Da ich vermuthe, mein väterlicher Freünd, daß Hr. Hartman gegenwärtig in Zürich ist, so wende ich mich an Sie, um durch Sie mit ihm zu sprechen. Neülich schrieb ich ihm, daß ein sehr langes Stillschweigen des Herzogs in Curland, mich in Ungewißheit sezte, ob ich fortfahren soll Lehrer für sein zu errichtendes Gymnasium Academicum vorzuschlagen. Seit dem aber ist mir aufgetragen worden in meiner Anwerbung fortzufahren, damit die künftigen Lehrer auf das nächste Frühjahr sich in Mitau einfinden können.
Also würde ich den Hrn. Hartman zum Profeßor der Philosophie vorschlagen, wenn ihm die Bedingungen anstünden.
Das Gehalt ist von 300 Ducaten, oder deren Werth, und es wird überdem noch ein Gewißes zu einer Haushaltung hinlängliches Deputat an Getraide geliefert werden: für Wohnung aber, muß jeder selbst sorgen; Reise Geld kann ich noch nicht versprechen, weil ich auf meine Anfrag über diesen Artikel noch keine Antwort erhalten habe; aber es ist wahrscheinlich, daß jedem die Reise werde bezahlt werden.
Jeder Profeßor muß sich wöchentlich zu acht Lektionen verstehen, und muß über dem versprechen, eine Anzahl junger Leüthe, die da Studiren werden, in dem Maaße in seine Obhut und Aufsicht zu nehmen, daß er ohngefehr dasjenige für sie thut, was etwa ein rechtschaffener Man für sie thäte, dem sie von den Älteren angelegentlich empfohlen werden. Er muß sehen, ob sie an guten Orten in Pension sind; muß ihre Aufführung und ihr ganzes Betragen wol beobachten, ihnen mit Rath und That an die Hand gehen u. s. f.
Nach dem festgesezten Plan, ist des Profeßors der Philosophie hauptsächlichste Bemühung seinen Zuhörern wahre und richtige Begriffe von den verschiedenen philosophischen Systemen der berühmtesten Philosophen alter und neüer Zeiten zu geben, und sie anzuführen jedes System und jede Meinung über wichtige philosophische Gegenstände richtig und unpartheyisch zu beurtheilen.
Da mir noch ein Profeßor der Mathematik fehlet, und ich einen gewißen Tübingischen Magister, der, wo ich nicht irre sich Rappolt nennt, dazu vorschlagen möchte, so wünschte ich von Hrn. Hartman zu erfahren, was ihm von dieses Mannes Art und Ruff bekannt ist.
Dieses, mein Theürester ist für Hrn. Hartm.
Ich bin seit gestern wieder in Berlin, und finde doch, alles zusammen genommen, daß ich um ein merkliches beßer wiedergekommen bin, als ich weggieng. Das Übel nagt zwahr noch immer in meiner Brust, aber dem Ansehen nach wird es mein Leben langsam untergraben. Haller rathet mir den Winter in Neapel zu zu bringen. Für den bevorstehenden Winter kann ich diesen Entschluß nicht nehmen. Aber wenn ich noch ein Jahr bey Leben und dazu nöthigen Kräfften bliebe, so möchte es den Winter des künftigen Jahres geschehen. Daß ich dann mich mit Ihnen ablezen würde, verstehet sich von selbst.
Wir sind mit dem Druk meines Werks, bis in den Buchstaben O gekommen, und wenn ich den Winter über bey den Kräfften bleibe, die ich gegenwärtig habe, so hoffe ich die Arbeit ganz zu vollenden. Die abgedrukten Bogen schike ich nach Leipzig, daß sie da Ihnen zugeschikt werden. Haller hat mir einen wakern Mann aus dem païs de Vaud, Mr. Carrard aus Orbe, zu meinem Adjuncto vorgeschlagen, und ich schreibe ihm heüte, die Unterhandlung darüber mit ihm anzufangen. Darum hab ich auch nicht Zeit mich länger mit Ihnen zu unterreden. Ich umarme Sie von ganzem Herzen.
JGSulzer
den 2 Octob. 73.
Ich bitte den Brief nach Bern ohne Verzug bestellen zu laßen.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.
Brief an Albrecht von Haller in Bern.