Brief vom 21. Juni 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 21. Juni 1757

Mein werthester Herr und Freünd

Ich muß schon noch diesen inliegenden Brief an ihren Hrn. Schwager an Sie schiken, weil ich seine Titulatur nicht weiß, die ich also auf den Brief zusezen und auch mir zu überschreiben bitte. Man kann sich so gutherzige Leüthe, wie Sie sind, durch sehr weniges verbindlich machen. Die beste Besorgung des mir aufgetragenen Geschäftes kostet mich zwey oder drey Gänge, und einige für meinen Bedienten; das übrige thut der Advocat gerne für seinen Lohn.

Nun halten Sie die Ohren feste; denn bald werden große Neüigkeiten aus Böhmen zu vernehmen seyn. Die Sachen stehen dort also. Der König ist nach der Armee des Herzogs von Bevern gegangen und hat sich von der Pragischen Armee noch 10 tausend Man nachschiken laßen, auch alle noch in Schlesien übrig gewesene Trupen zu sich beschieden. Er stehet also mit 45 tausend Mann gegen den Feld M. Daun, deßen Armee auf 60 t. seyn soll. Der Entschluß ist feste, diese so bald möglich zum stehen zu zwingen und zu schlagen. Den 17 dies erreichten unsre Vortrupen schon Dauns Nachtrab. Also erwarten wir stundlich die Nachricht von einem neüen Sieg. Mittlerweile wird die Belagerung von Prag wie bis dahin fortgesezt, nur daß die Statt mehr geschonet wird, weil man glaubt, daß die Garnison sich geben wird, so bald Daun geschlagen ist, von dem sie einen Entsaz hoffet. Der König hätte Prag schon lange durch Sturm haben können, da der Feind den größten Theil der Statt (die Wälle ausgenommen) verlaßen und sich in die kleine Statt zusamen gezogen hat. Aber das Leben seiner braven Soldaten ist Ihm zu lieb.

Es freüet mich, daß ihre Republik so viel als sie es seyn kann, für uns ist. Der Obrist Lochman hat sich hier einen sehr guten Nahmen gemacht. Wo sind denn die Berner?

Ich habe nun (um auch von kleinern Sachen zureden) ziemlich zuverläßig erfahren, daß die Nicolaitische Bande die Bibliothek der Schönen Wißenschaften besorgt. Ewald sol auch einer davon seyn. Dieser ist iezt in England.

Leßing hat wieder einige Stüke für die Schaubühne gemacht, die er aber zurükhalt. Eine Epopee von dem Inhalt deren, die Ceva gemacht hat, von W. wird was sehr schönes seyn. Därff ich es sagen, daß diese Materie mir beßer gefiele, als der Inhalt der Meßiade?

Kann ich es wagen Ihnen zu sagen, daß mir der Plan der Iliade, wenigstens in sehr vielen besondern Theilen aufhört zu gefallen? Die Handlung wird mir gar zu ofte unerheblich oder unüberlegt. Z. E. wenn Diomedes und Ulyßes abgeschikt werden das feindliche Lager auszukundschaften, so vergeßen sie ihren Endzwek, so bald sie die Pferde des Rhesus geraubt haben. Weiter ist auch aus dieser von so großen Personen unternommenen Expedition nichts erfolget. Dergleichen Incongruiteten scheinen mir gar ofte vorzukommen. So unnachahmbar mir Homer in der Ausführung vorkommt, so mittelmäßig dünkt mich bisweilen die Conduite seiner Action. Sagen Sie mir doch, ob es Ihnen niemals so vorgekommen ist.

Ich weiß nicht wie es zugehen sollte, daß ich den Künsten in meinem Academ. Discours zu wenig sollte gegeben haben. Ich müßte meine eigene Gedanken verleügnet haben.

Mit meinem Lexico eile ich, so viel ich ohne Gefahr eilen kann. Man kömmt in Gegenden, wo es gar zu schweer wird fortzukommen. Versuchen Sie es einmal z. E. unter dem Artikel Zierrathen dem Dichter, dem Mahler, dem Baumeister und dem Tonlehrer, allen auf einmal, und denn einem jeden insbesondere richtige Begriffe zu geben, deütliche und fruchtbare Regeln vorzuschreiben.

Mary Jones' Jacob & Rachel werde bestellen. Vom sterbenden Adam haben Sie gerade so geurtheilet, wie ich, da mir der Hr. v. Kleist schrieb, daß er dieses Stük ins französische übersezen laße. Das ήθος ist allein für die Franzosen, das πάθος, welches wir bisweilen etwas übertreiben ist ihren wizigen Herzen sehr ofte ein Galimathias.

Es wäre artig, wenn Wieland Oden auf den K. v. Pr. machte, da Ramler, der sich κατ’ἐξοχη den Odenmacher glaubt, ganz kalt sizet.

Gleim wollte gerne die Historie des Kriegs schreiben. Allein er ist mit denen Befehlshabern, von denen man das meiste erfahren muß nicht bekannt. Also erwarte ich nichts rechts davon.

Leben Sie wol
Sulzer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 361 f. (Auszug).

Datierung

Das Schreiben ist um oder kurz nach dem 18. Juni, dem Tag der Schlacht bei Kolin, entstanden und zugleich ein Antwortschreiben auf Bodmers Brief vom 12. Juni 1757. Bodmers nachträgliche Datierung auf den 21. Juni 1757 ist somit nachvollziehbar.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Bodmers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »vom 231⌉ Jun. 1757«.

Lesarten

meinen Bedienten
meine Bedienten

Eigenhändige Korrekturen

ist ihren wizigen Herzen
ist Ihnenihren wizigen Herzen

Stellenkommentar

iezt in England
Johann Joachim Ewald, der Thomsons Jahreszeiten übersetzt hatte, reiste 1757 mit einem Herrn von Egerland nach England, kehrte aber im Herbst des gleichen Jahres zurück.
einige Stüke für die Schaubühne
Lessing arbeitete in dieser Zeit u. a. am Philotas.
Hr. v. Kleist
Nicht überliefert. Vgl. Kleist an Gleim, 29. Juni 1757: »Ich habe Ihnen noch niemals was von Klopstock's Tod Adam's gesagt. Dies ist ein großes Meisterstück; ohngeachtet es von allen Regeln abgehet, so hat es in seiner Art kaum seines gleichen. O, der fürtreffliche Klopstock! Ich liebe ihn so, daß ich es nicht sagen kann. Ich wollte gleich sterben, wenn ich dadurch solch Trauerspiel zu Wege bringen könnte. Weil es mir so ungemein gefallen, so habe ich eine französische Uebersetzung davon veranlasset, die schon fertig ist und ehestens soll gedruckt werden.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 418).
κατ’ἐξοχη
Übers.: »schlechthin«.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann