Brief vom 9. Januar 1767, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 9. Januar 1767

den 9. Jan.

Das Päkgen, welches Hr. Kraft mitgebracht hat, und ihr lezter Brief, den ich durch Hrn Escher bekommen habe, sind fast zu einer Zeit angekommen. Dank haben Sie mein theürester, für das immer anhaltende zärtliche Andenken für ihren so entfernten Freünd, und für die süßen Stunden, die ihre Briefe ihm machen. Hirzels Blaarer hat mich sehr vergnügt, ich sage ihm dieses und die Wünsche, die er dadurch in mir rege gemacht hat selbst, und würde dieses vermuthlich gethan haben, wenn Sie auch vergeßen hätten mich deßen zu erinnern.

Izt ist meine stärkste Aufmerksamkeit auf Genff gerichtet. Die Ruhe der Bürger brütet vielleicht Griechische Tugenden aus. Vielleicht zeigen sie uns bald Sachen, die man nicht mehr gewohnt ist zu sehen. Noch sehe ich nicht ab, wie die beyde Cantone sich mit Ehren aus diesem Handel ziehen werden. Wenn irgend wo ein Tribunal wäre, wo jeder Helvetier eingeschrieben ist, so würde ich, im Fall die Cantone einen freyen Staat helffen zu Grunde richten, eben das thun, was der ehrliche R. in Ansehung seines Bürgerrechts gethan hat. Wie dem guten Philosophen kein Land mehr übrig bleibt, wo er ruhig seyn kann, so bleibet mir keines mehr übrig, deßen Bürger ich seyn möchte, wo es nicht etwa eines der noch ungesitteten Länder jenseit des großen Waßers ist.

Ich befürchte sehr, daß Füßli ganz Elend sey. Ich habe einen Brief von 3 Zeilen aus London von ihm bekommen, darin er mir sehr rund sagt, daß er das was der Chev. M. für ihn ausgelegt hat, izt nicht bezahlen könne. Dieses izt lege ich so aus, als wenn er niemal gesagt hätte. Ich habe mir vorgenommen aus guten Gründen dem Gesandten dieses nicht zu sagen, sondern habe mich selbst als sein Schuldner dargestellt und werde ihn auch befriedigen. Den Füßli habe ich vermahnt England zu verlaßen und hieher zu kommen. Folget er nicht, so bin ich seinethalber in großen Sorgen.

So sehr geneigt ich auch bin zu glauben, daß Hume der Man nicht ist, für den R. ihn hält, so anstößig ist mir doch das Verfahren in der Bekanntmachung des Exposé. Wenn R. alles ist, wozu das Exposé ihn machen will, so bleibt er mir in seiner Verwirrung Hochachtungswürdig, und wenn H. in allem, was R. ihm Schuld giebt völlig rein ist, so wird mein Urtheil über ihn, blos durch den lezten Schritt festgesezt. Schwerlich wird R. von Walpole so verachtet, wie dieser von mir. Diese Sache muß Voltaire auf 10 Jahre neües Leben geben. Eine solche Freüde hat er vielleicht in seinem Leben nicht gehabt.

Wenn ich an Eschers oder Heideggers Stelle in Genff gewesen, so würde ich so gleich nach der abscheülichen Declaration des Bauttev. die Statt verlaßen haben. Sind nicht die Cantons selbst dadurch beschimpft?

Der Hr Landv. Engel verdient alles Lob, daß er sich der guten Sache so eyfrig annihmt, und ich wollte wol etwas mehrers für ihn thun, als blos sein Werk anpreisen. Aber ich habe nicht den geringsten Einflus auf irgend ein Journal. Zu dem scheint mir sein Werk auf gar zu viel willkührliche Säze gegründet.

Sagen Sie doch dem Hrn. Ott, daß ich von seiner Bereitwilligkeit auch unersucht mir gefällig zuseyn gerührt bin. Kürzlich habe ich den Agathon gelesen, und doch mehr gutes darin gefunden, als ich erwartet hatte, auch komt mir der Epitomator der Lit. Briefe nicht so schlecht vor, als er Ihnen zuseyn scheint, ungeachtet ich es für Höchst ungereimt halte, vom Pr. Abt so urtheilen, wie er gethan. Leßing ist als Oberaufseher der Schaubühne nach Hamburg beruffen und schon dort. Lambert macht Mine uns zuverlaßen. Er ist sehr verdrießlich darüber, daß der König kein Zeichen giebt, woraus abzunehmen wäre, daß er ihn für einen so großen Man halte, als er uns vorkomt. Er hat aus Russland einen Antrag bekommen. Was so natürlich zu begreiffen ist, daß der König weder seine Photometrie noch sein Organon gelesen habe, will er nicht begreiffen. In der That aber will er noch leichtere Wahrheiten, die sein Individuum angehen nicht begreiffen.

Seit einiger Zeit habe ich wieder verschiedentlich gegen kleine Anfälle auf die Gesundheit zu kämpfen. Es scheinet doch, daß meine lezte Krankheit einen Theil der natürlichen Stärke meines Körpers zerstöhrt habe. Dieses sollte mir eben nicht sehr verdrießlich seyn, wenn es mich nur nicht so ofte zur Arbeit untüchtig machte. Das Verlangen etwas gutes nach mir zu laßen ist da. Aber bald besorge ich, daß das Vermögen dazu zu gering seyn möchte. Die Glükseeligkeit, die Sie genießen, Früchte ihrer Arbeit zu sehen, wird mir schwerlich zu theil werden. Aber ich genieße das ihrige mit, weil ich Theil daran nehme, ob ich sie gleich nicht mit verdient habe. Aber dies ist der Vortheil der Freündschaft, daß das Glük derer, die wir lieben auch auf uns fließt.

Wir haben so ofte von dem noch lebenden Gottsched mit einander gesprochen, daß ich mich nicht enthalten kan, izt, da er endlich zu seinen Vätern gegangen ist, seiner zum lezten mal zu erwähnen.

Versäumen Sie doch nicht mich von den Begebenheiten in Genff zu unterrichten, und wenn Sie nicht schreiben wollen, so tragen Sie es dem Hrn. Escher auf, der sich scheint ein Vergnügen daraus zu machen, mir zu schreiben. Ich grüße und umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am oberen Rand der ersten Seite: »67«.

Stellenkommentar

Blaarer
H. C. Hirzel, Das Bild eines wahren Patrioten, 1766.
ich sage ihm dieses
Vgl. Sulzers ebenfalls am 9. Januar 1767 in Berlin verfasstes Schreiben an Hans Caspar Hirzel. Darin: »Mein werthester Freünd. Unser Bodmer hat mir ihren Obman Blaarer, ein sehr werthes und angenehmes Geschenk zugeschikt. Sie haben einen fürtrefflichen Weg erwählt, ihre Mitbürger zu unterrichten und zu guten zu reizen. Außer dem lebendigen Beyspiel, ist dieses vielleicht der einzige Weg etwas auszurichten.« (ZB, Fa Hirzel 237).
R.
Rousseau.
einen Brief von 3 Zeilen aus London
Nicht ermittelt.
Chev. M.
Andrew Mitchell.
Declaration des Bauttev.
Zur Deklaration des französischen Botschafters Pierre de Buisson de Beauteville vgl. EidA, S. 289–291.
Epitomator
Johann Gottfried Herder, der in Ueber die neuere Deutsche Litteratur, 1767, mehrfach auf Thomas Abbt einging. Herder schätzte Abbt ungemein und würdigte ihn auch in Ueber Thomas Abbts Schriften. Der Torso von einem Denkmaal, an seinem Grabe errichtet, 1768.
seine Photometrie
J. H. Lambert, Photometria, 1760.
zu seinen Vätern gegangen
Gottsched war am 12. Dezember 1766 in Leipzig gestorben.
ein Vergnügen daraus zu machen
Briefe Salomon Eschers an Sulzer nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann