Die Kaufleute in Moscau haben an Hrn. Brunner den rechten Mann; gebe Gott daß er eben so rechtschaffene Männer an ihnen finde! Aber ich will Ihn selbst reden lassen. Drey Zeilen von Ihnen, mein theurester, machen mir allemal lust Ihnen drey Blätter zurükzuschreiben. Selbst ein brief, den sie mir in ihrem gedankenlosen landleben schreiben macht mich drey tage munterer, wenn ich mich fruchtlos bemühet habe die politischen sofisten zu bekehren. Mein unruhiger geist spornt mich immer, daß ich lieber fruchtlos arbeite als size und gähne. Ich geniesse von dem landjunkerlichen leben nichts, als daß ich jeden schönen Abend am Gestade der Limmat spaziere, und des Nachmittags die reifen Feigen von meinen drey Feigenbäumen pflüke. Diese haben sie doch im Lande Moab nicht. Der jüdische Nahme! warum nicht lieber Meyental, oder sommerruhewonne oder S. Georg im Feld? Ich wollte doch daß sie mich dahin zu Ihnen versezten; dises könnten sie thun, wenn sie ein diarium nur von einem tag schrieben, in welchem sie alle die kleinsten, gedankenleersten, unthätigsten dinge Ihres sinnlichen Lebens bezeichneten. Ich möchte doch wissen wie ein papillon philosophe lebte. Ich denke, daß Ihre liebsten Töchter nicht unsinnlicher in ihrem Garten von der Anemone zur Jonquille fliegen; wenngleich die Madle. Meister nicht mit ihnen fliegt. Der himmel behüte dise unschuldigen papillons vor Sperlingen! Der dichter des geprüften Abrahams ist zu einem Sperling geworden. Ich habe zwey Gedichte in manuscr. von ihm gesehen, Musarion in drey Gesängen und Idris in achten; In achtzeiligen gereimten strophen. Es ist unglaublich wie viel Genie, Wiz, Poesie in disen stücken ist. Hier ist mehr als La Fontaine. Die Lessinge, Gerstenberger, Weisse, müssen ihn beneiden, indem sie ihm fluchen. Er könnte mit Petron um das Amt eines Arbitri Elegantiarum bey Nero concurrieren. Ganymed, Silen, und die Faunen würden sich schämen dem publico die Obscenitäten zu sagen, welche ihm der Mensch sagt, der mit den Seelen der Abgestorbenen briefe gewechselt hat. Amor und der irdischste Amor, muß sich mit allen seinen flammen in seinen Kopf und Herz geworfen haben. Aber er wird für süsse Herren und süsse Schönen ein Classicus werden, und wie viel Fälle der unschuld werden auf seine Rechnung kommen!
Füßli sagt mir, daß er wegen der Taschenkalender Hn Gravius zugeschrieben habe.
Die löbl. vorörtl. haben die Mine noch nicht, daß sie sich bey Ihnen, mein Freund, Lob erholen wollen. Vor drey wochen sind zween andere Commissaires nach Zürich und zween nach Bern gekommen, eine Addresse von den Citoiens zu überbringen, in welcher sie beweisen, daß der Fall der Garantie niemals war, und daß Garans Ihnen ihre Constitution nicht berechtiget zu verändern. Hier hat der geh. rath nach vielem bedenken die Addresse ihnen abgenommen, doch nur, daß er sie dem grossen Rath zeigen und erwarten wolle, ob dieser sie abnehmen wolle. Drauf hat man ihnen insinuirt, daß sie die stadt verlassen sollten. Doch ist das memoire noch nicht vor die 200. gebracht; man wartet, was Bern daraus machen wolle. Der geh. rath in Bern hatte sie unangehört heimschiken wollen, aber die grossen räthe murreten und erkannten daß sie verhört werden müßten. Doch ist es noch nicht geschehen. Vermuthlich wollen die Räthe warten bis die Entschließung von Versailles kommt. Wenn sie die Addresse verwirft, welcher politicus von Zürich oder Bern wird sie nicht auch verwerfen? Der samariter ist noch nicht gekommen den Nahmen des Nächsten an dem verwundeten zu verdienen. Wir müssen der Parabel einen andern Schwung geben: Der Samariter sah ihn in s. Blute liegen, er bemerkte doch daß ihm der puls noch schlug: Er hat noch warmes blut in den adern, sprach er, er möchte sich leicht wieder erholen, und dem priester und dem leviten übels nachreden, daß sie ihrem beruf nachgegangen und sich nicht gesäumt ihn aufzuheben. Dem Ärgerniß zuvorzukommen gab er ihm noch einen stich, die lezten tropfen blut abzuzapfen.
Ich hatte dieses Blatt in Hn Brunners einschließen wollen, aber er wollte lieber, daß ich den brief spedirte.
Unser Hr. diacon Waser hat seine älteste Tochter Hn Vogel, einem jungen Architekt, verheurathet, der 2. jahre bey Winkelmann gewesen und dessen Gunst sich erworben hat.
Die zween Genfer die hier waren, haben mein Herz gewonnen, und meinen Verstand eingeleuchtet. Ihr Memoire ist izt gedrukt. Der grosse Ha... ist ihnen so feind, als dem guten J. Jaq. R.
Umarmen sie für mich in den rosengängen ihres Gartens meinen liebsten Wegelin der so in meinem Kopf denkt, daß er in seinem eigenem meine gedanken und dise noch besser in ordnung und befestigter finden kann. Dagegen umarme ich für sie unsern Heß von Neftenbach, der gleich izt in mein Zimmer tritt, und mit mir sich zu ihnen beiden versezet.
B.
den 16. Sept. 1767.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13b.
Pour Mr. Soulzer de l'acad. royale à Berlin
Brief von Salomon Brunner.
Vermerk Sulzers am oberen Rand der ersten Seite: »16. Sept 67.«