Brief vom 2. Oktober 1773, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 2. Oktober 1773

Da ich vermuthe, mein väterlicher Freünd, daß Hr. Hartman gegenwärtig in Zürich ist, so wende ich mich an Sie, um durch Sie mit ihm zu sprechen. Neülich schrieb ich ihm, daß ein sehr langes Stillschweigen des Herzogs in Curland, mich in Ungewißheit sezte, ob ich fortfahren soll Lehrer für sein zu errichtendes Gymnasium Academicum vorzuschlagen. Seit dem aber ist mir aufgetragen worden in meiner Anwerbung fortzufahren, damit die künftigen Lehrer auf das nächste Frühjahr sich in Mitau einfinden können.

Also würde ich den Hrn. Hartman zum Profeßor der Philosophie vorschlagen, wenn ihm die Bedingungen anstünden.

Das Gehalt ist von 300 Ducaten, oder deren Werth, und es wird überdem noch ein Gewißes zu einer Haushaltung hinlängliches Deputat an Getraide geliefert werden: für Wohnung aber, muß jeder selbst sorgen; Reise Geld kann ich noch nicht versprechen, weil ich auf meine Anfrag über diesen Artikel noch keine Antwort erhalten habe; aber es ist wahrscheinlich, daß jedem die Reise werde bezahlt werden.

Jeder Profeßor muß sich wöchentlich zu acht Lektionen verstehen, und muß über dem versprechen, eine Anzahl junger Leüthe, die da Studiren werden, in dem Maaße in seine Obhut und Aufsicht zu nehmen, daß er ohngefehr dasjenige für sie thut, was etwa ein rechtschaffener Man für sie thäte, dem sie von den Älteren angelegentlich empfohlen werden. Er muß sehen, ob sie an guten Orten in Pension sind; muß ihre Aufführung und ihr ganzes Betragen wol beobachten, ihnen mit Rath und That an die Hand gehen u. s. f.

Nach dem festgesezten Plan, ist des Profeßors der Philosophie hauptsächlichste Bemühung seinen Zuhörern wahre und richtige Begriffe von den verschiedenen philosophischen Systemen der berühmtesten Philosophen alter und neüer Zeiten zu geben, und sie anzuführen jedes System und jede Meinung über wichtige philosophische Gegenstände richtig und unpartheyisch zu beurtheilen.

Da mir noch ein Profeßor der Mathematik fehlet, und ich einen gewißen Tübingischen Magister, der, wo ich nicht irre sich Rappolt nennt, dazu vorschlagen möchte, so wünschte ich von Hrn. Hartman zu erfahren, was ihm von dieses Mannes Art und Ruff bekannt ist.

Dieses, mein Theürester ist für Hrn. Hartm.

Ich bin seit gestern wieder in Berlin, und finde doch, alles zusammen genommen, daß ich um ein merkliches beßer wiedergekommen bin, als ich weggieng. Das Übel nagt zwahr noch immer in meiner Brust, aber dem Ansehen nach wird es mein Leben langsam untergraben. Haller rathet mir den Winter in Neapel zu zu bringen. Für den bevorstehenden Winter kann ich diesen Entschluß nicht nehmen. Aber wenn ich noch ein Jahr bey Leben und dazu nöthigen Kräfften bliebe, so möchte es den Winter des künftigen Jahres geschehen. Daß ich dann mich mit Ihnen ablezen würde, verstehet sich von selbst.

Wir sind mit dem Druk meines Werks, bis in den Buchstaben O gekommen, und wenn ich den Winter über bey den Kräfften bleibe, die ich gegenwärtig habe, so hoffe ich die Arbeit ganz zu vollenden. Die abgedrukten Bogen schike ich nach Leipzig, daß sie da Ihnen zugeschikt werden. Haller hat mir einen wakern Mann aus dem païs de Vaud, Mr. Carrard aus Orbe, zu meinem Adjuncto vorgeschlagen, und ich schreibe ihm heüte, die Unterhandlung darüber mit ihm anzufangen. Darum hab ich auch nicht Zeit mich länger mit Ihnen zu unterreden. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.

JGSulzer

den 2 Octob. 73.

Ich bitte den Brief nach Bern ohne Verzug bestellen zu laßen.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Brief an Albrecht von Haller in Bern.

Stellenkommentar

Neülich schrieb ich ihm
Sulzers Schreiben an Hartmann konnte nicht ermittelt werden. Vgl. Hartmanns Schreiben an Bodmer, Tübingen, 5. September 1773: »Sulzern habe ich geschrieben, so gleich, als ich ihren Brief erhielt. Ich wünsche baldige Antwort. Wenn ich die Philosophie erhalte, so hab ich Ursache zufrieden zu seyn; denn meine Sprachkenntniß ist sehr gering. Aus meinem Brief kann freylich Sulzer nicht sehen, ob ich seinem Vorschlag Ehre mache. Sie müssen das Meiste dabey befördern, weil Sie Sulzers ganzes Herz haben.« (ZB, Ms Bodmer 2a.4).
sich Rappolt nennt
Wilhelm Gottlieb Rappold, der in Tübingen Mathematik studiert hatte, 1768 seinen Magister erwarb und 1774 Professor für Mathematik an der Karlsschule in Stuttgart wurde.
wieder in Berlin
Sulzer hatte sich zuvor in seinem Garten in Berlin-Moabit aufgehalten.
Haller rathet mir
Hallers Brief an Sulzer nicht ermittelt. Allerdings befindet sich in der Sammlung Autographa der BJ der Antwortbrief Sulzers an Haller vom 2. Oktober 1773, in dem es heißt: »Je crois comme Vous, que Mr. Carrard seroit un sujet propre pour ma place et je lui écris pour entrer en negociation, en Vous priant de lui faire parvenir ma lettre.« (BJ, Sammlung Autographa, Mappe Sulzer). Übers.: »Wie Sie, denke ich, dass Herr Carrard ein für meine Stelle geeigneter Mensch wäre, und ich schreibe ihm, um darüber zu verhandeln, wozu ich Sie bitte, ihm meinen Brief zukommen zu lassen.« Zur Idee einer Reise nach Neapel bemerkte Sulzer: »Je suivrois volontiers votre conseil de passer l'hiver à Naples, si je n'étois pas lié par plus d'un lien. Cependant si je vis encore un an et que vers l'automne de l'année prochaine, j'aye encore assez de force pour un tel voyage, je ne prévois rien qui pourroit alors m'empecher de tenter ce dernier remede.« Übers.: »Gerne würde ich Ihrem Rat folgen, den Winter in Neapel zu verbringen, wenn ich nicht an mehr an einer Fessel gebunden wäre. Jedoch, wenn ich noch ein Jahr überlebe und ich um den Herbst nächsten Jahres noch genug Kraft für eine solche Reise habe, sehe ich im Voraus nichts, was den Versuch dieses letzten Heilmittels verhindern könnte.« Daneben bat Sulzer Haller in dem Schreiben um Vorschläge für einen Professor der Naturgeschichte in Mitau.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann