Es ist mir, mein theürer Freünd, als wenn ich in Jahr und Tag nichts von Ihnen gehört hätte. Man hat in den gegenwärtigen Zeiten, da man beständig so zusagen auf Leben und Todt steht, so viel unordentlich durch einander lauffende Gedanken, daß man sich nichts mehr in seiner natürlichen Beschaffenheit vorstellen kann. Man lebt in den Tag hinein, ohne zu wißen wie. Ich habe die Hundstage in Magdeburg, Halberstatt und den dortigen Gegenden zugebracht und bin so gar auf dem Bloksberg gewesen. Dies ist seit langem die einzige Zeit, die ich ganz im Vergnügen zugebracht habe. Der englische Gesandte Hr. Mitchell hat mir ungemein viel comisches von Gottsched erzält, der in seinem ganzen Betragen noch weit schlechter und poßirlicher ist, als in seinen Schriften.
Gleim wird bald eine Samlung einiger Oden und Lieder der Karschin herausgeben. Wenn er eine ernstliche Wahl macht, so wird diese Dichterin eine der obersten Stufen unter den deütschen Oden und Lieder Dichtern einnehmen. Sie hat Oden gemacht, die Horaz nicht verleügnen würde, und Lieder, die der Sapho ihre vergeßen macht. Die besten Sachen kosten ihr am allerwenigsten, weil sie in der That eine gebohrne Dichterin ist. Man sieht an ihr nichts, als einen Instinkt. Dabey aber will sie gelobt seyn, und wer sie am meisten lobt und ihr am meisten schmeichelt der sezt sie in das größte Feüer und bekommt ihre beste Sachen. Es ist überaus artig zu sehen, wie sie spiehlend sich so weit über den Mühesamen Ramler erhebt, und wenn man diese beyden neben einander sieht, so begreift man überaus deütlich den Unterschied zwischen einem gebohrnen und einem durch Kunst gemachten Dichter. [→]Ramler sagt, sie würde die gröste Dichterin seyn, wenn sie so viel Kunst, als Naturell hätte, und ich halte dafür, daß sie dadurch eben am größten ist. Das epische scheint sie nicht so zu rühren, als das Lyrische, denn zu diesem ist sie gebohren. Am bewundrungswürdigsten an ihr ist ein ihr angebohrner Schwung zur Ode, den sie gar niemal sucht.
In Ansehung der öffentlichen Angelegenheiten leben wir in einer gefährlichen Crisi. Der entscheidende Punkt für den Ausgang des ganzen Krieges scheinet vor der Thür zu seyn. Die größte Macht der Oestreicher und fast die ganze Macht der Rußen stehen in Schlesien gegen den König und so, daß wir keine Nachrichten von den unsrigen haben können, als was sich so durchschleicht. Indeßen stehen die Sachen bis jezo noch ziemlich gut, außer daß die Rußen überall wo sie hinkommen eine erstaunliche Verwüstung machen. Der alte Daun hält sich ganz still und die Schweden bekommen eine Schlappe nach der andern, ungeachtet der Obriste von Belling der gegen sie steht nur eine Handvoll Volks hat, die nicht über 2000 Man ausmachen.
[→]Frankreich thut gegen die Engländer noch sehr trozig. Die Ligue muß mit starken uns noch unbekannten Banden geknüpft seyn. Denn die Foderungen unsers Hofes sind ganz gewiß billig und mäßig und es scheinet gar nicht Frankr. Intreße zu seyn, uns dieselben abzuschlagen und doch hängt der Friede zwischen Frankreich und England blos davon ab.
Ich hatte mir vorgenommen dem Hrn. LeMaitre noch zu schreiben, ich werde aber durch einen Besuch davon abgehalten. Haben Sie die Gütigkeit ihm zu melden, daß einliegender Brief in meiner Abwesenheit eingelauffen und deßwegen einige Zeit bey mir liegen geblieben. Daß ich seinen Neveu den jungen Ancillon gesprochen den ich als einen sehr wakern und fleißigen jungen Menschen gefunden.
Ich umarme Sie herzlich und verbleibe
Ihr getreüster Fr. Sulzer
Berl. den 29 Aug.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen II 1807, S. 334 (Auszug).
Ein Brief an Johann Heinrich Meister.