Brief vom 7. Februar 1748, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 7. Februar 1748

Mein Herr professor und wehrtester Freund.

Der Herr Canonicus Breitinger verschaffet mir die gelegenheit Ihnen diese Zeilen durch die Post und Franco zuzusenden. Er hat einen Kostgänger, einen sohn des verstorben Zunftmeister Bürkli, von ungefähr 20 Jahren, von gutem gemüthen, schönen natürlichen gaben, folgsam und gelenke, aber was die Wissenschaften sind, so gut als tabula rasa, übrigens von großen Mitteln. Disen jungen Menschen wollte er gern in Berlin bey einem wakern mann in pension thun, bey dem er nicht allein mit speise, trank, bette und zimmer wol versorget wäre, sondern der auch etliche stunden, wochentlich, von Literatursachen, mit ihm ⟨schwazete⟩, ihm ein wenig den geschmak formirte, ihn in gute gesellschaften brächte, und überall ein wachsames Auge auf ihn richtete. Der junge mensch soll ein Kaufmann werden, und aber die Mercantilia erst künftig allhier studieren, gestalt er in eine etablirte handlung kommen wird. Daher ist es nicht nöthig daß er sich auf eine gewisse Wissenschaft lege, genug wenn man ihn an einer, welche es ist, einen geschmak beybringen kan. Hr. diacon Waser hat ihn vor disem auch in der Institution gehabt, und würde das beste Zeugniß von ihm ablegen. Nun wissen wir keinen Menschen bey welchem er alles obige in Berlin besser finden könnte, als bey Ihnen mein Herr professor, sie sind der rechte Mentor für disen Jüngling, und ich versichere mich daß sie mehr Freude, mehr Nuzen, mehr Ehre von ihm haben würden, als sie von den unnatürlichen jungen herren, die jezo bei den canailleusen Holländern sind, gehabt hätten. Der Hr. Rathsherr Goßweiler nimmt sich des jungen Bürklins als ein Vater an, und der Hr. Goßweiler sparet nichts an seiner Auferziehung, und ist ein generoser Herr, worauf sie sich verlassen können. Vielleicht haben Sie keine eigene haushaltung, aber wo sie an die kost gehen, wird noch für den Hn Bürkli Plaz seyn. Sie dürffen libere entdeken, was sie für kostgeld, Inspection, direction &c. fodern. Man sähe gern, daß dem Hn Bürkli über obiges der Zutritt in ein Kaufmännisches großes oder kleines Haus könnte verschaffet werden, wo er Anlaß hätte mit Kaufleuten Bekanntschaft zu machen, und zuweilen von KaufmannsWissenschaften discurrieren hörete. Diser Artikel ist zwar nicht essential, doch hält man ihn auch nicht vor überflüssig. Mein Herr professor belieben hierüber ihre Gedanken mit möglichster beföderung an Hn Canonicus Breitinger zu schreiben. Sie können den brief nur dem Kaufmann, der Ihnen dise zeilen übergeben wird, zum Einschluß zustellen und auf die Aufschrifft sezen: A Mr. Breitinger Chanoine, recommandé à Msr. Goswiler à la fontaine à Zurch. Belieben sie zugleich ein paar zeilen an mich zu schreiben, so können sie solche in des Hn Chorhr. brief einschlissen, und für den port nicht sorgen.

Ich bediene mich auch gegenwärtigen Anlasses, einen Brief an Hn Domsecretar Gleim einzuschlissen, welchen ich vor einem Monat an ihn aufgesezt, aber nicht ablaufen lassen aus furcht, daß der Inhalt zu leicht wäre. Izt überlasse ich dem Hr. professor selbigen dem Hn Gleim zuzufertigen, oder zu zerreissen. Auch die lieder, und das stük aus den freymüthigen Nachrichten sind für den Hn Secretar. Er hat verlangt, daß des Hn von Bielefeld in disen Nachrichten mit einem Eloge gedacht werde; weil aber diser Herr uns nicht sonderlich bekannt war, haben wir auch das Eloge nicht größer machen können.

Als vor ein paar Wochen der jüngere Herr van Haaren hier war, hat ein junger Minister von Frauenfeld, Nahmens Fehr ein Lobgedicht auf ihn gemacht, welches voll poetischer Gedanken ist, doch daß hier und dar prosa, härtigkeit, und schweizersprache mit gelaufen. Dises werk sollen sie auf Ostern empfangen. Es ist hier nicht stark goûtirt worden, weil es nicht klingt, maßen es keine Reime hat, u. weil mans nicht verstanden hat. Hr. Bermann von Hamburg hat mir seine Horatier zur Beurtheilung gesandt; alle personen in disem Trauerspiele sind unsinnig, und wenn sie unsinnig haben seyn sollen, so ist es vortrefflich gerathen. Die Minnesinger sind noch nicht in der Presse. Spöri hatte versprochen sie schon vorm Neujahr in die Presse zu nehmen. Nosti mores tryphonum bibliopolarum. Die verbesserten Gedanken von der Auferziehung haben einen ungemeinen beyfall, und die Widerlegung nicht weniger. Man gläubt, daß beyde von einem Verfasser sind, und man kan die biegsamkeit desselben in allen charaktern zu schreiben nicht genug bewundern.

Wissen sie auch daß Hr. Doctor Rahn Rathsherr worden ist; nemlich in dem kleinen Rath, qui nobis sanctior dicitur; Ich bin in die angenehmen umstände gekommen, ihn zu diser Würde zu ernennen. [→] Ne vous semble-t-il pas que la SchottenConfrerie surpasse toutes les autres en bienveuillance & assistance mutuelle; celles qui se forment les verres aux mains sont la plupart aussi fragiles que les instrumens de leur trinquerie. Der Doctor Zellweger sagt, das sey kein wunder, parce que la Schotten dissipe les vapeurs, ouvre les obstructions, redresse la circulation, rafraichit le bilieux, aulieu que le vin fait tout le contraire & offusque par là la raison.

Hat Herr Bachmann schon einen neuen Mentor, oder verlangt er keinen? Der Herr Heer, ein Glarner und pfarrer zu Azmoos sehnet sich ungemein nach einem solchen posten, oder dergleichen. Er ist der erste Glarner, der einen philosophischen Kopf hat, gute Empfindungen, und Geschmak. Er muß ein sclave der bauern seyn, welchen er predigt; und er wollte lieber ein sclave vornehmer leute seyn. Vornehmlich seufzet er nach einer station, wo gelehrte leute sind; in einer grossen Stadt, wenn die station denn gleich unansehnlich scheint. Er ist unverheurathet. Sie sinnen an einen honnete homme, wenn sie an ihn sinnen.

Mir ist jüngst die Übersezung in die Hände gefallen, welche ein Hamburger von des M. de Saint Hiacinthe statüe animée gemacht hat. Der Übersezer scheint ein Schüler zu seyn. Was ist bl. 25. ich bin es welcher durch unbekannte Neigungen zur Natur diese Gunst von der Gottheit erlanget hat. Es kränket mich für den Hn S. Hiacynthe daß sein artiges werk so übel defigurirt worden.

NB Ich habe oben vergessen zu sagen, daß der Hr. Bürkli seine Reise nach Berlin cum primā hirundine antreten würde. Adieu, ich bleibe

Ihr ergebenster Fr. und diener
Bodmer

Zürich den 7 Hornung 1748.

P. S. Könnten Sie nicht eine vertraute person daselbst ausfinden, sie müste eben nicht von dem verkehrten Geschlechte der Buchhändler seyn, welche sich mit einer Partey folgende Werke beladen wollte

Breitingers Dichtkunst, und Bodmer vom Wunderbaren drey theile Gulden. 1. Xr 45.
– – Gleichnisse . . . . . 40
Miltons Paradies . . . . . 40
Bodmers poetische Gemälde . . . . . 40
Critische sammlung, 12 stüke, complet . . . . 1. 30

Ich hatte nicht vergessen den Hn. Orell zu erinnern, daß er Ihnen den Spectateur, Mentor und Babillard schike; er hat es mir auch versprochen; sie können am besten wissen, ob er Wort gehalten habe.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief an J. W. L. Gleim. – Freymüthige Nachrichten.

Eigenhändige Korrekturen

brief nur dem Kaufmann
brief nur an dem Kaufmann

Stellenkommentar

verstorben Zunftmeister Bürkli
Der Zunftmeister zum Widder Hans Georg Bürkli verstarb 1743. Sein jüngster Sohn Hans Konrad war 1730 geboren worden.
Rathsherr Goßweiler
Der Kaufmann und Seidenproduzent Hans Konrad Gossweiler gehörte der Zunft zur Waag an und war seit 1746 Ratsherr.
Brief an Hn Domsecretar Gleim
Vermutlich handelt es sich bei dem Brief um das Schreiben vom »Dezember 1747«. (GhH, Hs. A 308. Abgedr. in: Körte (Hrsg.) Briefe der Schweizer 1804, S. 71–77).
stük aus den freymüthigen Nachrichten
Freymüthige Nachrichten, St. 3, 17. Januar 1748. Die erwähnte Anmerkung zu Jakob Friedrich von Bielfeld findet sich auf S. 19. Gleim schrieb dazu an Ramler am 4. März 1748: »Lesen sie den Geselligen von Herrn Langen? Wißen sie, daß der Jüngling Kleisten kennt? daß Herr Bodmer auf mein Angeben Bielefelden gelobt hat, und daß ich an den General Stille, wie an einen Agrippa schreibe, und er an mich, wie ein Gleim.« (Schüddekopf (Hrsg.) Briefwechsel zwischen Gleim und Ramler 1906, Bd. 1, S. 104).
jüngere Herr van Haaren
Onno Zwier van Haaren, der jüngere Bruder von Willem van Haaren. Beide Brüder traten als Dichter in Erscheinung.
ein Lobgedicht
[D. Fehr], Das Lob der Herren von Haren Bey der Ankunft Ihr Excellenz Herrn Otto Zwier von Haren in Zürich, 1748. Daniel Fehr, 1725 geborener Pfarrer in Frauenfeld, korrespondierte seit 1745 mit Bodmer (ZB, Ms Bodmer 1a.23).
Spöri
Der Verleger Johann Friedrich Spörri, neben Johannes Heidegger Inhaber der Offizin Heidegger.
Nosti mores tryphonum bibliopolarum.
Übers.: »Du kennst die Sitten der buchhändlerischen Tryphonen«.
die Widerlegung
Joh. Georg Sulzers vernünftiger Versuch von der Auferziehung der Kinder, einfältig widerleget von Kinderlieb Mag., 1748. Dahinter verbargen sich Sulzers Freunde Martin Künzli und Johann Heinrich Waser, die mit der Schrift nicht Sulzer, sondern die Erziehungs- und Unterrichtsmethoden in ihrer Heimatstadt Winterthur kritisierten. Vgl. zur Autorschaft Künzlis und Wasers die Briefe Wasers an Bodmer vom 12. und 19. Oktober 1747 sowie vom 22. Dezember 1747 (ZB, Ms Bodmer 6.3, Nr. 3, 4 u. 5).
Hr. Doctor Rahn Rathsherr
Der Mediziner und Naturforscher Johann Heinrich Rahn (1709–1786), der sich zeitweilig in London, Halle an der Saale und Straßburg aufgehalten hatte und schließlich in seiner Heimatstadt Zürich eine Arztpraxis betrieb. Rahn, der von 1749 bis 1783 auch Sanitätsrat war, gehörte neben Johannes Gessner zu den Gründern der Physikalischen Gesellschaft in Zürich, der Vorläuferin der Naturforschenden Gesellschaft.
Neu vous semble-t-il pas
Übers.: »Scheint es Ihnen nicht, dass die Schottenbrüderschaft alle anderen an Gutmütigkeit und gegenseitiger Unterstützung übertrifft; diejenigen, die sich mit dem Glas in der Hand bilden, sind meistens so brüchig wie die Instrumente ihrer Säuferei.«
Doctor Zellweger sagt
Vgl. Laurenz Zellwegers Brief an Bodmer aus Trogen vom 1. Februar 1748 (ZB, Ms Bodmer 6a, Nr. 263). Übers.: »weil die Schotte [Molke] die Dämpfe zerstreut, die Verstopfungen löst, den Kreislauf aufrichtet, den Choleriker erfrischt, anstatt dass der Wein das genaue Gegenteil wirkt und dadurch die Vernunft beleidigt.«
Übersezung in die Hände gefallen
[A. F. Boureau-Deslandes], Pigmalion oder die belebte Statüe, 1748. Die Übersetzung des 1742 erschienenen Werkes stammte wohl von Deslandes selbst.
cum primā hirundine
Hor. epist. I, 7, 13. Übers.: »mit der ersten Schwalbe«. (Horaz, Buch 1 der Briefe, 2018, S. 471).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann