Brief vom 18. Januar 1749, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 18. Januar 1749

Mein Herr und werthester Freünd.

Ich habe ihr werthestes vom 10 Decemb. in Magdeburg erhalten, wo ich die Feyertage zugebracht habe. Ich finde, daß ich in meiner Correspondenz mit Ihnen nachläßig gewesen, und zu meiner ganzen Entschuldigung dienet dieses, daß ich verliebt und deßwegen das vorige Jahr in mancher unruhe gewesen bin. Ich glaube wenigstens daß mich dieses bey Ihnen entschuldiget. Meine Liebe war aber nicht so wie des Vervaßers der Elegie in den Brämischen Beyträgen, ich kannte die geliebte sehr wol und sie mich. Deßen ungeachtet aber war sie nicht ohne Unruhe. Da aber nun diese Unruhe vorüber und das Herz wieder gelaßen ist, so hoffe ich mich ins künfftige beßer zu halten. Ich schreibe Ihnen von dieser Sache nicht mehr. Hr. Waser, der alle Umstände davon bis auf diesen Tag weiß, und den sie wol bald sprechen werden kann Sie davon unterrichten. Sonst aber wäre mir nicht lieb, wenn jemand anders, als meine Freünde davon wüßten.

Ihre Briefe derer Sie Erwähnung thun habe ich alle wol erhalten und ich weis nicht, wie es gekommen, daß ich mich des Cimons wegen nicht deütlicher ausgedrükt habe. Ich vermuthe fast, daß Briefe von mir müßen steken geblieben seyn, welches mir auch schon begegnet. Die Zusäze, die Sie zum Cimon gemacht gefallen mir über die maaßen wol. Ich habe vor einiger Zeit beyde nämlich den ersten und zweyten Aufsaz Hrn. Sucro gegeben, weil ich wol sehe, daß hier kein andrer sich derselben annehmen kann. Nauman ist nun Regimentsquartiermeister, Hr. Ramler gebiehrt langsamer, als die Elephanten und verfertiget alle 2 Jahre eine Übersezung einer Ode des Horaz. Hr. Gleim hat zu viel mit Oden und registraturen zu thun, und der Hr. v. Kleist hat nicht Muth genug seine eigene Arbeit fortzusezen. Ich habe seit dem, weil ich verreißt gewesen Hrn. Sucro noch nicht wieder gesprochen, daß ich also nicht sagen kann, ob er sich getrauet Ihnen nachzuarbeiten.

Es ist vielleicht nicht ohne Grund, daß sie besorgen Cimon mache Sprünge in seiner Beßrung. Doch ist die Liebe stark genug einen Menschen plözlich auf andre Gedanken zu bringen, und er ist in seiner Liebe noch grob genug, wenn nur seine Reden dem Charakter gemäß dirigirt werden. Eines kömmt mir etwas zu fein für, daß er den Stok just an dem ort angreifft, wo die Nymphe ihn gehalten hat. So rafiniren, wie mich dünkt geübte Liebhaber. Indeßen ist dieser trait sehr schön und ich erinnere mich in dem Achilles Tatius gelesen zu haben, daß seine Verliebte auß einem Becher getrunken, und den Mund an gleichem ort angesezt, da sie keine andre Gelegenheit hatten für den Genuß der Liebe.

Ich bin Ihnen für die neüe Geschenke, die ich alle Tage erwarte sehr verbunden; den Misodeme ausgenommen (denn ich denke daß sie sich verschrieben da sie Misantrope, auf ihre Liste sezen). Ich nehme diesen deßwegen aus, weil ich besorge, daß Sie sich deßen beraubet haben um ihn mir zu geben, deßwegen ich böse auf mich bin, daß ich ihn gefodert habe. Auf die Erzählungen warte ich insbesonder mit Verlangen, insonderheit, da ich hoffe, daß Sie mir die Erlaubniß geben werden, dieselbe mit in die Samlung zu nehmen, die ich mache, und für das publicum bestimme.

Ich soll Sie im Namen einiger hiesigen Freünde um Erlaubniß fragen, daß wir ihren Pygmalion hier neü dürffen auflegen laßen, und zwahr in einer äußerlichen Gestallt, die seines innern werthes würdig ist. Sie haben mir vor ohngefehr 18 Monaten verschiedene Zusäze dazu geschikt. Wollen Sie selbst sie einschalten, oder dieses uns überlaßen? Ich bitte mir hierüber bald Antwort aus.

Sie thun ein sehr gutes Werk, daß Sie sich deß Meßias und seines Verfaßers so eyfrig annehmen. Wenn jemalen ein genie würdig gewesen, daß man sich seiner angenommen so ist es gewiß dieser. Was für Hoheit und Reichtum in seiner Erfindung, Gedanken und ausdrüken! Und wie könnte ein so feüriger Geist zugleich so reizend natürliche und einfältige Scenen anbringen. Ich habe Hrn. Sak davon gesprochen. Er hat dieses Gedicht noch nicht gelesen. Ich gehe diesen Abend damit zu ihm um es ihm vorzulesen. Es kömmt mir um soviel nöthiger vor, diesen Verfaßer aufzumuntern da Hr. Ebert mir selber gesagt, daß die Verf. der Bräm. Beyträge nicht ungerne sähen, daß er stehen bliebe. Ist er Ihnen etwa in seinen Gedanken und Ausdrükungen zu hoch. Mir ist ers zuweilen. Es sind ganze Verse, und bisweilen einzelne Begriffe, da ich ihn nicht erreichen kann. Er kommt mir gegen Virgil vor, wie Newton gegen den Euclides betrachtet. Man findet nicht, daß Euclides wo gefehlt hat. Newton hat seine Fehler. Aber der Umfang seiner Wißenschafft, ist eine ganze Welt, gegen das kleine Land, das Euclides bearbeitet hat.

Der Hr. v. Hagedorn hat mir neülich sein Gedicht über die Freündschafft zugeschikt. Er kommt darin, wie mich dünkt Hallern etwas nahe. Er nennt von seinen Freünden nur einen der zugleich sein Medicus ist. Neülich hat er einen Engelländer an mich adressirt, der sich höchlich verwundert, da er gehört, daß Miltons verl. Paradies ins deütsche übersezt ist. Er verstehet zwahr außer seiner Muttersprache, keine von den izt lebenden Sprachen, aber er hält eine gute Übersezung für unmöglich. Ich sagte ihm, er könnte sich darauf verlaßen, daß diese Gut wäre. Ich bin willens ihm ein Exempl. mit zu geben.

Ich verharre

M Hr und w Fr.
ergebenster Dr. Sulzer.

Berl. den 18 Jan. 49.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – E: Körte 1804, S. 103 f. (Auszug).

Vermerke und Zusätze

Paginierung von Sulzers Hand und Eingriffe (Einkreisungen, Unterstreichungen) einer weiteren Hand. – Vermerk Bodmers am linken Rand der dritten Seite: »fables pour les enfans«. – Vermerk Bodmers am unteren Rand der dritten Seite: »Ich hatte mich versehen und Misantrope für Misodeme gelesen.« – Vermerk Bodmers am unteren Rand der letzten Seite: »beantwortet den 18 Febr. und Hn Geßner zur Bestellung übergeben«.

Eigenhändige Korrekturen

Auf der ersten Seite am linken Rand von Sulzers Hand gestrichen: »P. S. Der Herr v. Hagedorn hat ein großes Gedicht über die freündschafft druken laßen, daß er mir geschikt. Es ist eines seiner besten Stüke. Man muß fast daraus schließen, daß er nur einen Freund hat, der zugleich sein Medicus ist.«

Stellenkommentar

daß ich verliebt
Sulzer hatte im Haus von Heinrich Wilhelm Bachmann d. Ä. dessen Nichte Wilhelmine Keusenhoff kennengelernt und sich in sie verliebt. Wilhelmines Vater war der aus Langenberg stammende und früh verstorbene Kaufmann Johann Adam Keusenhoff. Nach langjährigem Werben Sulzers heirateten die beiden schließlich im Dezember 1750. Vgl. Hirzel Hirzel an Gleim über Sulzer den Weltweisen 1779, Bd. 1, S. 140–143. Zum (Liebes-)Briefwechsel zwischen Sulzer und Wilhelmine Keusenhoff vgl. Kittelmann W. Keusenhoff und die Briefkultur der Empfindsamkeit 2019.
nicht so wie des Vervaßers der Elegie
Klopstocks Elegie Dir nur liebendes Herz (später Die künftige Geliebte) erschien in den Neuen Beyträgen zum Vergnügen des Verstandes und Witzes, 1748, Bd. 4, St. 6, S. 446–451.
daß er den Stok just an dem ort angreifft
Die Szene mit der Nymphe Iphigenia, in die sich Cimon verliebt, fehlt in der Jahrzehnte später publizierten Fassung.
seine Verliebte auß einem Becher
Die Becher-Szene umfasst das neunte Kapitel in Achilles Tatius' Leukippe und Kleitophon. Vgl. Kommentar zum Brief letter-sb-1747-05-18.html.
Hagedorn hat mir
Das Gedicht Die Freundschaft war 1748 als Einzeldruck erschienen und wurde 1750 in die Moralischen Gedichte aufgenommen. Mit welchem Brief Hagedorn das Gedicht Bodmer schließlich übersandte, ist unklar.
einen Engelländer
Nicht ermittelt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann