Zürch den 9ten Nov. 1774
Ich bin mit mir selbst so sehr zufrieden, daß ich so lange gelebt habe, bis Ihr Werk, mein theuerster, sein Ende erreicht hat, als wenn es an mir gestanden hätte, so lange zu leben. Ich könnte einen Menuet tanzen, wenn dieses zur beglaubigung meiner freude gehörte. Wenn die Wahrheit einige Macht über die leute von unedlen Absichten hat so ist es izt ihre sache. Den Dunsen Kopf zu geben dispensiere ich Sie. Aber ich würde sie nicht tadeln, wenn sie sich in munterer laune die kurzweil macheten Einigen das fell zu ziehen,
Χλαιναν τ’ἠδε χιτωνα τα τ’ἀιδω ἀμφικαλυπτει,
der göttliche Ulysses hat dieses nicht bloß in der Metapher verrichtet, ohne daß Agamemnon oder Menelaus ihn getadelt haben. Ich habe mir dise kurzweil noch vor kurzem nicht versagt, doch daß ich das stük in meinem Pult behalte, ob ich gleich zu den Hieben, die es mir zuziehen würde, so abgehärtet bin wie Arria zu den Dolchstichen. Es dünkt mich immer daß Ihnen um meinetwillen übel begegnet werde; ich wünschte um so viel mehr ohne Schuld zu seyn, damit sie, mein freund, wenigstens um meinetwillen unschuldig leiden. Ich wollte gern verurtheilt seyn, wenn nur die Verurtheilung nicht ein acte de sultan wäre. Hören Sie meinen stolz; ich denke daß Corneille zu meinen politischen dramen hoch aufhorchen, zu Weissens gähnen; daß Milton und Pope nichts unnatürliches in den Redensarten finden würde: Einen Cäsar im Leibe haben; den Untergang auftischen; sein feuriger geist ist zu Asche zerfallen.
Wenn man in Ihre Theorie denken wird, so werd ich es zu geniessen haben. Ich habe Weissens und Lessings schmähungen verdient, wie man die Rache niederträchtiger gemüther verdienen kann, aber womit haben Sie sich an ihnen vergriffen? Und ist Garbe nicht ihr freund? Gotter von Gotha ist hier gewesen, Lessings geschworner Client; ich habe mit ihm über den grollen dieser Herrn nur badinirt. Ich sagte ihm, daß ich Nicolai um Nothankers willen noch mehr verzeihen wollte. Lavater bracht ihn zu mir, der jedes Fremden sich bemächtigt. Er bestimmt bey ihnen meinen Charakter, Breitingers, Steinbrüchels nach Willen. Ich habe oft bemerkt daß man mit dem vorurtheil gekommen einen kalten, murrischen Greis anzutreffen, und einen gefälligen muntern Mann verlassen hat.
Ich kann mich nicht loben, daß die schreibsucht mich verlassen habe, aber die Verleger haben mich verworfen; sie haben mich bewahrt, daß ich Evadnen, Creusa, Maria von Braband, nicht aus dem pult kommen lasse, wo sie lebendig todt liegen. Es sind stüke in des Euripides tragischem tone. Wenn ich denke, daß so viel hundert stücke von Euripides, Sophokles, nur drey Menschenalter gelebt haben, so denk ich, hem! nos homunculi indignamur. – Ich klage nicht daß meine dinge kaum ins leben gekommen sind. Ihre Empfängniß hat mir doch die Freude gemacht, die Erzeugungen machen. Im Adelbert ist zu viel domestichezza als daß man ihn zu der Hoheit der Tragödie erheben könne. Haben Sie nicht ein Gedicht gesehn, die Gräfin von Gleichen betitelt, wo eben der stof wie im Adelbert bearbeitet ist? Der Knoten aber und die Entwikelung sind neu, und nicht weit von Originalwürde.
Herrliberger hat mein Musau in seinem Ehrentempelchen mißhandelt, wie Schirach meine Muse in seiner Dunciade. Sehen sie, die Dunsen sind anstekend! Denn izt schreiben die Dunsen selbst Dunciaden. Er hat auch Breitingern, Hallern, den Feldheimer Füßlin gemißhandelt. Noch ärger hat ein pariser Geßners Abel mißhandelt, den er aus der prosaischen Übersezung versificirt hat.
Ich mahne Sie, mein lieber, nicht ab, daß sie nicht Hand an meine Briefe legen, weil ich mich versichert halte, daß die undankbare arbeit selbst Sie vor ankunft diser Zeilen wird abgeschrekt haben. Aber sind Sie zufrieden wenn ich veranstalte daß Ihre Briefe an mich zu mir in mein Grab geleget werden, wie man mit den Helden des alterthums ihre liebsten waffen, pfeile, pferde, verbrandt hat? Nehmen Sie dieses für keinen Einfall der Jacobi und Gleime und Wielande, die gern etwas von dem Ding, was sie genie nennen, ins Dintenfaß und einen Fuß weiter auf das papier stürzen.
Der christliche Petron, der Verf. der Laidion, hat Jacobis Grazien vom Himmel zu einem naketen Faunchen ins gras herabgezogen, und
Wenn das Zweiglein sich ein wenig vorwerts bog,
Und wenn das Zweiglein sich nun wieder herüber zog,
sie alle Scham ablegen lassen, –
Klopstok ist in Karlsruh, er hat zu Pergolesis Stabat mater deutsche worte gebändiget. Er bedauert den geschmak der Zürcher, die das Kindische in seiner Gel. Republik nicht gekauft haben. Selbst die geschwornen bewunderer, die er hier hatte, werfen dieses Werk zu Herders Kindereyen. Lavater allein siehet darinn prius non dicta, und das ist freilich in anderm verstand wahr genug.
In der Angelegenheit Hr. Grafen werd ich thun, was immer möglich ist. Dr. Hirzel wird noch mehr thun, weil er ungestümer ist. Er sieht mich wieder an, doch hat er mich gelehrt mehr furcht als liebe für ihn zu haben. Und ich habe nicht gern umgang mit fürchterlichen leuten. Wenn in meiner Villa mir gesellschaft fehlt, so ruf ich todte hervor; [→]Rousseau justifié par Moultou; lettres à Voltaire par Clement; lettres chinoises par Eon. Essai sur l'art dramatique; Jerusalem delivrée par Rousseau. Der Erdbeben gieng mir unbemerkt vorüber, da ich an der Limmat wandelte. Meine Frau hat ihn im haus nur sanft verspürt. Wir leben wie philemon und baucis mit bessern Göttern.
Unser liebe schuldheiß Sulzer war ein paar tage in Zürch. Er bemerket immer viel Kezerwerk bey der neuen Regierung. Vor allen andern absens absentem, te et video et audio so lang ich an Sie schreibe.
Um das Blatt an Hartman machen sie einen umschlag, oder auch nicht.
Reich hat mir die fehlenden Bogen des 2ten theiles, die sie ihm für mich zugestellt haben, nicht geschikt.
Ich umarme Sie.
Hartman schreibt mir unterm 21sten. Jul. daß er schon reiche sammlung an sachen gemacht, die nicht bemerkt werden aber grossen Einfluß in die gestalt und die sitten der deutschen haben. Er sucht schriften von Handwerksfreiheiten, und Zunftrechten. Ich sollte ihm die ältere geschichte der Schweizer vorkauen. Er ist für Fuldas Wurzellexicon beängstigt. Er denkt von Herders Menschenurkunden gut, aber der styl schreke ihn von dem guten weg. Die Menschheit sey in Mitau noch nicht von den Ketten der Barbarey freygemacht; viele gute Leute, aber viele noch ungebildet. Die stadt von Holz, die häuser Hütten.
Dr. Hirzel wünscht daß sie statt des Wörterbuchs die systematische methode gewählt hätten. Wir finden, sie haben Wielanden noch sanft behandelt. Herder und Lessing sollen ihnen noch Dank wissen. Ramler scheint von ihren Lieblingen zu seyn; und so Bodmer. Über Klopstok kommen sie, sagt man, in Ecstase.
Ein Comte de saint Aldegonde ist von Mezieres bis Zürch gekommen, allein um den poeten Abels zu sehen. Er ist ein geschworner Jünger Roussaus. Er isst nichts worinn blut war. Er wollte nach Mailand gehn, aber auf dem Gotthard sahn die Capuciner ihn für einen Asassin an, und Einer zog ihm sein eigenes Coutelas durch die Finger. Man hätte ihn in den thurm gelegt, wenn ihre Gnaden Heidegger dem landamman von Uri nicht gesagt, daß er von seiner Frau ein naher anverwandter des Duc de Choiseul sey.
Hat unser Cammerer von Küßnacht es nicht errathen, der das Wort roturier von Rhedarius herleitet. Rhedarius ist ein bauer der mit der Karre Frondienste thut.
Steinbrüchel übersezt Aeschylus prometheus. Warum haben die Athener den mann nicht verbrandt, der Jovem zum Menschenfeind machete; warum jauchzeten ihm Herren und Pöbel zu?
In dem Synodus haben alle dechanten und Capitel die Amnestie beobachtet. Man hat noch nicht erlaubt die Histoire veritable des neusten buchstreites in die weimarische sammlung eintragen zu lassen.
Gotter sagte mir daß Lessing eine sammlung von Epopöen aus dem schwäbischen Zeitpunkt veranstaltete: In der Abtey Santgall ist aus Aegidius Tschudis Nachlaß ein Codex auf pergament nett geschrieben, in welchem vier oder mehr dergleichen ritterschaftliche heldengedichte beysammen sind. Ich selbst habe viele stük aus einem Codex des Johanniterhauses in Straßburg, unter andern frygedank vollständig.
Die Märchen für junge Damen sind feine satyren auf die verbuhlten Mädchen; so sittsam, so treffend, wie Gleims tändelnd und leer sind. Nicht ohne grazien, wiewol ohne süsse fadeurs.
Gewiß erschreken sie bey der nachricht, daß ich die Ilias in Hexameter übersezt habe: Ein Unglück ist, daß ich sie Ihnen nicht zeigen kann. Hartman ist ganz begierig darnach. Ich könnte Klopstoken selbst um jeden gang der Füsse, jeden Ton der sylben antwort geben, wenn Klopstok gefällig genug wäre. Er und Füßli in Rom sind sich selbst genügsam.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 20.12. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Vermerk einer unbekannten Schreiberhand zum Zusatz »Anecdoten«: »Beylage zum Briefe v. 9. Novemb. 1774. wie aus einer Stelle v. Sulzers Brief vom 19. erhellet.«