Brief vom 12. Juni 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 12. Juni 1752

Werthester Herr und Freünd.

Sie werden aus dem Dato des beyliegenden Briefs sehen, daß ich schon lange eine Gelegenheit gesucht habe Ihnen ihr Schreiben über den Parcifall wieder zuschiken, nach dem ich es so ofte vergeßen habe. Die andern Sachen kann ich von Ramlern, der sie vermuthlich verworffen, nicht wieder erhalten, und wir sehen uns jezo auch sehr selten. Ich habe ihm noch nichts vom Noah gesagt und er frägt auch nicht danach. Es ist mir nich mehr möglich mit ihm von solchen Sachen zu sprechen, und er ist so höflich, oder so furchtsam, daß er niemalen davon anfängt. Hingegen erholt er sich hernach an meiner Frauen, wenn ich nicht zu Hause bin, und sagt ihr viel verächtliches von den deütschen Dichtern. Es ist doch schade, daß er einen so unerträglichen Stolz hat, daß er nicht einmal mehr weiß, daß er sich bey verständigen Leüten durch sein Großthun und Verachtung großer Männer selbst verächtlich macht.

Aber warum stehe ich so lange an Ihnen vom Noah zu sprechen? Sie wißen zwahr alle meine Gedanken davon albereits und ich därff nur noch hinzusezen, daß ich mit ihren Veränderungen ungemein wol zufrieden bin, und wünsche, daß Sie künftig derer noch mehr machen mögen. So ungemein ich dieses Werk verehre, so sind doch noch Stellen die ich übergehe, wenn ich es vorlese, aus Furcht, daß meine Zuhörerin (denn diese ist meine Willhelmine) dort die Aufmerksamkeit möchte fallen laßen. Ofte sind es nur einzele Verse, oft aber ganze Abschnitte, die ich so auslaßen muß. Ich will Ihnen mit einer nähern Critic nicht beschwerlich fallen und mich gegen Sie auch nicht ohne Noth bloßgeben. Wenn Sie es aber verlangen, inso fern Sie gerne werden wißen wollen, was dieser oder jener bey durchlesung ihrer arbeit gedacht hat, so will ich Ihnen künftig ein Exemplar mit Randgloßen zurük schiken. Ich habe (mit ihrer gütigen Erlaubniß) das Exemplar dazu gebraucht, das Sie dem Hrn. v. Kleist bestimmt hatten, dem ich es nicht schiken konnte, weil er schon auf werbung verreißt war und ich nicht weiß, wo er sich aufhält. Eines habe ich Hrn. Hofpr. Sak gegeben, der Ihnen für die Achtung sehr viel dank weiß und das vierte werde ich Hrn. Spalding selbst einhändigen, da ich ihn bald zu sehen hoffe. Sonst sind keine Exemplare hergekommen, wie ich es leicht vermuthet habe. Wenn dies Werk nicht bald in Deütschland aufgelegt wird, so wird es noch etliche Jahre lang unbekannt bleiben.

Reich, an den ich geschrieben hat mir geantwortet er könne es nicht thun und habe Ihnen seine Gründe, die er mir nicht gesagt schon geschrieben, oder sagen laßen. Ich wollte Ihnen wol einen hiesigen Verleger recommendiren. Einmal Sie müßen es entweder Heidegger oder einem Hiesigen geben, und zwahr ohne langen Anstand zu laßen. Gleim hat mir sehr lange nicht geschrieben, und also weiß ich auch nicht, wie er den Noah aufgenommen hat. Kleist schien mir immer allein so viel daraus zu machen, als er verdient, und deßwegen verdrießt es mich, daß er noch nicht hat.

Ich schreibe Ihnen gar nichts neües und auch nichts gedachtes, weil ich bey meinem Bau das denken verlerne. Ich habe das Vergnügen meinen Garten schon meist bepflanzt zu sehen, und noch überdies auch den Lohn von meiner Mühe, daß so wol der Garten als die Anlage des Hauses allgemeinen Beyfall hat. Wenn ich die Zeichnungen davon nicht mehr brauche, so werde ich sie Ihnen schiken. Sie könnten mir diese Wohnung viel werther machen, wenn ich würde sagen und denken können Bodmer ist in Person in seinen Zimmern gewesen und hat in den Aleen des Gartens die kühle Abendluft geschöpft, oder sich vor der Mittags Hize verborgen. Ich hoffe dies Jahr fertig zu werden.

Meine Liebste und die kleine Meliße befinden sich vollkommen wol. Diese wird bald Ihren Nahmen stammeln. Ich sage es nicht als Vater, sondern jederman sagt es: Es ist ein angenehmes Kind, so hold, wie ein junger Frühlings Tag, und so vergnügt, wie die Töchter des ersten Weltalters.

Ich habe die Hymne hier druken laßen, und so wol in hiesige als Leipzigische Buchladen geben laßen. Aber werden Sie mirs auch vergeben, daß ich einen Vers darin geändert habe? Meine Frau konnte das Polster von Fett durchaus nicht vertragen. Sie hatte gar zu fleischliche Begriffe dabey. Ihr zu gefallen mußte ich den Vers ändern. So bald sie dieses ihrer feder Höchst würdige Stük für das ihrige erklären können Sie leicht den alten Vers wieder herstellen. Vielleicht steht auch die Vorrede nicht an ihrem ort. Vergeben Sie meinem Eyfer etwas.

Der Titel Land Busem im Crito ließ mich ganz was anderes erwarten als ich gefunden. Ich war aber sehr darüber vergnügt.

Glauben Sie wol, daß ich noch nicht Zeit gehabt den Antiovid der hier ist zu lesen? Ich werde es aber bey dem nächsten Regenwetter thun, das mich hintern wird meinem Haus und Garten abzuwarten. Leben Sie wol mein werthester Hr. und freünd, ich bin nach der besten Bedeütung des wortes

Ihr wahrer Freünd.
Sulzer.

den 12 Junij 52.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 180–184 (Auszug).

Eigenhändige Korrekturen

Ihnen seine Gründe
Ihnen dieseine⌉ Gründe

Stellenkommentar

ein Exemplar mit Randgloßen
Das mit Anmerkungen versehene Exemplar vom Noah konnte nicht ermittelt werden. Sulzers Anmerkungen flossen vermutlich auch in Bodmers undatierte und wohl zwischen 1752 und 1756 entstandene Vermehrungen und Veränderungen in dem epischen Werke: Der Noah ein.
auf werbung verreißt
Vgl. Kommentar zu Brief letter-sb-1751-06-30.html.
an den ich geschrieben
Nicht ermittelt.
Zeichnungen davon
Friedrich Nicolai berichtet in seiner Beschreibung der königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam (1779, Bd. 1, S. 56) von einem Architekt namens Dieterich, der die Zeichnung für den Entwurf von Sulzers Wohnhaus angefertigt habe. Bei Nicolai findet sich auch eine nähere Beschreibung von Sulzers Garten.
die Hymne
[C. M. Wieland], Hymne, 1752. Bodmer hatte Sulzer das Gedicht Wielands am 28. März 1752 zur Publikation übersandt. Vgl. die erhaltene Abschrift von Bodmers Hand (ZB, Ms Bodmer 12a, Bl. 503–505).
Polster von Fett
Ebd. Sulzer überarbeitete in Wielands Hymne u. a. den Vers: »Ihm stikt unter die schenkel der herr ein polster von fette« (ZB, Ms Bodmer 12a, Bl. 505) zu: »Ihm geyst der Herr in die Adern Gesundheit und froehlich geblyte«. Siehe den handschriftlichen Nachtrag Bodmers in sein Exemplar der Hymne (ZB, Sign. 3.337,10), in welchem er aus beiden Varianten einen neuen Doppelvers formte. Das Bild des Fettpolsters findet sich zudem auch in [J. J. Bodmer], Jacob und Rahel, 1752, S. 12.
Land Busem im Crito
[J. J. Bodmer], Der Land-Busem. In: Crito, St. 4, 1. Oktober 1751, S. 141–144.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann