Mein liebster Sulzer.
Da es mir nicht weiter gegönnet ist, die kurze übrige Zeit m. jahre Ihre Widerkunft von den pforten des todes zu geniessen als durch Wortwechsel auf dem papier. Wiewol der Inhalt grossentheils ich selbst seyn werde, so schreibe ich Ihnen was mir gerade in dem punkt des tages da ich schreibe durch den kopf läuft. Sie theilen mit mir die Freude Meistern und Müllern wieder Züricher zu sehen. Grüssen sie Müller meinen neuen Mitbürger. Irminger hat seiner sich mit feuer angenommen. Meister ist wieder in Paris, näher bey angenehmen freuden als beym Glück. Er hat sich viel mühe gemacht Geßners Idyllen französisch zu geben. So schön und unschuldig diese sind, so ist es doch in tenui labor. Wie kömmt es daß Geßners Idyllen so hochgelobt und sein Abel so mit stillschweigen vorüber gegangen wird? Wenn es ein Trost wäre socios dolori lubere, und wenn es würklich ein schmerzen wäre, daß ich von den Journalisten so vernichtet werde, so wär es mir ein solcher Trost Ihren Cymbellin zum gesellschafter meines Cesars zu haben. Wiewol ich den Cymbellin nicht würde geschrieben haben, so halt ich doch für seinen größten fehler das romantische Sujet. Und dieser Fehler ist Shakespears. Aber die fehler, sagt man, werden bey Shakespear zu schönheiten. Ich habe etwan mit schönheiten, wie Shakespears sind, gefehlet, aber dann sehe man nichts als fehler, und die schönheit desselben wird mir zum fehler gemachet. Noch wollt ich lieber den Cymbellin als den David geschrieben haben. Dieser David hat ein kleines herz und einen noch kleinern kopf. Klopstoks königlicher Eléve möcht wol disen kopf haben.
Indessen hab ich auch meine posaune, ein Tübinger, freilich nur ein Schwabe, hat eine Ode an mich geschrieben die Sie sehen müssen, sie heißt mich zwar kein schönes Ende nehmen, ich soll noch einmal der dunse lachen, und dann mich meines Alters freuen.
Sie senden mir doch Adelbert von Gleichen zurük, ich kann nicht ruhen bis ich ihn von dem Schlechten gereinigt habe, wiewol ich ihn gern so wirthschaftlich haben wollte, wie Ulyßes beym Eumaius ist.
Ich warte immer auf gelegenheit ihnen meine gefühlvollen Erzählungen und meine geschichte der stadt Zürch zu zeigen, wiewol sie nur für Knaben geschrieben sind. Unser Institutum einer Kunstschule ist schier in die Asche gefallen, weil wir den lehrern der buchhaltung und der handrisse den titel professor geben wollten. Breitinger, Steinbrüchel und Usteri hielten es für profan disen Charakter leuten zu geben, die nur handwerkersjungen von 13–14 jahren in den propedeuticis der Werkstätte unterrichten sollen.
Bald hätte unser doctor Hirzel über diese lanam caprinam sich mit ihnen entzweyet. Es ist wahr daß einige herren dieses Institut, das zum besten der unbemittelten Handwerkersöhne, und nicht der familiensöhne angesehn ist, zu academisch und zu pompos machen wollten. Andere fürchten daß die handrisse und zeichnungen und modelle die familiensöhne, die wir hier unverdient politicos nennen, von der latinität, und der gelehrsamkeit abführen möchten. Also haben wir mit allen und beynahe mit uns selber zu streiten. Unsere Zunftmeister und Rathsherrn sind grammatici und gelehrte worden. Sie hatten befohlen eine oberkeitliche, wolfeile foliobibel à 20. bogen zu drüken und die jungen professores sollten sie corrigieren. Diese legten es aus, daß sie nicht bloß die Epreuves, eine für sie zu niedrige Arbeit, sondern die Übersezung verbessern sollten. Sie substituirten nicht nur hier und dar viel beßeres deutsch, warfen viel E. weg oder sezten hinzu, sondern brachten noch in den Text, und noch mehr in den Index, Tellerische Ideen. Sie übersezeten Ev. Joannis VI. 57 ζήσεται δε εμε durch mich leben, da es bisher stand, um meinetwillen. Der blinde Rathsherr ergoß sich darüber in ein gewäsche von Erudition, welches beynahe gewürkt hat, daß man diese Übersezung unterdrückte, und nur erlaubte sie auf die Messe zu schiken. Die Ausländer hätten dann dadurch verführt werden mögen, wenn es ihnen gefallen. Noch hatte damals kein Rathshr. einen Blik in diese Bibel geworfen, der himmel weis, was für Geschrey entstehen wird wenn Priester und Zunftmeister sie erst werden gelesen haben. Hr. Antistes hatte einigermassen dazu anlaß gegeben weil er in der synodalsermon die Apologie davon gemachet hatte, bevor ein Mensch sie noch gelesen oder darüber beschwert hatte.
Alle guten geister hier erheben Eberhards apologie für Socrates. Man verwundert sich, daß man so wenig von disem manne noch gehört hat. Spaldings Nuzbarkeit ist hier um den halben preis nachgedrukt, und gefällt nur denen nicht, die gern kleine apostel und bischöfe Jure divino seyn, und gern dogmata und mysteria zur Religion machen wollten. Heilmann in Biel hat den Goldenen Spiegel 1⁄3 wolfeiler gedrukt, man ist hier mit disem Werk und mit Wieland zufrieden. Ich kan doch die barroque Einkleidung nicht leiden. Was hat doch den Herzog von Eisenach bewogen, daß er [→]den Verfasser des Amadisens seinem sohn zum Mentor gegeben hat? Ich hoffe, daß die tage die sie um ihrer Gesundheit willen im Zimmer zubringen müssen, zum besten der Theorie der schönen Künste kommen werden. Kennen sie das leben des berühmten Predigers Frater Gerundius? Der Autor ist ein Spanischer Jesuit, es ist aus dem spanischen Englisch gemacht, und jemand hat versprochen es zu verdeutschen.
Ich denke öfters an unsern Wegelin, wiewol ich nicht öfters an ihn schreibe.
Geben Sie mir bald die gewünschte Versicherung, daß ihr grosses Werk durch ihre Krankheit keine Verzögerung gelitten hat. Wenn die unverschämtheit der Unzer und Mabillon geleget werden kann so muß sie durch dasselbe geleget werden. Wir erwarten umsonst den Zweiten Liscow, der sie zu Schamhaftigkeit lachen oder peitschen könnte. Die albernen leser haben die Einfalt daß sie ihre verdreheten Minen für Ernst und ihr burlesques gespötte für gutes gelächter nehmen. Die Nachricht von dem Zustand der Literatur in der Schweiz, die in der allgem. Deutschen Bibliothek steht, ist von Müller, einem jungen Schafhuser, der in Göttingen bey Schlözer gelernt hat. Er hat die compilation de bello cimbrico geschrieben. Er wollte gern den hyperbolischen styl unsers Füßli beym feuermörser brauchen, mit dem er in genauer Verbindung steht.
Wir haben immer noch einen Inbegriff der Geschichte des Menschlichen Geschlechts nöthig zu unsern Classen, für leute von 12–15. jahren; nur funfzehn oder zwanzig bogen. Was mir von dieser Art vor gesicht kommt, ist in dem Ton der Monarchen und Eroberer. Und von diesem tone haben wir überflüssig in den Artikeln der Zeitungen von Polen und Constantinopel. Ich fürchte, wenn Treue und Glauben in die Alpen geflüchtet haben, welches ich nicht versichern darf, so werde man sie eines tages hier aufspüren, um sie auch aus unsern Tobeln zu verjagen. Wiewol ich der besoldete Historiker der Schweiz bin, so wünsche ich meinem Vaterland keine blutigen scenen, die meine geschichte interessanter machen, ich will sie lieber friedfertig wiewol mager und ohne Reiz haben.
Es war mir lieb, daß der buchhändler Bürkli meine Noachide wider gedrukt hat, wiewol er keine buchhändlerische fähigkeit hat, seinen Verlag an den mann zu bringen. Mir ist genug, daß ich viele Verbesserungen, die mir nahe lagen, angebracht habe. Orell und Geßner nehmen von mir nichts mehr in Verlag, und nehmen lieber vom präceptor von Moos. Vermuthlich hab ich sie arm an Ducaten und reich an Maculatur geschrieben. Es scheint nicht daß Haller sie reicher schreibe. Wie kommt es doch, daß die deutschen Theologen so viel guten geschmak, eine so gereinigte Vernunft, haben, die Poeten und die Kunstrichter, so schwach an Geschmak und Vernunft sind? Warum nimmt man Grillos Kindereyen für Euripides und Sofokles Stärke? Warum läßt man ihn schreiben?
Mein neveu, Escher im Wollenhof hat sich durch Ihre Zuschrift sehr beehrt gehalten. Gewiß haben sie mich in ihm ehren wollen. Er hat das beste herz und für einen kaufmann schier zu viel.
Leben sie, mein liebster Freund, so munter als sie leben müssen wenn ich selbst in disem Frost der jahre und der Alpen munter leben soll.
Ihr Ergebenster
Bodmern
Zürch den 24sten Novemb. 1772.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
à Monsieur Soulzer de l'academie royale et professeur à Berlin. franche Nurnberg.
Vermerk Sulzers auf der Umschlagseite: »24. Nov. 72.«