19. Jul. 66.
Mein wehrtester, theuerster Freund.
Kaum war mein Brief den ich den 9ten. an Sie schrieb, auf der Post, als ich den ihrigen vom 27.sten Jun. empfieng. Füßlis Betragen ärgert mich abscheulich. Ich schrieb denselben Augenblik etliche starke Zeilen an ihn, ihr Schreiben zu unterstüzen, als man mir sagte, daß er nicht mehr in Lyon, sondern auf der Reise nach Tours wäre. Seine Freunde erwarten alle Tage von dieser stadt briefe von ihm, und mein brief muß also warten bis ich seine Adresse weiß. Noch izo hat er nicht geschrieben. Es ist der Zweite Tom von Klopstoks geschichte der doppie, die er von mir hatte. Ich sehe mich, gegen mein langes Kämpfen ihn in meinen guten gedanken gut zu finden, genöthiget ihn aufzugeben. Seitdem er die Noachide von mir durch einen meiner jungen Freunde in Lyon, in die Hände empfangen hat, hat er kein Zeichen von sich gegeben. Nur hat derselbe freund mir geschrieben, er habe erschreklich auf die Kupferstiche geschmähet, und sie vor seinen Augen in das brennende Kamin geworfen. Ich bin gezwungen ihn zu dem verlohrnen Wieland zu stellen. Ich fürchte sehr sein schiksal werde seyn wie der Jgfr. Meisterinn; und beyder schiksal wolverdient.
Noch mehr hat mich erschrekt, daß das gefühl ihres Wolseyns in Absicht auf Gesundheit so langsam zurükkömmt. Ich hoffe doch, daß die alte munterkeit des geistes und des Körpers wieder mit völligen Kräften kommen werde, da sie den vortrefflichen Sir Andrew wieder bey sich haben.
Euler verdient nicht sehr, daß sie seine Entfernung bereuen; Lambert scheint Ihnen wenig Vergnügen zu versprechen; aber wie freue ich mich, daß Wegeli unsere Hoffnungen erfüllt! Geniessen sie ihn für die schweizerischen Freunde, deren Sie beraubt leben müssen. So nahe ich selbst mit unsern wakern Freunden in Winterthur lebe, muß ich doch ihres persönlichen Umganges entbähren; und Briefe bekomme ich kaum so viele von Winterth. als von Berlin. Doch macht unser schuldheiß Sulzer mir neue Hoffnungen daß er mich bald in Zürch besuchen wolle.
Sie wissen, daß der Duc de Choiseuil unsern plenipotentiaire in Genf, Hn statth. Escher bey hiesigem stand recht böse beschuldiget hat, daß er sich in dieser Negociation Hn von Beauteville so wiedersezlich erzeige. Hr Escher hat darüber begehrt, daß wir Hn von Choiseuil fragen sollten wer ihm dise Zulage eingesponnen hätte. Wir haben dieses supersedirt. Auf den übrigen Inhalt des briefes, der an ein französisches Parlement zu gebieterisch gewesen wäre, haben wir zwar sehr sanft, doch stark, et quod sapienti sat esset, geantwortet. Hr Escher verlangte zugleich von uns seine Heimberufung, und Hr. sekelm. Heidegger eben so wol; dieser fand sich verdächtig gemacht, weil Hr. Choiseuil ihn nicht ebenfalls Widersezlichkeit beschuldigte. Wir haben ihnen nicht gefolget. Seitdem hat Beauteville gegen Hn Escher betheuert und bezeuget, daß er von seinem betragen nichts widriges nach Versailles geschrieben habe. Es scheint Cromelin der Genferische Agent in Paris, oder der procur. gen. Tronchin oder so einer habe den Duc de Choiseuil zu disem schritt verleitet. Sie glaubten, beyde Stände würden ihre befehle blindlings folgen, und zu dem Acte der Declaration, und der Bestrafung der Demagogen zustimmen. Es ist offenbar, daß sie die Regierung zum Souverain umschaffen wollten, ohne anderes Recht, als die List, die Stärke und die Willkühr. Hr. Heidegger ist durch dieses Incidens bey hiesigen Bürgern in die Nachrede gekommen, daß er nicht nur ein Aristocrat sondern ein Gönner von Frankreich sey. Er ist sehr verlegen, und überdies von baufälliger gesundheit. Die Representanten halten sich immer leidend und sur la defensive mit ungemeiner Moderation. In Bern haben sie eine Partey die über den kleinen Rath prævalirt, die Entschlossenheit von Bern machet auch hiesigen Stand entschlossen. Unser doctor hält sich izt wol.
Unser Hr. director Schuldheß hat mir erzählt wie Hr. Schwarz in Magdeburg durch die Tabaks- und die Stempelverpachtung um sein ganzes Vermögen gekommen. Könnten sie nichts für ihn thun, daß der König ihm einige Entschädigung gäbe? Aber ich weis, daß sie disem Hause so gut wollen, daß ich nicht nöthig habe, sie zu spornen.
In Bern ist ein Davel, von der lezten promotion ganz feurig für die Citoiens, ungeachtet daß er des Venner Sinners, des zweiten Bernischen Gesandten Tochterman ist, und Sinner sehr auf die hochoberkeitliche Seite penchiert. Hr. Engel, von 62 jahren, der Verfasser der Memoires geografiques von Kamtschatka, giebt sich ungemeine Mühe mit Arbeiten und Schriften für sie. Und er scheint übel mit Hn Heid. zufrieden, mit dem er sonst einen vertraulichen Briefwechsel gepflogen und voller Hochachtung für ihn war. Der Prinz von Braunschweig ist in Bern, man wird sich befleissen, ihm aufrichtige Begriffe von der Regierung und dem Souverain von Genf beyzubringen. Weil man weiß daß die Tronchins bereit sind, wenn er nach Genf kömmt ihm falsche einzuspinnen. Es ist schier unmöglich einem royalisten begriflich zu machen, daß representirende Citoiens und Rebellen; Regierung und Souverain; nicht gleichgültige Wörter seyn. Wir sollten glauben, daß negotiren, conciliren, nichts anders wäre, als decidiren.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.