Brief vom 29. April 1752, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 29. April 1752

Mein werthester Herr und Freünd.

Hr. Heß, den ich mit zärtlichen wünschen begleite, hat auf sich genommen, mir bey meinen überhäuften Baugeschäfften, das Schreiben zu erleichtern, und mit Ihnen von vielen Sachen zu reden, wovon ich bey mehrerer Muße würde geschrieben haben. Ich verliehre diesen wakern jüngling ungerne, er wäre, wenn er nur hier bliebe der, den Mein Herz schon so lange hier vergebens suchet, mein Freünd, nämlich der Freünd meines Herzens. Denn noch scheinet es immer, daß ich mich hier blos an der Freündin halten soll. Was für ein glük für mich, daß diese auch des Freündes Stelle vertreten kann!

Ich muß bey allen meinen Baugeschäfften noch für die Academie arbeiten, und dieses nimt mir auch die Sontage weg, da ich sonst noch Zeit hätte an meine Freünde zu schreiben. Die Meße wird Ihnen wol viel wiziges und unwiziges Zeüg schiken. Unter dem leztern zähle ich auch Langens Horaz. Ein geschikter Hanoveraner Nahmens Kayser, den ich persönlich kenne, ist Verfaßer der Poetischen Übersezung der Nachtgedanken.

Ich zähle mit meiner Frauen alle Stunden der Ankunft des Noah entgegen, und schelte über die Langsamkeit der Leüte. Denn noch ist nichts hier. Ich Glükwünsche Ihnen von Herzen zu dieser Gebuhrt ihrer abnehmenden Jahre, die ihr Gedächtniß auf sichern Flügeln durch alle künftige Alter durchtragen und seegnen machen wird. Und ich glükwünsche mir, daß ich in den Tagen des Noah gelebt, den Verfaßer mit meinen Augen gesehen, ja so gar, als meinen Freünd geküßt habe. Die gegenwärtigen Zeiten, werden Ihnen, wie ich schon merke nicht überall Gerechtigkeit wiederfahren laßen. Sie werden sich aber nicht fürchten das Schiksal des Homers und so vieler großer Mahler zu haben, die den Hohen Tempel des allgemeinen Ruhms nur nach ihrem Tode bestiegen. Aber unsre Nachkommen, werden ihr Gedächtniß verehren. Zärtliche Väter und Mütter werden es Ihnen danken, wenn sie ein mal unter der Menge verderblicher Bücher ihren Söhnen und Töchtern ein Buch werden geben können, daraus sie Wißenschafft, Geist, Geschmak und reizende Schönheiten mit der ächtesten Tugend Verbunden, werden lernen können. Ich schließe hier bey der Menge der Empfindungen, die mich zu allzulangem Schreiben Verführen würden. Ich verbleibe mit den zärtlichsten Empfindungen

Meines werthesten Hrn. und Fr.
ergebenster Sulzer.

Berl. den 29 Aprill 52.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 174–176 (Auszug).

Stellenkommentar

von vielen Sachen
In diesem Zeitraum in Berlin entstandene Briefe von Caspar Heß an Bodmer sind offenbar nicht überliefert.
Langens Horaz.
S. G. Lange, Des Quintus Horatius Flaccus Oden fünf Bücher und von der Dichtkunst ein Buch, poetisch übersetzt von S. G. Langen, 1752.
geschikter Hanoveraner Nahmens Kayser
Christian Bernhard Kaysers Teilübersetzung von Edward Youngs Klagen, oder Nachtgedanken über Leben, Tod, und Unsterblichkeit. Englisch und Deutsch. Die vier ersten Nächte erschien 1752 in Göttingen.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann