Werthester Herr und Freünd
Ich habe die Drukfehler von Noah dem Verleger geschikt, damit sie auf einem besondern Blatt gedrukt werden. Denn eher können sie nicht in die crit. Nachrichten kommen, weil ich sonst meinen Collegen den Verfaßer verrathen würde, welches ich nicht thun will, bis Sie es erlauben. Sie dörffen nicht fürchten daß sie verrathen sind. Ihr Mst. ist in keines frömden Menschen Hände gekommen. Den 3 Gesang erwarte mit großem Verlangen. Bis jezo aber habe ich keine Nachricht, daß er abgegangen sey. Es wird doch nicht wieder unrichtig zugegangen seyn? Noah findet überhaupt einen Beyfall, damit Sie zufrieden seyn können, selbst die Erz Feinde des reimlosen Hexameters loben ihn. Ich habe mich in meiner Vermuthung nicht betrogen, daß er mehr wird gelesen werden, als der Meßias. Wir sind immer Menschen und eine wolgemachte Menschliche Fabel gehet uns näher an, als eine göttliche. Einige unsrer hiesigen Bekannten machen schon Sentenzen aus einigen Versen des Noah. Ich werde Ihnen Ramlers recens. davon schiken. Gleim approbiret daß die Charakteren der postdiluvianer den antediluv. zugeschrieben werden, welches Kleist gar nicht gutheißen will.
Es geht sehr wol an, daß Cham in einer Nacht gemerket, daß die Erdaxe sich gewendet hat. Die Bewegung der Sternen zeiget es in einer Stunde. Z. E. wenn damals ein Stern der Polarstern gewesen, so hat er gar keine Bewegung gehabt. Hat Cham eine an ihm gesehen, so konnte er sagen, was sie ihn sagen laßen.
Aber ich verstehe nicht, was das heißt, der Angel des Erdreichs ist von der Axe der Sonne hinweggewiechen. So viel ich aus dem Verfolg sehe, so soll es heißen, der Angel der Erde hat sich von der Axe der Sonnenbahn entfernet. Die Axe der Sonne für die Axe der Sonnenbahn kan zwahr poetisch angehen, aber kein Astronomus wird es verstehen, weil die Axe der Sonne schon einen andern determinirten Sinn hat. Aber die Consequenzen die Cham macht dünken mich zu hoch für ihn. Wir sehen so leichte die Veränderungen, so natürlich sie sind nicht à priori ein. Es ist eben so natürlich, daß zwey Gläser, davon das eine hol, das andre erhaben geschlieffen ein Perspectiv ausmachen. Aber wer hat es gesehen? Hugenius sagt, daß er diesen für einen großen Mann halten würde, jezo siehet diese Consequenz ein jeder Schüler ein. Sie haben alle Freyheit den Komet herkommen zu laßen von welchem Gestirn sie wollen.
Es dünkt mich fürtrefflich wol gethan, wenn sie sich bey anlas der Antediluvianer bisweilen eines Postdiluv. namentlich erinnern. Ich wollte sogar leiden, daß sie den antediluvianischen Dunzen die Namen Gottsched und Schwarz gäben.
D'Arnault ist noch nicht hier. Er soll aber unterweges seyn.
Ich bin sehr preßirt hier abzubrechen. [→]Hr. Schultheiß wird Ihnen ohne Zweifel alles neüe geschrieben haben, so wir wißen. Ich verbleibe
Ihr ergebenster
Dr. Sulzer
den 10 März. 50.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 127–129 (Auszug).
An Herrn Profeßor Bodmer.
Vermutlich der erste Teil der von Gleim und Ramler gemeinsam verfassten Rezension des Noah in den Critischen Nachrichten, Nr. 12, 20. März 1750, S. 107–109.
Vermerk Bodmers am oberen rechten Rand der ersten Seite: »(10.) den 10tn Marz 50«. – Bearbeitungsspuren mit roter Tinte. – Siegelreste.