Mein Wehrtester
Ich muß Ihnen noch die schläfrige Furchtsamkeit meines verlegers klagen. Er hat kaum hundert Noah auf die Messe geschikt, ungeachtet ich ihm stark angelegen war 4–500 zu schiken, und ihm zu dem Ende vorstellungen von seinem eigenen vortheil gemacht hatte. Der junge Hr. G. hätte mir gerne gefolget, aber der alte war nicht zu bereden.
Dadurch wird izt das werk wol um ein jahr aufgehalten, daß es nicht weit genug ausgebreitet wird; und ich verlire das vergnügen die seltsamen urtheile der Welt bald zu vernehmen. Wenn 6 stüke nach Berlin kommen, so wird das alles seyn. Die meisten hat er Blochberger in Leipzig gesandt, der ein abgelebter mann ist. Ich habe Hr. G... vorgestellt, daß Gefahr wäre, das werk möchte nachgedrükt werden. In der That möchte jemand eine neue auflage fertig machen, bevor Hr. G. mehr stüke nach Leipzig schiket. Ich bekenne, daß ich darüber, wenn das geschähe, nicht könnte böse werden.
Orell hat schon das Hertz gehabt, etliche hundert Rachel auf die Messe zu schiken.
Ich habe Joseph und Zulika Heidegger und Compagnie angetragen, ich zweifle aber, ob sie Gelegenheit haben, das Ding anzunehmen. Ihre Drukerey ist gar stark überladen.
Ich habe den Titel des neuen Werkes von Wieland in einem Briefe seines Verlegers an Geßnern gelesen, es heißt: Antiovid. Aber wovon der Innhalt lautete, stand nicht dabey, und aus diesem Nahmen kann ich es nicht errathen. Man verspricht aber das Werk auf künftige wochen.
Ich vernehme von Hn postdirector Heß, daß d. Hr. Heß endlich in Berlin angekommen ist; aber daß er auch nur 6 wochen daselbst bleiben werde. Ich bitte ihm zu sagen daß ich ihn bey Hn professor Gellert und Herrn steuerrevisor Rabener angekündiget habe. Ich fürchte sehr er werde von Berlin abreisen ehe der Noah da angekommen ist, und dann kann er mir Ihr urtheil davon nicht erzählen.
Ich wünschte daß im ersten Ges. der 890.ste Vers so stühnde:
Einen Anschlag zu ordnen, den lieb und unmuth gezeuget;
Was sie gebrütet –
Im X. Ges. der 975ste:
Wo er längen der jahr' im stillen grame vertrauert.
Im I. Ges. V. 327:
Deutlich seh ich den Vater im Ebenbilde des Sohnes.
Ich habe in Spences Dialogues on the Odyssey, die ich diesen Winter aus London erhalten habe, viele gute sachen gefunden, welche vortrefflich dienen, die Haupteinwürfe, die ich dem Noah vorhersehe, zu beantworten. Ich hoffe das komme daher weil ich überhaupt das epische Gedicht mit Spence aus einerley Gesichtspunkten angesehen habe, und dann weil der Innhalt meines werkes sehr viel gleiches mit der Odyssee hat. Vermuthlich wird man den Einwurf nicht vergessen, daß die Zeit, die Noah in der Arche zubringt, sich auf so viele leere, einförmige Monate belaufe: allein dise lange Zeit muß eben wegen der Inaction in welcher damals die Erde und das gantze menschliche Geschlecht gesetzt ist, dem Leser sehr kurtz scheinen. Auch darum, weil Noah alle die Monate durch in einer einzigen gleichmässigen Gefahr schwebet, die nicht verhindert und nur fortgesezt wird. Wenn der poet gemachet hat, daß bey dem Leser der Wunsch und das Verlangen, Noah und sein Haus gerettet zu sehn, nicht abnimmt, und daß er sich ohne Verdruß und Ekel bei Noah in der Arche aufhält, so kann man nichts weiter von ihm fordern.
Sie sehen daß ich wieder zum Criticus werde. Ich hatte die feder nur angesetzet, Ihnen mein Mißfallen über die langsamkeit meines verlegers zu klagen. Wäre ich zwanzig jahre jünger so würde mich ein jahr keine so beträchtliche zeit bedünken. Leben sie wol mein Wehrtester mit Ihrer Wehrtesten und bleiben gewogen (doch nicht daß dise gewogenheit sie für die fehler im Noah zärtlich oder gar blind mache)
Ihrem ergebensten Diener
B–r.
Zürich den 2 April, am Ostertage 1752
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.