Mein theürester Freünd.
Ich schike Ihnen einen Brief an Füßli offen, damit ich nicht nöthig habe von dem Verdrießlichen Inhalt deßelben, Ihnen noch besonders zu schreiben. Ich bin versichert, daß Sie nichts unversucht laßen werden, was einiger maaßen dienen könnte diesen seltsamen Menschen zum Nachdenken zu bringen und mich aus der Verlegenheit zu ziehen. Ich besorge gar sehr, daß man ihn möchte fortschiken, und dann sehe ich nichts, als Noth und Elend vor ihm.
Meine Gesundheit ist erträglich, aber ich habe weder meine vorige Kräfte, noch das ehemalige Gefühl des Wolseyns, wieder bekommen. Izt lebe ich einsam unter den Moabiten, mehr ein animalisches, als ein vernünftiges Leben. Denn auch der Kopf ist noch nicht in der Lage, darin er seyn sollte und auch sonst gewesen ist. Dennoch habe ich viel Arbeit, die mich aber mehr an Zeit, als an Nachdenken kostet.
Ich bin weit glüklicher, als ich es anfänglich gewußt habe, daß die Jfr. M. von mir gegangen ist. Sie hat mein Haus und das kleine Hauswesen meiner Kinder in äußerster Unordnung zurükgelaßen. Es kostet viel Zeit und viel Geld, alles wieder auf einen erträgl. Fuß zu sezen. Sie hätte mich auch bald um einen Theil meines Guten Namens gebracht, da Sie überall ausgestreüt hat, sie müßte im Hause, aus Mangel des Geldes alles umkommen laßen. Dadurch wollte sie ihre ungereimte Verschwendung beschönigen. Laut ihren eignen Rechnungen, hat Sie jeden Monat 100 Gulden verzehrt, und dabey lebten wir wie die gemeinste Handwerksleüthe, und meinen Kindern fehlte es an Schuhen und Strümpfen p. Urtheilen Sie, ob dieses Leben in die Länge hätte gehen können. Daß Sie an gar vielen orten sehr ungereimtes Zeüg von mir sagt, ficht mich nichts an. Ich hätte es noch viel theürer gern erkauft, sie loszuwerden. Ich habe erfahren, daß Hr. Escher ihr Vertrauter gewesen, also werden Sie von diesem noch manches hören müßen. Aber genug hievon.
Ich möchte nicht gern, daß es lautbar würde, wie es zugegangen ist, daß wir Eülern verlohren haben. Aber ich möchte doch auch noch weniger, daß ich einen Theil der übeln Nachrede tragen müßte ihn weggebißen zu haben. Die Hauptsumme deßen, was ich Ihnen hierüber sagen könnte ist diese.
Der König hatte bey der Academie eine Comission ernannt, die oeconomische Umstände derselben, die in äußersten Verfall gekommen waren, wieder in Ordnung zubringen. Eüler, der seit langer Zeit diese Sachen fast allein besorgt hat, war mit dieser Comission sehr übel zufrieden, doch war er selbst einer der Comissarien. Er wiedersezte sich fast allen Vorschlägen, die wir thaten, in dem er jede Abändrung der alten Weise, als einen Tadel seiner bisherigen Anstalten ansah. Doch lieff in den Conferenzen alles anständig ab. Da es aber darum zu thun war dem König endlich einen neüen Plan vorzulegen, schrieb E. ohne jemand etwas merken zulaßen, an den König und wiederlegte zum Voraus den Plan, den er doch selbst hätte unterschreiben müßen, weil er geholffen hat ihn zu machen.
Der König fand seine Wiederlegung so gründlich, daß wir ordre bekamen ohne weiteres, diejenige Einrichtungen zu machen, die E. hat wiederlegen und hintertreiben wollen. An E. selbst schrieb der König einen Brief, der scherzend war, aber voll Spott.
In dem wir also die neüen Einrichtungen machen, fährt E. fort für sich an den K. zuschreiben, und besteht darauf, daß alles müßte umgestoßen werden; bis er endlich vom K. einen Brief bekomt, der so ernsthaft war, daß ihm die Lust vergieng, die Correspondenz fortzusezen. Dieses empfand E. so sehr, daß er sogleich seinen Abschied verlangte, den er endlich nach vielen Umständen bekommen hat. Dieses ist der wahrhafte Verlauff der Sache.
Damit Sie nun urtheilen, wie weit Eüler gegen die Comission recht habe, so muß ich hinzuthun, daß durch unsre Veranstaltungen die Revenuen der Academie von 13 bis 14 tausend Rthlr. auf 20 tausend gekomen, daß wir izt, ohne weitern Anfrag oder Erlaubnis jährlich über 3000 . aus der Casse nehmen und zu guten anstalten verwenden können, da vorher nicht 100 . zu nehmen erlaubt war.
Es wird Ihnen seltsam vorkommen, daß ein Academicus und gebohrner Calculator vorgeben kann, wir haben durch unsre Anstallten, die Academie ruinirt. Der König selbst verwunderte sich sehr darüber, und antwortete E. einmal: [→]quoique je ne sache pas calculer des lignes courbes, je comprends pourtant que 16 sont plus que 13. Nämlich Eüler wollte nicht haben, daß wir eine gewiße Revenue die bisher 13 000 gewesen war, durch gute Anstallten auf 16 sezen sollten.
Überhaupt war diese Comission den Geometris fatal. Denn auch Lambert hat dabey alles Ansehen bey der Acad. verlohren. Aber aus ganz andern Ursachen. Dieser wollte durchaus allezeit in allen Stüken, und in allen Neben Umständen recht haben, und trieb würklich die praesumtion bis weit ins lächerliche, so daß er gar sehr viel von seinem Credit unter seinen Mitbrüdern verlohren hat. Wenn wir einmal hievon mit einander plaudern könnten, so könnte ich ihnen ganz unglaubliche Dinge erzählen. Denn kaum kan ich sie glauben, da ich Zeüge davon gewesen bin. Mir macht es nicht wenigen Verdruß zu sehen, daß ein Mensch von so gewaltigem Genie wie Lambert, so sehr alle Menschen von sich wegstößt, und folglich zulezt auch von ihnen wird weggestoßen werden. Was für eine gefährliche Sache ist es doch, ein großes Genie zu haben!
Ich habe den Kopf so voll von mancherley verdrießlichen Vorstellungen dieser Art, daß ich für diesmal Ihnen mein theürester nichts weiter zu schreiben im Stande bin. Sollten Sie glauben, daß mein Brief an Füßli zu stark ist, so gebe ich Ihnen die Erlaubnis ihn zu unterdrüken, nur müßten Sie alsdenn meine Foderung an ihn gelangen laßen. Ich umarme Sie von Herzen.
Über ihre Schulanstalten kann ich Ihnen izt nichts sagen. Da ich aber eben izt damit beschäftiget bin einen neüen Plan für das Joachimsthal. Gymnasium zu machen, zu deßen Visitator man mich gesezt hat, so könnte ich Ihnen seiner Zeit meinen Plan zukommen laßen.
Adieu. S.
aux Moabites den 27 Junij.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Vermerk Bodmers am Ende der letzten Seite: »45 sterlin. 40. – 20. –«.