Brief vom 19. März 1768, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 19. März 1768

Mein theürester Freünd.

Sie haben mit mir die Geduld, die ein Vater mit seinem Sohne hat, und Sie straffen mein Stillschweigen nicht mit dem ihrigen. Ich will mich nicht entschuldigen; doch muß ich sagen, daß es meine, nicht mehr zu ändernde Art oder Unart ist durch Geschäfte zu freündschaftlichem Brieffwechsel und auch zum Studiren untüchtig zu werden. Briefe an meine Freünde sind Lekerbißen, Gerichte eines feinen Nachtisches, die man nicht zu genießen verlangt, wenn man nicht völlige Muße hat zu sizen so lange man will. Ich weiß nicht, wie andre bey den Musen von Geschäften ausruhen; denn mir hat der Umgang mit den Musen etwas so feines, daß ich ihn nicht eher genießen kann, bis ich alles, was Geschäft heißt, weit von mir entfernt habe.

Es ist noch nicht ausgemacht, ob Herr Müller hier wol oder übel angekommen ist. Sein Vaterland und der Umgang mit einigen Freünden; die gänzliche Unabhänglichkeit und ein Sorgeloses Leben, hangen ihm gar sehr am Herzen. Sich selbst traut er zu wenig zu, und er selbst kann sich nicht ermuntern. Es war ihm doch schon eine große Erquikung, daß Sie seine Aussöhnung und seine Zurükkehr vorhersagen. Wie schlecht ist es, daß ein Mensch, der sein Vaterland so sehr liebet von demselben soll verbannet seyn? Und wie niederträchtig war es von ihren Häuptern gedacht, wenn sie in der Verbannung ihn noch mit ihrem Unwillen verfolgen wollten? Wir haben Hrn. Brunner recht auf den Beichtstuhl gesezt: er mußte uns herauslangen, was in dem lezten Winkel seines Gedächtnißes war. Nur Schade, daß so wenig gutes unter dem vielen war, so er uns sagte. Sehr angenehm war es für mich, daß er dem Hrn. Müller ihre politischen TrauerSpiele und ihre Grammatik gebracht hat, die ich erst in ein paar Monaten bekommen werde. Freylich werden die Weiße und die Nicolai u. auch die Kloze wieder seltsame Urtheile geben. Mich haben sie sehr erfreüt, und besonders der IV Heinrich, den ich sehr wünschte auf der deütschen Schaubühne zu sehen. Über den Aufstand der Römerinnen und den unhöflichen Consul werden unsre höfliche Herrn sich sehr spaßhaft herauslaßen. Es ist würklich eine Schande zu sehen in was für Händen die Literatur in Deütschland ist. Aber, was ist dabey zu thun. Außer denen Leüthen, die sich zu der einen oder andern Parthey geschlagen haben, ließt in Deütschland niemand. Unser gelehrtes oder Lesendes Publicum sind Professores und Studenten und einige Leüthe, die sonst der einen oder andern Gattung einiger maaßen verwandt sind. An diesen ist wahrlich nichts zu beßern. Und wie soll man Leüthe unterrichten die nichts größeres denken können als Abt, oder Gleim oder Weiße? Denen Abt in der Schreibart ein Claßischer Autor ist?

Allein auch dieses Verderben hat nicht viel zu sagen. Was wäre der Religion daran gelegen, wenn etwa ein paar München Clöster unsinniges Zeüg vorbrächten, davon die übrige Welt nichts läse? Den Verlust des rechtschaffenen Heß beklage ich von Herzen. Es wär viel von ihm zu erwarten gewesen. Ich bin doch begierig den Ausgang des Genffischen Drama zu sehen, das nun in der Entwiklung zu seyn scheinet. In die Händel von Neüb. ist ein neüer Actor verwikelt, der die Sachen eben nicht leichter machen wird.

Ich umarme Sie von ganzem Herzen

den 19 März.

Ihre Grammatic ist in meinen Augen ein so viel größeres Meisterstük, je kleiner die Anzahl der Bogen sind, in welchen Sie eine so weitläuftige Sprache beschrieben und charakterirt haben.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13b.

Anschrift

An Herrn Profeßor Bodmer

Vermerke und Zusätze

Siegelreste.

Eigenhändige Korrekturen

sie in der Verbannung
sie außer in der Verbannung

Stellenkommentar

ihre politischen TrauerSpiele und ihre Grammatik
J. J. Bodmer, Neue theatralische Werke. Erster Band. Der Vierte Heinrich, Kaiser, und Cato, der Aeltere oder der Aufstand der römischen Frauen. Zwey politische Dramata, 1768. – [Ders.], Die Grundsätze der deutschen Sprache, 1768.
München Clöster
Mönchsklöster.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann