Ihr Liebstes vom 2. Octob. hat das gefühl des vergnügens bey mir erneuert, welches meine ganze seele beschäftigte als ich vor 24 jahren den Ruf las welchen der s. baron von Bernsdorf Klopstoken that. Ich habe vor meinem Ende ein nüzliches Werk gethan wenn ich durch sie, mein liebster, den Hr. Hartman nach Mitau bringen kann. Ich darf nicht fürchten, daß mein Empfehlen mich einmal vor Ihnen, noch Ihr Empfehlen Sie vor dem Herzog würde schamroth machen. Er ist der bessere Wieland, er hat von diesem nur die guten unzweydeutigen Eigenschaften; das beste herz bey einem philosophischen kopf; eine souveraine liebe und Treue für Wahrheit; eine moralische, evangelische Religion. Er denket in Sulzers kopf und fühlet mit Sulzers herze. Ich kenne ihn izt durch mich selbst, denn er ist seit 14 tagen bey uns, unsere freunde hier schäzen und lieben ihn. Lavater hat ihn zu sich genommen. Aber es ist keine gefahr daß er ihm Untersuchung, vernunft und logik verleide oder ihn feister und trübsinnig mache. Doch Lavater selbst versöhnt sich alle tage mehr mit dem philosophischen Verstande. Hartmanns erworbene Kenntnisse, und seine fähigkeit mehrere zu erhalten sind mehr als hinlänglich die geschäfte die von dem professor der philosophie in Mitau gefodert werden zu verrichten. Der Artikel junge leute in seine Aufsicht zu nehmen ist ihm so wenig beschwerlich, daß er vielmehr es sich für eine Gutthat würde gebeten haben. Wir stehen nicht in der gefahr, daß Hirzel oder Rahn ihn von uns abtrünnig machen, oder in eine fabrik von gemahltem Taft entführen, wie uns mit Klopstok geschehen ist.
Ich wünsche daß Mr. Carrard eben so sicher der Mann sey den sie sich zum adjunct nehmen wollen. Ein wakerer Mann, der ihn gekannt hat, giebt ihm nichts weniger als ein absolutes Zeugniß. Erkundigen sie selbst sich deßwegen mit der erfoderten sorgfalt und behutsamkeit.
Es war ein vortrefflicher Einfall Hr. Hallers, daß sie nach Neapel gehen sollen. Ich hoffe daß sie ihn nuzen werden, wenn gleich ihr übel auf der brust es nicht erfoderte. Er gefällt mir, weil der weg nach Neapel über Zürich geht. Ich will mich befleißigen, daß ich so lange noch lebe und denke, nicht bloß vegetire, bis wir uns ablezen können. Es ist falsch daß der geist mit dem körper abnehme, ich verspüre offenbar daß die seele bey allen beschwerden des alters gleich stark bleibt, wiewol der körper ihr öfters im Wege steht.
Ich freue mich auf die Buchstaben J. K. L. M. N. O. Wenn ich der Duns bin, zu welchem Nicolai, Herder, Kloz, Göthe, Schirach mich machen, so ist der Zustand eines dunsen beneidbar. Meine dunsischen Arbeiten machen mir so viel vergnügen als Schönaichen sein Hermann machen konnte. Ich kann auch satyren schreiben und nur jüngst schrieb ich: Odoardo, Emiliens Vater, ein pendant zu Lessings Emilia Galotti, ein schauspiel in einem aufzug. Fürchten Sie nicht daß ich das ding herausgebe, es soll in meinem pult vermodern. Nicht, daß ich Lessingen fürchte, ich kann ihn nicht ärger beleidigen als er sich schon von mir beleidiget hält. Und ich erkenne Lessings Genie in der Galotti. Aber er verderbt die sitten, er erlaubt sich Widersprüche, falsche sentimens, er giebt laster für tugenden.
Mit welcher schamlosen stirne hat der deutsche petronius das laster geradezu angepriesen? Wenn dises die leute von Geschmak sind, so wollen wir zufrieden seyn dunse zu heissen.
Man hat Wyssen dem fanatiker ein Weib gegeben, seitdem man gefunden daß sein Übel sey was man bey den Töchtern furorem uterinum nennt. Das mittel thut gut, er hat eine gute dose vernunft widerbekommen.
Das Tellerische Wörterbuch bey der neuen bibel rumort noch immer. Stapfer und Kocher haben sich alle Mühe gegeben mit dem schwerdt der herren von Bern drein zu schlagen. Aber diese sind wiziger. Von unsern dechanten sind Brennwald, Escher von Buch und Manz die ungebehrdigsten. D. Kamerer Füßli ist ihr Coryphäus. Aber Meyer von Wald und Escher von Pfäffikon sind für das wörterbuch. Köchli hat etwas recht vernünftiges für die libertatem interpretandi geschrieben. Auch Lavater neigt sich auf die gute seite. Er und der Autor des lebens Jesu haben die sache in ihr wahres licht gesezet. Stapfer ist in Basel gewesen, feuer zu blasen. Wir sehen nicht daß die Obrigkeit darüber richten wolle, wenn das geschähe, so würde man sich widersezen und den gegnern ein Colloquium amicum antragen, vor welchem sie sich fürchten wie vor der Vernunft.
Dr. Hirzel hat mir die beleidigung, die ich ihm nicht gethan, noch nicht verziehen.
Wir müssen diesen Winter mit dem Canton Schwyz das Eidsgenössische Recht brauchen. Er will in dem frauen Winkel bey Hurden eine sust oder Niderlage und Schiffarten errichten, und dises wollen wir nicht leiden. Wir haben uralte Rechte von Kaisern den Zürcher see zu bannen, zu besezen und zu entsetzen. Man spricht Rechte an, um welche zu behaupten wir in den Bund mit den Cantons getreten sind. Es möchte einem Canton in den sinn kommen, daß er uns zumuthete, die Ringmauren niederzuwerfen, und wenn wir uns widersezten müsten wir ihm vor den Cantons zum Rechten stehen. Doch unser kleine Rath hat neülich von freyen stüken und ohne den grossen Rath erkannt, daß der stadtgraben sollte ausgefüllet werden. Ich wollte lieber daß die befestigungswerke vor meinem hause, die nicht befestigen und ein Krebs sind nidergeworfen würden.
Wir sind in feuriger Erwartung des Herzogs von Cumberland. Wir haben Sophas und fauteuils und gardinen und bette von norwegischen Vogelfedern, bey welchen sybariten wir sie fanden, auf die Meise tragen lassen, damit er weichlich sizen und schlafen könnte, und den Alpen haben wir ihre fettesten Bernisen und Lerchen erschoßen, damit er zu essen hätte. Unsere Reuter gehn in stiefel und sporen zu bette, damit sie auf den Wink, wenn das zeichen gegeben wird, aufsizen können ihm entgegen zu reiten. Alle schneider sind geschäftig den grossen, die ihm aufwarten werden, Westen von sammt und damast zu verfertigen wie wenn sie bisher noch ungekleidet gewesen wären. Ich denke, einer unsrer thresoriers müsse ihm ein pharaospiel anerbieten. Ein lekes schiff wird gecalfatert und neugemahlt, ihm die wollust der seefahrt zu geben, die dem poeten der Messiade so wol geschmekt hat. Unsere damen sind im geist schon selig, weil sie mit ihm tanzen sollen. Sie wollen von diesem Tanze die wichtigste Epoche ihres lebens benennen.
Ich erkenne nicht selten die grossen genien, die unsern staat seit dem Consulat des Arbilius Frisius regiert haben, an ihren werken nicht. Wie viel hätten wir beyde uns zu sagen, wenn wir von Wetter und Alter und Krankheit in ein Zimmer eingesperrt bey uns beyden allein wären! Es ist nicht allemal Klage des alten mannes wenn ich klage. Ich hüpfe vor freude, wenn ich nur Versprechungen nur Hoffnungen sehe.
Ich umarme Sie von ganzem Herzen, wie sie mich umarmt haben.
Bodmer.
Hr. Haller schreibt izt einen politischen Roman, der seinen Usong übertreffen soll, betitelt: Alfred. Sie sollten doch Hermes eines predigers Roman gelesen haben, Sophiens Reise von Memel nach Sachsen. Es ist lauter laune darinne; Caprice mit genie und bonsens durchflochten.
Hat Ihnen nicht ein Züricher, Wegmann, aus London zugeschrieben, daß er ihr Adjunct werden möchte. Er hat genien und Talente, und hat viel jahre in Frankreich gelebt. Er ist mir vertraulich bekannt.
Jkr. Landvogt Meise im Winkel ist von seinen Italiänischen Reisen zurük und hat grosse, nicht eitele, leere, connaissançe du monde, mit sich gebracht.
Cumberland hat in Schafhausen die Gedanken geändert, und nimmt den Weg über den Splügen. Zürch soll ihn nicht sehen. Ibi omnis effusus labor.
den 15. Octob. 1773.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
A Monsieur Soulzer professeur de l'academie royale Berlin franche Nrnberg.
Vermerk Sulzers auf der Umschlagseite: »15 Oct. 73.« – Blatt in der Mitte zerrissen. – Siegelreste.