Zürich den 23sten Jenner 1768.
Mein liebster Herr Professor.
Die lezten Zeilen, die sie von mir haben, waren den 16ten Sept. geschrieben, sie antworteten den 12ten Octob. weniges und vertrösteten mich auf ein mehreres. Seit dem habe ich von ihnen nichts, und nicht einen buchstaben in dem briefe an den Herrn Brunner mit welchem sie sein Vocationspatent begleitet haben. Ich wiege mich oft mit dem süssen Gedanken, daß Sie in dieser Zeit den umgang mit den Musen, die ihnen allemal so günstig waren, wieder erneuert, und ihrem Wörterbuch einen starken Ruk gegeben haben. Die Gesundheit, die sie den sommer durch in ihrem schönen landhause gesammelt, wird sie zu diser Arbeit desto munterer gemacht haben. Ich weiß es allein von unsers Exulanten, Hn Müllers, Freunden, daß sie mit Vatersfreundschaft so glücklich für ihn gesorget haben. Als ich mein lezteres an Sie schrieb, kam noch niemanden in den sinn, daß er nach Breßlau, oder Berlin, gehen würde. Seine beföderung ist auch schon den Representanten in Genf bekannt, und sie haben darüber so viel freude als wenn er Einer von ihnen wäre. Ein ungenannter hat sein verurtheiltes gespräche ins französische übersezt und es ist in Genf, (durch was für Wege ist mir unbekannt) vermehrt und verbessert ans Licht gekommen. Gewisse leute hier sind mit dem Glüke nicht zufrieden, welchem sie ihn durch seine Verbannung entgegen geschikt haben. Sie haben mich im verdacht, daß ich Ihn bey Ihnen empfohlen, und wer weiß besser als Sie, mein liebster, daß ich an disem guten werk unschuldig bin? Wenn es Hrn. Müller noch kränkt, daß man ihm seine vaterstadt verboten hat, so sagen sie ihm, wenn er in einer Zeit nur von zehn Jahren lust haben werde, wieder in seine Heimath zurük zu kommen, daß tausend Wahrscheinlichkeiten seyn, daß ihm der Zugang dahin wieder eröffnet würde.
Izt haben mein theürester Freund ihre compatriotische freundschaft auch Hrn Brunner so empfindlich bewiesen; der persönliche umgang mit ihm wird Ihnen bald entdeken, daß sie dise großmuth einem würdigen mann bezeiget haben. Die Gespräche mit ihm, wie zuvor mit Hn Müller, werden sie öfters zu mir nach Zürch, in ihren Gedanken versezen, und sie werden dann mit mir die vorsehung loben, die mir in disem Alter noch so viel gesundheit, stärke, und munterkeit des geistes erhalten hat. Aber unsern liebsten freund von Neftenbach standen wir jüngst in Gefahr zu verlieren. Izt ist er beßer, aber nun fürchte ich daß wir den guten Kopf, den wol und stark denkenden Hn Felix Heß nicht lange mehr haben werden; eine Consomtion scheint bey ihm angesezt zu haben, die ihn allgemach verzehret. Unser Gymnasium und unsere Kirche verliehren an ihm, was man hier nicht fähig ist nach seinem Werthe zu schätzen. Was der Füßli in London, auch einer von ihren Pflegesöhnen, sey, was er denke, was er vornehme, wissen wir bey uns nicht. Es ist zwischen ihm und seinen alten Freunden hier kein briefwechsel; das lezte, das ich von ihm hörte war, daß er ein Trauerspiel verfertigte, auf welches er sein ganzes Engländisches Glück bauen wollte.
Ich habe seit zwey Jahren das Vergnügen nicht gehabt unsern lieben Hn. Schuldheiß Sulzer zu sehn, ich kann nicht nach Winterthur, und Zürch wird von ihm gemieden, so viel er kann. Also habe ich sein Schloß Wülflingen noch nicht betreten.
Der Kamerer Meister von Küßnach hat einen sohn, der ein aufblühendes Genie ist; diser macht mir unter unsern jungen leuten am meisten Vergnügen. Die helvetische Gesellschaft auf der Gerberzunft hat neue Kräfte gesammelt. Doch muß ich mein stillstes und sanftestes vergnügen durch mich selbst suchen.
Ich lasse Sie auf künftige ostermesse schriften erwarten, welche bey den deutschen pedanten und ihrer Cabale wieder rumoren werden. Es ist doch ein Elend, daß Deutschland die Kraft verlohren hat einen zweiten Liscow zu zeugen, einen Liscov, der es an Einsichten, genie, munterkeit, unerschrokenheit, und zugleich an Macht und Würde wäre, der die Nicolai, die Weißen, die Michaelis, die Klozen weder zu fürchten noch zu bitten hätte. Sulzer wäre diser mann gewesen, wenn er kein Schweizer gewesen, und wenn er mehr der Musen als des Königes wäre. Kloz ist doch nur ein Orbit, der durch andere denkt, der sich hüten muß, [→]neve paternum Cognomen vertat in risum et fabula fiat.
Ich erstaunte, als ich vor wenig Monaten zuerst Weisses Atreus und befreytes Theben las. Seine Epaminondas sind leutenants der Reichsarmee. Wenn Leipzig sie für Griechen nimmt, wofür wird es Xenophons und Plutarchs Griechen nehmen? Ich denke, für mythologische undinge, die uns so wenig angingen als der Glaube an die Mythologie, den doch Ramler und Kloz haben. Die Deutschen sind einmal sklavisch erzogen, und begehren es nicht besser zu wissen; und es ist für sie ein Glück es nicht besser zu wissen.
Lasset Weissen lydische Lieder schreiben oder Trauerspiele für Loges von Sibariten und Lydier. Es ist nicht unglaublich, was Christian Schmid sagt daß Er sich der Empfindung der Nation bemeistert habe. Dignum patella operculum! Es bekömmt den seelen von Sulzers Gleichen wol, daß sie wie Democritus unter den Abderiten vergnügt seyn können. Aber Sie werden vielleicht rufen:
[→]Abderiten! Quis tulerit Gracchos de seditione loquentes!
Denn sie sind, und aus ursachen, sehr übel mit den leuten zufrieden welche die wenige achtung, die man etwa sonst für sie gehabt hat, durch die art, wie sie mit den braven Genfern umgehen, noch ganz verlieren wollen. Ich muß ihnen doch sagen, daß man, wo nicht oberkeitlich doch als private, sich über die Genferischen sachen ziemlich begriffen hat. Das Unglük ist daß man zu weit vertieft ist. Das prononcé ist ergangen, es heißt darinn, nous jugeous, nous disons, nous prononçons; als wenn Garans juges über die Republik und Constitution von Genf wären: und man hat sehr nach dem wunsche des Raths prononcirt. Die lignes des nouvelles Elections sind gewissermassen weggethan worden. Wenn alle Eligibles eines Vorschlags verworfen werden, so werden dann alle auf einmal und en bloc von neuem in die Wahl gethan, und der Conseil Genl. ist verbunden, aus ihnen zu wählen, ungeachtet er sie zuvor singulariter verworfen hatte; u. s. w. Man hat das prononcé dem Rath geschikt, damit er die Wahlen und alles andere darnach einrichtete, ohne daß der Cl. Gl. um seine Zustimmung gefragt würde. Die Citoiens sehen die ligne de nouvelle election für ihr palladium an; wenn sie Kraft derselben alle Vorgeschlagenen verwarfen, stand die Regierung ohne Häupter, wie sie würklich daher seit Jenner 1766. gestanden ist. Also konnten sie damit ihren Representationen einen Nachdruk geben. Izt sind drey Conseils generaux gehalten worden, in denselben sind drey vorschläge gemachet, und alle dreye verworfen. Da folgete nach dem prononcé, daß alle die verschiedenen in 3. Wahlen vorgeschlagenen Personen sollten zusammen in die Wahl gebracht werden, ohne ligne de rejection. Der Magistrat sah vor, und die Citoiens machen kein geheimniß daraus, daß sie das prononcé nicht respectiren würden, und eine thätliche Widersezung entstehen müßte, wo er alles risquirte. Er sezte darum eine Commission, welche ein projekt entwerfen sollte, wo das prononcé zwar zur basi genommen, doch einige concessions gegeben würden, welche die Citoiens befriedigen möchten. Dise verlangten, daß auch von ihrer partey deputirte in die Commission kommen müßten, der Rath schlug es aus, und machte ein einseitiges project, welches vorigen donnerstag dem Consl. Genl. zu genehmigen oder zu verwerfen sollte vorgelegt werden. Aber diese machten neue Instanzen, daß man ihnen Zeit geben und aus ihrem Mittel männer zur deliberation zuziehen müßte, wenn etwas stabiles und annehmliches sollte gemacht werden. [→]Nous avons vü, sagen sie, que les limitations proposées aux droits de refus ne peuvent etre balanceés que par un grabeau d’une autre espeçe et par des droits d’election pour la formation des corps. Mais comment combiner sagement ces deux droits? D’un coté nous craignons la democratie pure, de l'autre nous desirons une pleine sureté pour la liberté particuliere et pout les droits du Cl. Genl. C’est cette combinaison qui ne sauroit être l’ouvrage de peu de tems. Diese declaration hat das gewürkt, daß der Rath den project zurük behalten, auch den Wahltag en bloc weiter hinausgestellt hat.
Ohne Zweifel wissen sie daß der Rath ein Exposé de sa Conduite publicirt hat, daß ein Anonyme im Examen des III. points de droit, in welchem er eben so viel Widersprüche den Citoiens schuld giebt, ans licht gestellt und die prætensionen des Rathes etablirt hat, daß die Citoiens den Rath gefraget, ob der Anonyme seine Gedanken vorgetragen, und als diser ihn desavouiert, eine schrift, Purification betitelt, herausgegeben, in der sie den Anonyme wegen faussetés und sofismes überzeugen, die augenscheinlich auf den Rath zurükfallen. Alle Wochen kommen Brochures von allen Formen und Gesichtspunkten ans Licht, in welchen die Citoiens eine Superioritét de genie, de raisons, de profondeurs, de stile zeigen, welche ins Auge fällt; sie haben wenigstens drey genies superieurs unter ihnen. Dabey ist die fermeté, die unanimité, die moderation derselben wunderbar. Die sanftmüthigsten, die alten, die jungen, die reichen, die armen, die Klügsten, die leichtsinnigsten, erklären sich täglich, [→]qu'ils sont préts à sacrifier leur vie pour le maintien de leurs droits d'indépendance, qu'ils veulent plutôt mourir que recevoir des loix des Etrangers. Die sclavischen seelen, die in Zweifel ziehen, ob Epaminondas gewesen sey, können nach Genf reisen, wo sie diselben im leben sehen werden.
Aber es ist traurig, daß es Schweizer sind, die Schweizern Gelegenheit gegeben haben, diese griechischen und römischen Sentimens an den Tag zu legen. Hier ist man zwar öfentlich in den Gedanken, wenn wir von der Obrigkeit in Genf gemahnet würden, Ihnen zu Hülfe zu kommen, daß wir nach unsern declarationen es schuldig wären; daß wir auch den Feldzug vornehmen würden, wiewol à contre coeur. Die aber am lautesten so reden, schmeicheln sich in ihrem wunderlichen Kopf, daß die Representanten auf die erste nachricht von unserm armement zum Kreuz kriechen; oder daß sie aus Schuldigkeit oder aus Ehrfurcht die thore öffnen würden. Aber es ist schon lange, daß sie hoffeten, man hätte poltrons vor sich; es kommt mir vor, daß freylich poltrons seyn werden, aber daß die Conseillers es seyn werden. Wir haben worte und werke, daß die Citoiens uns de pied ferme erwarten würden.
Es hat allen Schein, daß Frankreich glaubt, es habe das seinige gethan, und es ruhe das übrige auf den beyden ständen. Man sagt sonst, daß die brochures der Representanten am Hof, wo sie stark gelesen würden, viel Impression gemacht haben.
Niemand, mein Freund, gebe den elenden Gedanken Plaz, daß wir dumm genug seyn würden, wenn wir Genf nicht einnehmen möchten daß wir französische truppen, oder die schweizerischen Regimenter, die izt der Krone dienen, dazu gebrauchen würden.
Aber der Conseil darf die Cantons nicht rufen; so bald er sie riefe, so würden die Citoiens ihn für feind erklären und sich ihrer personen bemächtigen. Sie haben ihm schon in einer von den lezten addresses gesagt: [→]Nous touchons au moment où vos Concitoiens vous rendront où vous refuseront pour toûjours le beau nom des peres de la patrie.
Ohne dises haben sie schon gesagt, daß die Regierung seit Jenner 1766. nur precaire gewesen, weil damals schon die Magistraturen der vornehmsten Ämter der Republik ausgegangen wären, und sie seitdem nur propter injuriam temporum geduldet worden.
Wenn sie darum dazu schritten und einen neuen Rath sezeten, und uns schrieben, daß sie wieder einen Rath hätten, den sie im Cl. Genl. erwählt, und der ihnen angenehm wäre, so sehe ich nicht, warum wir nicht zufrieden seyn sollten. Wir haben den Cl. Genl. immer für souverain erkannt, wiewol der Rath sagt, daß seine attributs partes summi imperii seyn; wir haben auch im Reglement von 1738. gesagt, daß die Citoiens en Cl. Genl. versammelt, Changemens machen dürfen, wie es ihnen nur gefällt; und wenn man einwendete, der Conseil general wäre nicht legitimement versammelt worden, so würden wir gewiß die ursach und den grund gut genug finden, daß das ganze Gouvernement seit zwey jahren nur precaire und selbst eine anomalie gewesen wäre. Und dieser point de vûe würde uns einleuchten nicht bloß wegen seiner innerlichen Güte, sondern noch mehr, weil wir nicht den geringsten Appetit haben, einen Feldzug gegen unsere Bunds- und Religionsgenossen vorzunehmen. Wir werden gewiß sinnreich genug seyn uns tellement quellement aus der Sache zu ziehen, daß wir nicht ausziehen müssen.
Der Canton Bern hat izt sonst Arbeit genug wegen der affaire von Neufchatel, es ist als ob er inter incudem et malleum liege. Er möchte einem König genüge thun und einen andern nicht beleidigen.
Sie werden von der Messe die geschichte des Königreiches Cumba bekommen, Italienisch oder deutsch, oder in beyden sprachen. Sie werden starke Wahrheiten gegen die papomanie darinnen finden.
[→]Jacob Heß, der geistliche neveu unsers Freundes von Neftenbach hat das Leben Jesu, das die Evangelisten beschrieben, mit beynahe poetischer Freiheit ergänzet. Noch hat mans wol aufgenommen.
Unser Lavater hat ein theologisches system geschrieben welches alle Sekten der Christl. Religion gemein haben können, nach dem plan, nach welchem eine gewisse Societät in dasigen Gegenden es gewünscht hat.
[→]Unser Breitinger hat für unser Institutum einer realschule eine deütsche Logik von 3. Bogen geschrieben, welche unsre leute im denken weiterführen kann als einige für ihre politik gut finden.
Ebenderselbe hat Grundsäze des Rechtes verfertiget, welche die Maximen, die man gern für grundsäze giebt, alle zu schanden machen. Diese beyden Werke sind catechetisch.
Tobler von Ermatingen hat Fragmente von Predigten unter der Presse, welche den Ekel vermeiden, den die predigten haben, in welchen man uns keine Gedanken schenkt, den ein Laicus so gut denken kann, als der prediger.
Wir schiken den deutschen schriften von Verstand auf die Messe, für welche sie uns Geplauder und babioles zurükschiken. Es ist doch ganz natürlich, daß die leute, von welchen ihre gedungenen Journalisten so laut sprechen, ihre Weiße, Herder, Lessinge, die dramaturgen und panurges, von den Schweizern schweigen. Da ihnen ihre schriftgen so bewunderungswürdig dünken, so müssen die unsern nothwendig in ihrem sinn verwerflich, verdammlich, abscheulich scheinen. Vielleicht ist es mitleiden mit der Nation, daß der Mann, der der Liscov für unsere Zeiten seyn könnte, sie in diser Selbstzufriedenheit schlafen läßt.
Ich verlange nicht, daß sie diese blätter für etwas mehrers halten, als für geplauder eines freundes, der sich unterm Schreiben vorgestellt hat, er stehe vor ihnen tête à tête; und nicht nur vor Ihnen sondern auch vor meinem liebsten Wegelin. Und so überlasse ich Sie, mein theurester, den Musen, der Gesundheit und der Munterkeit. Da sie vom blossem Zuschauen in die politischen Geschäfte müde sind, so schliessen Sie sich zu sich selber ein, und glauben, daß sie die süsseste und edelste Gesellschaft in sich, und bey den Musen ihren Vertrautesten finden.
Ich umarme sie mit vollem Herzen der Freundschaft.
Ihr Ergebenster, alter Diener
prof. Bodmer
Den Augenblik war ihr Hr. Neveu Hr. Brunner bey mir, mit dem ich ein paar angenehme stunden zugebracht habe. Er hat im Christmonat einen unwürdigen Zunftmeister ausgestellt, womit er bey allen Rechtschaffenen sich Ehre gemacht wiewol er nur eine stimme zu wenig gehabt; er hatte den vorigen Amtmann Lavater in Winterthur ernannt.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
A Monsr. Soulzer prof. et membre de l'Academ. roiale des siences Berlin par Amitié