Liebster freund.
Ihr scheiden von mir hatte meine seele in eine verlegenheit gesezt, wie die war die sie bey dem verlust meiner Kinder gelitten hatte. Ich prüfete etwas dergleichen bey dem zweiten Abschied Klopstoks. Wieland hatte seine Precautionen mit mir genommen, daß sein scheiden mir ziemlich gleichgültig war. Seit ihrer Abreise ist die Einsamkeit so schwer auf meinen gemüthe gelegen, als wenn ich sie nicht dreißig jahre her gewohnt gewesen wäre. Langsam fang ich an, mich wieder an sie zu gewöhnen und die Gesellschaft der Noachiden dünkt mich izt eine große Versammlung.
Die sache wegen der Collect hat einen neuen schwung genommen. Hr. statth. Hirzel hat nicht gut gefunden zu unterschreiben damit ihm nicht einige Anhänglichkeit zu Füßlin vorgerükt werde, wenn er künftig über die Klageschrift richten soll. Aber wenn dieses geschäft geendiget seyn werde, wolle er mit dem grösten vergnügen unterschreiben. Er rieth also, man sollte die Collect bis so lang anstehn laßen, und weil man sicher sey, daß sie nach unserer Absicht gerathen werde, so dürfe man wol 10 bis 20. doppie darauf vorschießen, womit Hr. Füßli verreisen könne, ehe die Collect vorgenommen werde. Der Vorschlag hat uns nicht übel gefallen und man wird ihm folgen. Dienstages sind diese 2 briefe für sie eingekommen. Da sie nicht mehr bey mir sind, sucht man sie bey mir. Ich fürchte daß nachrichten in den briefen liegen, die sie vor unserm Wunsche nach Berlin rufen. Hr. statth. Nüscheler hat wieder eine Rache vorgenommen. [→]Er hat Lavater und Füßli vor die Censores librorum beschieden. Es sind nur drey Censores, die nicht im Ausstand seyn. Er selbst ist im Ausstand. Unser Chorhr. und vermuthlich auch Hr. Antistes werden ihm sagen, das geschäfte liege in den händen der Hhn. räthe, und sie laßen es darinnen liegen.
Hr. Rathsh. Rahn hat einen zufall von Colik gehabt, der ihn beynahe hingeraffet hatte.
Es ist eine unvergleichliche sache um die hoffnung, ich wiege mich noch immer in den gedanken, daß ich sie noch einmal sehen, mich mit ihnen freuen und sie umarmen werde. Aber die gelegenheit dazu muß uns der Himmel geben. Darauf wollen wir Acht haben. Izt umarm ich sie allein in gedanken.
Bodmer.
Zürch den 16. feb.
1763.
H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12b. – A: ZB, Ms Bodmer 20.9–11, 13a.
Zwei an Sulzer adressierte Briefe.