Brief vom 1. Mai 1752, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 1. Mai 1752

Zürich der 1ste May. 1752

Mein liebster Freund.

Allererst empfang ich die pourtraits en ombre von Augspurg, und gleich giebt sich die gelegenheit daß ich sie Ihnen durch Hn Elsner überschiken kann. Ich sende Ihnen drey stüke, eines für Sie, das andere bitte ich Hn von Hagedorn zuzufertigen. Ich weiß sonst keine gelegenheit, es vorm Herbst nach Hamburg zu befödern. Das dritte belieben sie dem zuzustellen, der mich in dasigen gegenden nach Ihrem Hause am meisten liebet. Ich habe den Antiovid dazu geleget; den sie sonst späte erhalten würden. Er ist von Wieland, der aber gern ein geheimniß daraus machte, und darum bitte ich ihn nicht zu verrathen. Sie werden seine Moralischen Briefe in den Buchladen gesehen haben. Er bezeiget eine ungemeine begierde nach Zürich zu kommen. Ich kann bald nicht anders, als seine Sehnsucht stillen. Ich wollte ihn aber nicht in mein haus nehmen, sondern bey einem wakern mann in pension geben. Er würde sich sehr glüklich schätzen wenn er Hofmeister in Braunschweig werden könnte. Seine ernsthaftesten Absichten erstreken sich nicht weiter als auf einen professorat in einem gymnasio, auf umstände die ihm wenige Freiheit lassen. Er hat gegen die Universitäten einen widerwillen, u. würde es für eine strafe halten, wenn er ungezogenen Jünglingen wie fast alle studenten sind sachen vorsagen müste, die sie nicht hören oder hören und vergessen. Sein vater will mit gewalt einen Jurist aus ihm machen. Ein mensch, der wie er denkt ist dazu gar nicht gut; und überhaupt in wenigen fällen brauchbar. Sein herz ist von Natur tugendhaft. Er wird weinen, wenn er die geschichten von 1750 höret. Er wird einen Ekel vor dem menschlichen Geschlecht bekommen. Ein kleiner Aufenthalt hier würde doch viel nuzen auf die völlige Ausbildung seines Herzens haben. Wie viel würdiger ist Es, daß Hr. Hofpr. Sak sich um sein Glük bekümmere! Sagen Sie doch diesem Herrn alles gute von ihm, und glauben, daß ich mich dißmal nicht übereile. Aber sinnen sie selbst nach ob Braunschweig nicht wegen dasiger Anacreonte zu gefährlich für ihn wäre ob wir ihn gleich nicht dahin gehen liessen, ohne daß wir ihn zuvor in den Wegen der tugend befestiget hätten.

Hr. Heß ist vermuthlich von da verreiset ehe Noah bei ihnen angekommen. Wie lange muß ich wegen meines urtheils zwischen furcht und hoffnung schweben! Man wird mir doch die drukfehler nicht aufbürden, himmlung für himmling, fruchtbar für furchtbar XI. 78.

Man hat hier ein Epigramma en Dialogue:

Triller: Was sagen sie, mein Gönner, vom Messia?
Gottsched: Jesus Maria!
Triller: Und, grosser mann, was denken sie vom Noah?
Gottsched: Oha!
Triller: Das dacht ich auch: Gott thu mir dies und das!
behüte Gott mir [→]die Hermannias,
die Schwarzias und die Theresias!
Gottsched: den Prinzenraub und den Wurmsamen!
Triller: Ja, Amen!

Hier sind poetische Blike in das Landleben unter der presse. Der verfasser ist ein freiherr von Gemmingen, vom Würtenbergischen Hofe, den sie aber nicht verrathen sollen. Sie geben Hn von Kleists fryhling nichts nach. Ich höre von weiten, daß Wieland mehr gedichte unter der presse hat. Man redet hier auch von ⟨nettenanacreontischen liedern, die unter die presse kommen sollen, aber man macht mir selbst ein geheimniß vom autor. Ich höre auch etwas murmeln von einer geraubten Helena, einer Epischen Erzählung in Hexametern. Ich wollte lieber daß Weidmann in Leipzig dise Sachen drukete. Wenn er meinen critischen Verlag über sich nähme, so könnte ich ihm dazu behülflich seyn. Ich bin izt bemühet einem bändchen alter alemanischer Lieder einen fertigen Verleger zu finden. – Naumann giebt den Nimrod für ein ernsthaftes Epicum. – In Frankfurt ist zwischen Hans Heidegger und Varrentrap eine schlacht vorgefallen, in welcher Heidegger diesen häßlich zerkrazet hat. Varrentrap hat sich die Zeit her in seinen Zeitungen sehr unnütze gemacht, wir vermutheten die artikel wären ihm von Heidegger geschikt worden. Izt könnte er ihn leicht aus rache verrathen.

Leben Sie wol mit ihren beyden geliebten, ich habe sie in meinen vergnügtesten stunden vor mir gegenwärtig.

Ihr ergebenster diener
Bodmer.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Drei Porträts Bodmers (Stiche von Johann Jakob Haid). – [C. M. Wieland], Anti-Ovid, 1752.

Stellenkommentar

geschichten von 1750
Gemeint sind die Streitigkeiten mit Klopstock.
ein Epigramma
Das Epigramm stammt von Bodmer, wie ein Brief von Kleist an Gleim vom 22. November 1752 aus Zürich zeigt. Hier ist das Epigramm zitiert und Kleist bittet Gleim: »Machen Sie doch Noten zu diesem Gespräch des Herrn Bodmer« (Sauer (Hrsg.) Briefe an Kleist 1880, S. 213). Bodmer zitiert das Epigramm auch in einem Brief an Laurenz Zellweger vom 20. April 1752.
die Hermannias [...] Theresias
Gemeint sind die drei epischen Mustergedichte der Gottschedischen Schule: Christoph Otto von Schönaichs Hermann oder das befreyte Deutschland (siehe Brief letter-sb-1751-12-25.html), Johann Christoph Schwarz' Übersetzung Vergils Aeneis, ein Heldengedicht, in eben so viele Deutsche Verse übersetzet, und Franz Christoph von Scheybs Theresiade (vgl. Brief letter-bs-1751-10-08.html).
poetische Blike in das Landleben
Bodmer war der Herausgeber von Eberhard Friedrich von Gemmingens Poetische Blicke in das Landleben. Vgl. zum Briefwechsel zwischen Bodmer und Gemmingen: Fischer (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gemmingen und Bodmer 1899.
murmeln von einer geraubten Helena
Bodmers 1753 publizierte epische Übersetzung von Die geraubte Helena des griechischen Dichters Collothus.
eine schlacht
Vermutlich ging es bei der Auseinandersetzung zwischen Hans Heidegger und Franz Varrentrapp um den Nachdruck bzw. Raubdruck von Büchern. Varrentrapp war deshalb in zahlreiche Prozesse verwickelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann