Brief vom 4. Juli 1761, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 4. Juli 1761

Ich schike Ihnen hier, mein theürester Freünd, [→]die Antwort für ihren Freünd Le Maitre, dem ich von ganzem Herzen dienen werde, so viel in meinem Vermögen steht. Bis jezo habe ich nichts weiter thun können, als seinen Brief bestellen und ihm einige nöthige Erläuterungen zu geben. Sie haben mich durch die Nachricht von dem bevorstehenden Verlust ihres Philokles in Betrübnis gesezt. Ich fühle es nur alzu sehr, wie nahe Ihnen dieser Verlust gehen würde. Auch mir geht er blos für mich nahe, weil ich mir doch immer mit der Hofnung geschmeichelt habe, ihn noch zusehen.

Die Ruhe, welche wir seit acht Monaten genießen ist mir wenig nüzlich gewesen. Es sind an statt der Krieges Unruhen Hundert andre Hinternißen der Arbeit vor mir aufgewachsen und ich fange bald an zu zweifeln, daß ich jemals etwas thun werde, wofür mir die Nachkommende Welt Dank wißen wird. Bey meinen Mitbürgern habe ich wegen der zwey Medaillen einigen Verdient und der König selbst hat mir deßhalb einen sehr gnädigen Brief geschrieben. Je suis d'autant plus sensible, heißt es, à votre attention d'avoir travaillé à honorer ceux qui servent si bien la patrie, que Vous m'avez prévenu sur ce dessein, que j'aurois executé depuis longtems sans les circonstances présentes, qui ne me permettent pas toujours de donner comme je le voudrois à ceux qui se distinguent les marques de consideration qu'ils méritent.

Ich habe den K. sondiren laßen, ob es erlaubt seyn würde eine Folge von Medaillen auf die fürnehmsten Begebenheiten seiner Regierung prägen zu laßen; Man schreibt mir darauf, der König hätte weiter nichts geantwortet als: qu’on avoit bien de bonté pour lui. Diese Bescheidenheit giebt Ihnen einen ganz andern Begriff von ihm, als die Libelle seiner Feinde.

Sie wißen nun schon, daß wir das beschnittene Volk am Bosphorus zu Freünden haben. Es werden hier sehr prächtige Geschenke für das Serail verfertiget, dergleichen gewiß noch kein König dem andern gemacht hat. Aber die Würkung dieser neüen Verbindung wird dies Jahr schwerlich sich zeigen können.

Wir erwarten in kurzem die Nachricht von einer Schlacht gegen die Rußen. Der alte Gen. Ziethen ist im Anzug gegen sie und schon nahe bey Posen. Die vorige Woche bin ich ein Gast des Königs in Sans-Souci gewesen, wo der M. d’Argens eine Zeit lang wohnet. Es wird dort so viel an den kostbarsten Gebäuden gearbeitet, daß man kaum glauben kann, daß der Krieg noch dauert.

Gleim ist 6 Wochen hier gewesen und hat die ungelehrte Dichterin sehr in Athem gesezt. Sie hat ihm über 50 Gedichte in dieser Zeit gemacht darunter verschiedene neben den besten Horazischen Oden stehen können. Er wird etwas davon heraus geben. Diese Dichterin ist ein Phenomen dergleichen ich niemals hätte erwarten können. Nach einiger Bekanntschaft ist ihr persönliches Wesen fast in eben dem Grad unausstehlich, als ihr Geist bewundrungs würdig ist. Ihr Herz ist gut, aber so rohe, wie es die Natur gebildet hat.

Ich habe nun wegen meiner Kinder eine neüe Veranstalltung getroffen, die mir Zeit läßt, mich wegen meines vorhergehenden Planes recht zu bedenken. Sie haben eine Hofmeisterin im Hause, die sich sehr gut anläßt.

Sagen Sie unserm Freünd Künzli, daß er mich entschuldigen möchte, wenn ich noch einige Tage verziehe ihm zu antworten. Eine vierzehen Tage lang anhaltende sehr große Hize hat mich zu einem Asiatischen Weichling gemacht, dem der kleinste Brief eine große Arbeit wird. Ich umarme Sie und mit Ihnen alle unsre Freünde.

S.

den 4 Julij 1761.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief Sulzers an Johann Heinrich Meister.

Stellenkommentar

die Antwort für [...] Le Maitre
Sulzers Brief an J. H. Meister, der Anfang Juli 1761 in Berlin entstanden sein muss, konnte nicht ermittelt werden.
Ruhe, welche wir seit acht Monaten genießen
Während der Belagerung durch russischen Truppen hatte die Stadt Berlin im Herbst 1760 viel Schaden erlitten. Siehe Kommentar zu Brief letter-sb-1760-12-17.html.
einen sehr gnädigen Brief
Friedrich II. an Sulzer, [Potsdam, Ende Juni 1761], nicht überliefert. Abgedr. in: Hirzel Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen 1779, Bd. 2, S. 38. Übers.: »Ich empfinde um so mehr Ihre Aufmerksamkeit, sich um die Beehrung derjenigen, die dem Vaterland so gut dienen, zu bemühen, als Sie mir bei diesem Vorhaben vorgekommen sind, welches ich längst durchgeführt hätte, ohne die gegenwärtigen Umstände, die mir nicht immer erlauben, denjenigen, die sich auszeichnen, so wie ich möchte die Beweise ihrer verdienten Achtung zu geben.«
qu’on avoit bien de bonté pour lui
Übers.: »dass man gegen ihn sehr wohlwollend sei«.
Libelle
Schmähschriften.
das beschnittene Volk am Bosphorus
Vgl. Brief letter-sb-1761-06-01.html.
einer Schlacht gegen die Rußen
Schlacht von Bunzelwitz.
den kostbarsten Gebäuden
Vgl. Giersberg Friedrich als Bauherr 1986, S. 78–139.
etwas davon heraus geben
Zu Anna Louisa Karschs Auserlesenen Gedichten, die 1764 erschienen und an deren Auswahl, Edition und Publikation neben Gleim auch Sulzer und Ramler beteiligt waren, vgl. Wappler Editionspraxis im 18. Jahrhundert 1992.
eine Hofmeisterin
Nicht ermittelt.
verziehe ihm zu antworten
Nicht ermittelt.
Asiatischen Weichling
Schon bei Aischylos und Aristophanes ist die Figur des »asiatischen Weichlings« das Pendant zur männlichen Tugend (Mut).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann