Damit ich Ihnen, mein theürester, im Fleis des Schreibens nicht nachgebe, und damit nicht noch einmal unsre Briefe vor einander vorbey gehen, so schreibe ich Ihnen gleich wieder, nachdem ich ihre Blätter vom 19 und 21 Jul. gelesen habe. Ich kan doch in meiner Einsamkeit mir keine angenehmere Beschäftigung machen. Und Beschäftigungen die mir angenehm sind, habe ich umso mehr nöthig, da ich verschiedene Verrichtungen habe, die es nicht sind, und da überhaupt die Lage der Dinge, die ich täglich sehe oder höre, so ist, daß man lieber nur an sich und an seine Freünde, als an das Ganze denkt. Da Sie mich aufzufodern scheinen Ihnen meine Gedanken über diese Dinge zusagen, so will ich Sie ganz in meine Seele hinein sehen laßen. Darin sollen Sie sehen, daß ich über das Magazin der Gedanken, welche Politik, offentliche Anstalten, Regierungskunst, Wolstand der Völker betreffen einen Vorhang gezogen habe und sehr selten mir erlaube ihn ein wenig von der Seite weg zu ziehen. Denn seit dem ich gesehen habe, daß die größten Regenten von Eüropa aufgehört haben Häupter der Völker zu seyn, und ihr Hohes Amt mit dem kleinen Beruff eines Kauffmans vertauscht haben, ist mir alle Lust vergangen, ihren Anstalten zuzusehen. So wie ich schon vorher gewohnt war, mit der größten Gleichgültigkeit vor den unermeßlichen Gewölben der Kaufleüthe hin und herzugehen, so geht es mir izt mit den Cabineten der Großen, nachdem sie zu Handlungs Comptoirs geworden sind. Seit vielen Jahren her habe ich an einen Entwurff gedacht, nach Platonischer Art eine Republik zu stiften, die sehr arm aber sehr mächtig, sehr unwißend aber sehr verständig, sehr einfach, aber sehr glüklich wäre. Aber izt denke ich wie jener, den Brutus in seine Verschwörung hat ziehen wollen: [→]τῳ νουν ἐχοντι δια φαυλους και ἀνοητους – ταραττεσθαι μη καθηκειν. Die Eüropäische und Asiatische Monarchien liegen izt gleich weit von meinem Gesicht weg. Sie mein theürester, haben, wie ich sehe unendlich mehr, als ich von dem, was der Engländer public-Spirited nennt. Ich wünschte nur, daß Sie so viel Vermögen, als Willen in der Genffer Sache hätten. Durch ihre Furchtsamkeit gegen Frankr. verrathen ihre Republicaner ihre Schwäche gar zu sehr. Selten ist einer furchtsam, der seine Stärke fühlt. Und ihre Aristokraten verrathen dadurch einen großen Unverstand, daß sie fürchten alzusehr ins gemeine zufallen um von vornehmen Mächten geachtet zuwerden. Unsern Zustand kann ich Ihnen nicht beßer beschreiben, als wenn ich sie auf den ehrlichen Bodin verweise, der in verschiedenen Capiteln seiner Republic von uns zu sprechen scheint, ob er gleich von den Italiänischen Projektmachern und dem Finanzwesen unter den lezten Valois spricht. Man sieht daraus, daß dieselben Scenen immer wiederkommen, die Griechen in Rom, die Italiäner in Frankreich, die Franzosen in Preüßen, die Deütschen in Rußland, sind immer dieselben Menschen und Spielen dieselben Comedien. Was Ihnen der Director von dem ehrl. Schwarz gesagt hat, ist völlig richtig, und hat mir viel Kummer gemacht. Aber das Übel ist ohne Heilung.
Wir haben izt einen Sohn des Arzts Tronchin hier, der mit dem Ritter Mitchell aus London herüber gekommen ist. Er besucht mich ofte in meinem abgelegenen Garten; aber sein Name macht, daß ich mich wieder meinen Willen etwas zurükhaltend gegen ihn betrage. Durch ihn haben wir hier erfahren, daß Rousseau mit seinem Freünd Hume zerfallen ist. Dieser hat seinem König so viel von seines Freündes Verdienst und Elend gesagt, daß der Monarch so gleich dem R. eine jährliche pension ausgemacht, die dieser nicht haben will. Urtheilen sie, wie ein junger Tronchin, diese Sache vorstellt und was für ein Triumph über den armen R! Ausnehmend ergeze ich mich an der Antwort, welche die Zuger nach Vers. geschrieben haben. Die Worte sind Spartanisch; aber würden es im Fall, auch die Thaten seyn? Hat SklMr. H. auf die Bürgermeisterwürde Verzicht gethan, oder glaubt er sie durch Aristokratische Gewalt zu bekommen?
Unsers Füßli erwähne ich ungerne; weil ich lieber alles vergeßen wollte. Aber durch vergeßen wird nur die Schuld ausgelöscht die ich zufordern habe, die noch größere bleibt und zwingt mich an die Sache zu denken. Allem Ansehen nach wird über meinen Brief daßelbe Gericht ergehen, was über die Kupfer der Noachide, und die Schimpfwörter werden noch brennender seyn, als das Feüer selbst. Aber wie konnte ichs anders machen?
Unser würdige Wegelin wird immer vergnügter. Wir haben ihm bey der Academie die Archivisten Stelle mit 250 . Gehalt gegeben. Lieber hätte ich gesehen, daß er dieses Gehalt als Academicus bekommen hätte, welches aber vor der Hand nicht angehen konnte. Ich tröste ihn damit, daß auch mancher nur Stattschreiber ist, der verdiente Burgermeister zu seyn. Er fährt ofte über die Spree zu mir, und dann ruffen wir auch ihren Schatten zu uns. In zwey Monaten werden wir unter einem Dache wohnen. Weder er, noch ich, noch irgend jemand bekomt Lamb. anders zu Gesichte, als in den Versamlungen der Academie. Aber auch da spricht er mit niemanden. Wir hätten also denselben Nuzen von ihm, wenn er in London lebte. Diese Statt bringt mich wieder auf den König von Engl. Es gefällt mir doch, daß er sein Wörtchen mitspricht. Ich traue dem Grafen von N. & Val. kaum zu, daß er so viel thun werde; es sey denn, daß man ihn darum ersuche. Denn diese Sachen sind ihm Kleinigkeiten.
Meiner Gesundheit halber stehe ich doch noch immer in einiger Besorgnis, und ich schreibe inliegenden Brief an Dr. Z. um entweder Trost oder guten Rath von ihm zu holen. Ich bin kaum jemals weniger zum Nachdenken geschikt gewesen, als izt seit 2 oder 3 Monaten, und gewiße kleine Unordnungen im Leibe, die sonst in einigen Tagen vorüber gehen, dauren bey mir nun schon ein ganzes Jahr. Wenn nicht die angenehme Morgen des Landlebens Balsam in mein Blut gößen, so wär ich vielleicht krank.
Lezthin habe ich endlich eine Probe von ihrem Porcellan, oder wie man es sonst heißen mag bekommen. Es hat mich in der That vergnügt. Aber mit den Preisen, die sie darauf sezen, werden sie unmöglich fortkommen; da es beynahe eben so theüer ist, als das Meißner.
Mit [→]Hrn. E. der kürzlich von uns wieder gekommen ist, seyen Sie etwas auf ihrer Hut. Er scheint das gute zu lieben, insoweit er es sieht. Aber sein Gesicht reicht nicht weit. Und ich habe mehrmalen bemerkt, daß dergleichen junge Leüthe die Art an sich haben überall herumzutragen, was man mit Ihnen spricht, und daß sie dieses so gar zum Zwek haben; auch wenn sie vielleicht selbst glauben, sie wollen sich nur unterrichten laßen. Sagen Sie ihm, daß ich seinen Brief bekommen habe, und ihm schreiben werde, sobald ich etwas mehr Muße habe. In der That habe ich, wenn ich in der Statt bin nicht Zeit zu schreiben, und hier schreibe ich nur an Freünde, die ich gerne in diese ländliche Wohnung zu mir ruffen möchte.
So weit habe ich vor acht Tagen geschrieben, bin aber vom Schreiben abgeruffen worden und habe seit dem nicht wieder darankommen können. Damals hatte ich noch viel im Kopf, das ich Ihnen sagen wollte, so izt verschwunden ist. Nur eines fällt mir bey, das in einer Bitte besteht. Als ich vor 4 Jahren bey Ihnen war, brachten wir einen Nachmittag auf dem so genanten Venedigli zu. Dort sah ich im Garten eine Art Rohr, das sonst in Italien wächst und von den Botanicis insgemein Arundo Sativa genennt wird. Davon möchte ich gern Ableger haben. Ersuchen Sie den Dr. Hirzel in meinem Namen dieses zu besorgen. In dem bevorstehenden Herbst müßte man von der Wurzel der alten Pflanze die Ableger wegnehmen, den Winter über im Keller, in feüchtem Sand aufbehalten und bey der ersten vorfallenden Gelegenheit ebenfalls in Sand mir zuschiken. Sagen Sie dem Dr. dabey, daß er mir einen nicht geringen Gefallen damit thun würde. Wenn sich keine andre Gelegenheit finden sollte mir diese Pflanze zuschiken, so könnte man einen gewißen Hoffmeister, der alle Jahre ein paar mal durch Berlin nach Frankfurth an der Oder reitet, ersuchen sie mitzunehmen.
Ich umarme Sie von ganzem Herzen.
JGS.
den 16 August.
den 26 Aug.
Aus dem neüen dato können Sie urtheilen, wie unordentlich es bisweilen bey mir zugeht. In den lezten 8 oder 9 Tagen habe ich beständig in der Statt seyn müßen, daher mein Brief liegen geblieben ist. Ich habe erfahren, daß zwey Citoyens de Gen. in Potsdam gewesen, und sich unter der Hand bey dem K. haben melden laßen. Man hat sie gesprochen. Aber es scheinet, daß man nicht Lust hat sich in Geschäfte zu mengen, wo man nicht mit dem nötigen Nachdruk sprechen kan.
Unser Wegelin hat considerations sur les principes moraux des gouvernemens druken laßen. Eine Metaphysik der Staatsklugheit. Es werden ihm aber nur wenig Leser folgen können.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Brief an Johann Georg Zimmermann.