Z. den 28 augst. 74.
Mein liebster Sulzer!
Ihr theürestes vom 13 dieses hat mir Kummer u. Hofnungen gemacht – Kummer wegen ihres unglüklichen Gärtners, u. ihres kranken Bedienten, mit welchen beyden sie freylich selbst mitleiden müßen, u. sie sind selbst noch nicht der muntere, starke, der sie waren – Hofnungen, daß sie bald wieder der starke, der muntere seyn werden, u. Hofnungen, daß sie bald nach Herzenslust mit mir plaudern wollen, obgleich nur auf papier. Wegmann hat mich durch 100. Anekdoten zu Ihnen versezt. Machen Sie sich seinetwegen keine Schwierigkeit: er ist würklich edel denkend, u. ihre Liebe ist bey ihm der kostbarste Dank.
Hartmann hat mir vieles geschrieben: er kennt in ganz Deütschland keinen Mann wie Sulzer. Gott wolle, daß sie eben so wol, ceteris paribus von ihm denken. Ich bin immer für die noch unreife Leüte bang, die ich ihnen etwa empfohlen habe. Ich bin sehr fertig gutes zu sehen u. viel zu hoffen. Hartmann hat die Gnade des Herzogs: ich gestehe, daß mir seine Jahrsfeyer wegen der starken Wahrheit angst machte. Er kann philosoph werden, wenn er erst viel ließt, eh' er viel schreibt – Er lebt, sagt er, unter geselligen Leüten, u. die ihn wol von Herzen lieben. Dieses sezt ihn in die Nothwendigkeit, oft Besuche zu machen oder zu empfangen; dann bedauert er, daß dieses ihm zeit wegraubt, die er auf Untersuchungen wenden könnte. Indeßen hoffet er doch, in zehen Jahren etwas zustande zu bringen. Ich will ihm gern 20 Jahre Zeit geben; u. ich glaube, daß der Umgang, die Gesellschaft eine Schule für ihn seyn werden, die er bisher vermißt hat –
Wenn Sulzer der Academie, schreibt er, seinen Beystand nicht versagt, denn er vermag sehr viel bey dem Herzog, so wird noch alles gut gehen –
De Luc der XXX in den lezten Händeln der Genfer hat mir etliche vergnügte Stunden gemacht. Er ist iezt Lecteur bey dem König in England; er begleitet eine kranke Hofdame der Königin zu Tißot. Sie erzählte mir liebenswürdige Anekdoten von dem König, der Königinn u. der königlichen Familie. Der König ließt mit der Königin alle guten Schriften der Deütschen: Wielands sind ausgeschloßen. Sie kennen auch die meinen, u. ich habe ihnen meine neuesten geben müßen. Unser Füeßli in London hat den Auftrag von dem König, daß er ihm Tableaux von den wichtigsten Situationen im Shakespear machen muß. De Luc versicherte mich, daß meine Gesichtsbildung große Ähnlichkeit mit Voltaires habe; aber, fügte er hinzu, daß aus Voltaire Zügen ein Satan hervorgukte; aus den meinen ein Biedermann. Lavater hat mich defiguriren laßen: er wird doch nichts als gutes in meinen Lineamenten sehen. Er ist in dem Bad Ems gewesen, und wie ein Apostel fetirt worden, besonders von Leuten aus der niedersten Claße. Als er beym Hofe von Carlsruhe predigte, sagte man, an demselben Tage hätten sich Luther und Calvin im Himmel umarmt, u. man sezte es in die Zeitungen. Wißen Sie, daß der Markgraf von Baaden Klopstok ein gehalt ausgemacht, stärker als das Kopenhagische? Aber wird der Poet nicht lieber ein Buchhändler seyn wollen, wie er vormals lieber ein Tafetmahler seyn wollte? Basedow ist zu Lavater gekommen bis Ems. Er erzählte ihm, daß die Weimarer Wielanden fluchten, weil er die Herzogin zu Lüxe verleitete, den sie bezahlen müßen. Lavater hat auch Jakobi gesehn: er sagt, er habe ganz die Mine von einem Niais u. Idioten; auch im Umgang u. der Rede sey er schwach.
Mit Göthe ist Lavater sehr zufrieden, u. hält ihn für einen gut denkenden Kopf. Warum schreibt denn Göthe solche Farces? Lavater glaubt, daß er in Klopstoks Republik als Scribent Vieles lernen könne. Hier wirft man sonst dieses werk unter die Bank. Aber Lavater glaubt auch, daß Herders älteste Urkunde das werk eines genie sey. Er ist vielen Leüten ein Räthsel: andre wollen das Räthsel auflösen können –
Man hat in Paris Geßners Abel in französische Verse versificirt: dabey sind etliche Bogen Anekdoten von seinem Leben. Man sagt, Vater u. Mutter u. Pädagogen haben ihn bis zu den JünglingsJahren für einen Idioten u. dummen Jungen gehalten; selbst der scharfsichtige Bodmer habe ihn mißkannt. Dieses ist falsch: ich habe ihn nicht gekannt, bis er von seinen deütschen Reisen nach Haus gekommen, u. das prosaische Gedicht, die Nacht betitelt, geschrieben.
Ich gebe diese Zeilen einem unsrer Leüte, die auf die Meße reisen. Da ich es nur vor einer Stunde wusste, daß er morgen verreißt, so schrieb ich sehr hastig. Ich wollte doch lieber hurtig, als gar nicht schreiben. Nehmen sie ihrer Gesundheit auch um meinetwillen in acht. Ich hoffe, ehe sie diese zeilen erhalten, angenehme von Ihnen zu empfangen; vornehmlich daß die Arbeit mit der Theorie zu Ende ist. Ich umarme sie mit dem wärmsten Herzen eines frostigen alten.
Ihr Bodmer.
H: Ms Bodmer 20.12. Nur als Abschrift überliefert. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.