Mein theuerster Freund.
Wie sehr ich meine Amanuenses anspornete, hette ich beynahe die Zeit verlohren, da die Meßfuhren nach Leipzig verreisen. Kaum konnte ich die Abschrift flüchtig genug mit dem Autographo vergleichen. Wenn sie eine ungleichheit in der Orthographie bemerken, so ist die schuld der verschiedenen Abschreiber. Ich denke aber, jeder gute sezer werde sich dießfalls selbst helfen können. Ich verlaße mich zugleich auf den Corrector. Wo man anstehen möchte, wie ein Wort sollte gelesen werden, wird man sich mit der gedrukten ersten Auflag schon helfen können.
Dise fehler machen mir weniger Mühe als die poetischen sünden. Ich hoffe sie nehmen die arbeit auf sich, daß sie das stük sorgfältig überlesen. Ich habe zwey Exemplare, die gegenwärtiger Abschrift ganz gleich sind. Sie dörfen mir in wichtigen Stellen nur das Verbrechen anzeigen, damit ich durch die post darauf antworte. Aber in kleinen dingen, wo nur ein Wort beßer gegeben werden kann, da gebe ich ihnen volle Macht. Seyen sie mein Aristarchus.
Ich halte für unnöthig daß die Verse numerirt und ausgezeichnet werden. Die Edition werden sie wol in Octav und so veranstalten, daß der Hexameter auf die Zeile geht. So lang die Maxime bey den kunstrichtern und Journalisten herrschet, daß man in den fremdesten und ältesten geschichten das Costume unserer nation und die meinungen unserer leser zu rath ziehen müße, so lang wird die Noachide verworfen bleiben. Auch denjenigen muß sie nothwendig mißfallen, die von heftigem und stürmendem Temperament sind, und immer schäumende und brausenden Empfindungen haben wollen; die doch der Betrachtung und dem Genuße des Schönen nur nachtheilig sind, weil sie zu kurz dauern. Ich verspreche mir kein lob von sehr flammenden, sehr flüchtigen köpfen, die das Gefühl, und den Genuß des schönen eben so wenig als den Genuß ihrer selbst und das wahre vergnügen in der Ruhe des geistes und des körpers suchen. Ich hoffe doch daß sie das publicum in ihrem Wörterbuch über disen punkt beßer werden denken lehren, als es von den Journalisten nicht gelehrt wird.
Im zwölften gesang s. 3. sind mir Reime entfallen
– der sündflut Entflohne
– vor dem ewigen throne
und s. 30. z. 3. laße ich den Sem von dem Engel beym Haupthaar faßen. Dergleichen Aergerniße mögen mehr vorkommen, ich gebe ihnen darüber volle gewalt.
In meiner vierten Ilias hab ich Nestor den alten Pferde bezähmer genannt. Die Nicolaiten haben gesagt, warum ich nicht den tapfern Alten gesagt habe, Homer habe doch nur dieses sagen wollen. Wenn Homer nur dieses hat sagen wollen, so will ich auch nichts mehrers sagen. Vermuthlich sind in der Noachide auch dergleichen mahlende beywörter, aber dise wolle ich nicht gern der Critik aufopfern. Ich hoffe Herr Füßli werde ihnen seine und in der ausbildung und ausmahlung diser dingerchen feine Dienste nicht versagen.
den ersten Xber 1763.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Abschrift der Noachide.
Vermerk Sulzers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »1 Dec. 63.«