak reizen. Ich bin von allen Seiten mit Waßern und Bäumen umgeben, und Schwanen kommen in Heerden an meinen Garten. Ich kan in meinem Garten zu Schiffe gehen und ohne gesehen zu werden außer die Statt fahren. Längst der einen Seite des Gartens ist einer von der schönsten öffentlichen Spaziergangen, und mit dem allem bin ich im Mittelpunkt der Statt und habe drey Königliche Palais in meinem Gesichts Kreis. Aber alles dieses könnte ich verlaßen um bey Ihnen zu seyn, nur meine angenehme Frau und ihr Holdseeliges Kind nicht. Diesem will ich in der Einsamkeit meines Gartens ihre geistlichen Kinder zu angenehmen Gespielinnen machen, und sie soll den Namen ihrer Mutter und Bodmers Name zugleich stammeln lernen.

Es ist doch gut daß Hr. Dr. Geßner wieder aufkommt, er könnte nicht anders, als sehr schlecht besezt werden. Ich wollte daß gar niemand in Zürich diese Stelle annehmen könnte, damit ich ein Recht bekäme micht darum zu bewerben.

Nun muß ich wieder meinen Willen enden. Mein Bau rufft mich ab.

Ich verharre

Ihr ergebenster Dr.
Sulzer

den 11 März.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 165–169 (Auszug).

Anschrift

A Monsieur le professeur Bodmer à Zurich.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers auf der Umschlagseite: »den ⟨1⟩ Mai 1752 habe H Elsner an Hr. Sulzer mitgegeben, einen brief 3 portraits en ombre, und Antiovid«. – Vermerk Bodmers auf der zweiten Seite unten: »Si altenaviensem intelliget miror«. – Vermerk Bodmers auf der letzten Seite: »habe ihm auf die Ostermeße gesandt, mit Hn Geßners wahren, durch adresse Hrn prof. Gellerts 4 Noah. 3 Rachel. Hr. Dr. Geßners dissertat. de petrificatis. Seligmachung Abadonas. Ferner durch H Kleinmann 1 Rachel und briefe, und meinen Hymnum. Hr. von Hagedorn habe gesandt 1. Noah. 1. Rachel 1. Beurtheilung des Noah. der Eremite im Mscpt. 1. nöthige Nachricht Fresenius durch mit Hn Geßners Wahren, Hn Gellert adressirt: durch Hn Kleinmann in Avis brief und Fresenius.«

Eigenhändige Korrekturen

Anakreonen bewegen müßte
Anakreonen bewegen sollte müßte

Stellenkommentar

so wie Swifft
J. Swift, Letter to a Young Gentleman, 1721 (dt.: Herrn Swiften Schreiben an einen jungen Geistlichen).
Klopstoks Ode
F. G. Klopstock, Ode an den König. Kopenhagen den 26ten Jenner 1752, Hamburg, bey Johann Carl Bohn.
einen deütschen Homer bekommen
[M. D. Blohm], Versuch einer gebundenen Übersetzung der Ilias des Homers, 1752–1754. Neben Michael Dietrich Blohms anonymer Übersetzung erschien 1752 eine zweite Übersetzung Homers in Altona von Johann Adolph Peter Gries.
drey Königliche Palais
Das Schloss Monbijou (im Zweiten Weltkrieg zerstört), das Königlich-Preußische Residenzschloss (Stadtschloss) und das Palais des Prinzen Heinrich (heutige Humboldt-Universität).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann