Brief vom 17. Februar 1751, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 17. Februar 1751

Zürch den 17 februar 1751.

Mein liebster Herr und Freund.

Vor ungefehr 14. tagen kam Hr Kl. zu Hn Can. Breit. durch seine vermittlung eine Aussöhnung mit mir zu erhalten. Dieses gab Anlaß daß Hr Br. ihm seine Aufführung unter uns candore helveto vorstellete. Nachdem Hr. Br. die translocation des creditirten geldes auf sich genommen, als eine sache darinnen ich pure seinem Rath gefolgt, abstrahierte K. von disen punkten und fiel nur darauf, daß ich ihm dise translation mit einer triumfierenden Mine vorgetragen hätte. Von dem grausamen Brief, den K. mir bey diser gelegenheit geschrieben hatte, ward nicht viel geredet. Mein gröstes verbrechen sollte seyn, daß ich die Messiade verkleinert hätte, und dieses sollte ich gegen Göldli, dem luzernischen priester gethan haben. Hr Can. wuste ihm leicht zu sagen wann und welcher aufführung er den kleinen fall, den die Messiade seit seiner ankunft bey uns gethan, beyzumessen hätte. Hr Can. widerholete ihm alle die historietes, die über sein Capitel von den jungen Hhn raportiert worden, von denen wir wünscheten, daß es lauter verleumdungen wären. Hr Kl. ward darüber ziemlich stille, und sagte nur, wenn Bodmer dergl. dinge erzählt worden, und wenn er sie geglaubt, so muste er nothwendig von mir alieniert werden. Der schluß war, Hr. Kl. wollte zu mir kommen und zum Eingang mich bitten ich sollte sein Herz nicht aus den vergangenen geschichten, sondern aus den proben beurtheilen, die er mir künftig davon geben wollte. Er wollte das ⟨Reciprocum⟩ thun. Also kam er sonntags vor acht tagen. Ich embrassirte und küsste ihn, dann sagte ich: ich wollte mir seyn lassen, er käme allererst bey mir an. Er kauete etliche worte, die ich nicht vernehmen konnte. Ich hatte ihm sagen lassen, wenn er von dem vergangenen nicht gern etwas erwähnete, so möchte ers wol bleiben lassen. Ich verlangete es nicht, und ich würde dise materie gern unberührt lassen. Hr. Canon. hatte ihm so vil gesagt, daß es genug seyn konnte. Dienstag kam er gleich nach tische wid., und las mir ein grosses stük des IV. Gesanges. Um 3. uhr gingen wir zu Hn Canon. Mittwochs kamen sie beyde zu mir. In allen disen Conversationen war er ganz freundschaftlich, aber von der Entzweiung oder dem grausamen Brief nicht ein wort. Ich hatte gehoffet Hr pastor Heß von Altstetten würde in die stadt kommen dann könnte ich mit ihm bey Kl. den Gegenbesuch thun; weil er aber nicht kam so bedacht ich mich immer, ob ich allein gehen wollte. Es wurd samstags nachmittag und ich war noch bey haus. Eine von den ersten Nouvelles, die Hr. Klopstok mir bey seinem ersten besuch gesagt, war, daß er sonntags den 14 verreisen würde. Nun hatten wir noch nicht Abschied genommen. Besagten samstags gegen 3 uhr kömmt Hr. Breit. mir zu sagen, daß Hr. Kl. eben bey ihm gewesen wäre, und sich sehr kläglich gestellt hätte, er hätte donnerstags und freytags einen Gegenbesuch von mir erwartet, er fürchtete sehr mein Herz wäre noch von ihm entfernt –

Hr Can. tröstete ihn, daß ich eben nicht die besten Gedanken von Rahn hätte, und sehr ungern in dessen haus gienge, ich würde zu Hn Kl. in jedes andere haus kommen. Wenn ihm aber so viel daran gelegen wäre, so würde ich disen schritt noch wol thun. In der that nahm ich ohne Anstand den Weg in die Farbe, wo Kl. logirte. Er empfieng mich sehr liebreich. Ich gab ihm einen von meinen besten segen. Ich küste ihn zum Abschied zweymal, und Rahn und Keller aus wolstand einmal. Keller ist ein junger Minister, der die Reise mit Kl. bis Kopenhagen machen wird. Hartmann Rahn gehet auch mit; vermuthlich dem dähnischen König od. der asiatischen Compagnie seine dienste in der tafetmahlerey anzubieten, denn hier hat seine Manufactur völlig aufgehört. Hr Klopst. gieng mit mir nach haus, weil er auch von meiner Liebsten Abschied nehmen wollte. Der Abschied geschah zum zweiten und dritten mal mit vieler Zärtlichkeit. Mein Herz ward mir groß. Er war auch sehr gerührt. Künftig mag er wol so werden, wie ich ihn jezo gewünscht habe. Er wird dann andern die freude machen die er mir nicht gemacht hat. Ich bin für ihn zu frühe in die Welt gekommen. Die jungen Leute haben niemals so viel liebe zu den Alten, als diese zu jenen. Was für eine mächtige Disposition hatte mein Herz ihn zu lieben, warum hat er diser Neigung nicht aufgeholfen! Dises vergnügen war mir nicht bescheert; ich hatte doch ursach es von ihm zu erwarten. Ich kann izt wissen, wie es einem vater ist, der einen geliebten und wizigen aber nicht sehr widerliebenden und ein wenig ausschweifenden Sohn hat. Villeicht ist es ruhiger keinen zu haben! Und vielleicht hat die vorsehung mir meinen genommen, weil er so würde geworden seyn: Doch ich thu disem geliebten verstorbenen ohne noth und ohne ursach unrecht, daß ich mir dieses von ihm nur in den sinn kommen lasse. Wenn ich meine gute Absicht mit K. nicht erhalten habe, so war es eine strafe, die ich – nicht an Kl. – verdient habe. Im Frieden ist er gekommen, im Frieden, mit allen meinen Wünschen, ist er geschieden; es war ein schöner morgen, und ein ziemlich schöner Abend, aber in den mittlern stunden eine fürchterliche Stille, oder sturmwind und ungewitter. Er hat mir in seinen letzten reden versprochen, daß er mir aus Lübek schreiben wolle. Sie reisen Tag und nacht; und wollen vor dem thauwetter in Kopenhagen seyn. Nach Berlin kommen sie nicht; nach Langensalz gedenkt Hr Kl. auch nicht. Leipzig, Halle, Quedlinburg, Braunschweig, Hamburg. –

Hr Kl. hat mit ein paar worten gegen Hn Breit. gedacht, daß er einen sehr artigen Brief von Hn. Hofp. Sak empfangen hätte. Ich habe das vertrauen zu Hn Kl. gutem, wiewol etwas flüchtigen Herzen, daß eben nicht diser Brief allein seine kurze Rükkunft verursacht habe: Indessen bin ich Hn Hofpr. für seinen starken Brief sehr verbunden. Ich bitte mich Ihm mit behendem Fleisse zu empfehlen. Hr. Klopst. möchte sich zwar noch immer für den beleidigten halten, ob er gleich zu mir zurükgekommen ist, denn in dem brief stehet, er sollte hingehen und thränen der zärtlichsten wehmuth weinen, wenn er auch gleich der beleidigte wäre. Aber ich will lieber glauben, daß er sich besser begriffen hat, oder doch künftig begreifen werde.

Hr. Kl. hat von dem zärtlichen, von dem redlichen Hn past. Heßen nicht Abschied genommen. Wohl hat Hr Rahn dem Hn pastor sagen lassen, die Aussöhnung zwischen B. und K. wäre durch vermittelung Hn Can. Br. so viel als richtig; die gantze Zwistigkeit wäre, wie es izo am tag sey, von lauter NB ungegründeten Verleumdungen entstanden; beyde Rahn und Kl. wünscheten sehr, daß Hr. past. noch einmal in die stadt kommen könnte. –

Allein die üble Constitution des Hr. pfarrers und die herbe jahrszeit liessen disem nicht zu, in die stadt zu kommen. Ich meldete Hn Klopst. daß Hr. Heß mir befohlen hätte ihn in seinem Nahmen zu segnen und setzte etwas von der liebe dises freundes zu ihm, von seiner Aufrichtigkeit – hinzu: aber Hr. Kl. erwiderte nicht ein wort darauf. Alle diese sachen, mein Wehrtester und Liebster Hr. professor, sage ich aber nur ihnen. Ihnen darf ich mein herz offenbaren; ich weiß daß sie keinen übeln Gebrauch davon machen.

Ich habe ihnen den 27 Jenner den Noah und andere dinge durch die post gesandt; den port, den sie davon zahlen, vergute ich Hn director Schuldheiß. Was ich damahls nicht habe beylegen können, das sendete ich vergangenen sonntag durch Hn Klopstok, der es in Leipzig Hn Kitt zustellen wird. Nemlich die Syndflut, Zusätze zum Noah, und D. E. F. von Jacob und Joseph. Ich habe dises gedicht Hn Kl. gezeiget. Es wird gewiß auf die Leipziger Messe kommen. Ich hoffe daß es mir bey Ihrer Frau Liebsten einiges vertrauen zu wege bringen werde. Sie wird mir doch ihre Erinnerungen wegen der zärtlichen stellen im Noah gönnen. Habe ich nicht zu vil gebeten, als ich Sie bat, m. freund, Hn Hofpr. Sak um seine Erinnerungen wegen der theologischen Stellen zu ersuchen?

Es ist etwas seltsames, daß Hr. Klopstok von dem gantzen Noah nicht zwo seiten gehört hat. Er schien mir niemals genug begierig, mich lesen zu hören; über dises bin ich der elendeste Leser; seitdem das Werk so nahe zu der Art Vollkommenheit gekommen ist, die ich ihm geben konnte; und seitdem es abgeschrieben ist, war er ferne von mir.

Es hat mich sehr gewundert, daß Hr. Kl. von hier weggegangen ohne sich die wenigste Mühe zu machen, daß ich ihm den grausamen brief, in welchem er mir alle freundschaft aufgekündigt hatte, zurükliferte. Hätte er mich nicht durch diesen unhöflichen brief gewaltthätig von sich gestossen, so hätte ich niemals aufgehört ihn zu sehen, wiewol ich ihn wegen seiner übrigen aufführung nur als den dichter, und nicht als den Messiasdichter geschätzet hätte. Der gute Mensch ist wol zu mir gereiset, aber es läst sich zweifeln, ob er bey mir angekommen sey. Wenn ich das beste von dem briefe denke, so denke ich, Kl. habe nur die feder geführt, aber Rahn habe dictiert. Hr. Kl. hat bey Hr. Breit. gestanden, daß die Rükfoderung der duplonen, oder, wie ich es stylisirte, die transferirung des deposito auf Rahn, die billigste sache von der Welt gewesen sey, und daß dieses nicht den geringsten widrigen Gedanken bey ihm verursacht habe: Aber was hat ihn denn vermocht den grimmigen brief zu schreiben. Als er den schrieb, muste ich in seinen Gedanken gantz nichtswürdig seyn.

Die Rede gehet, Rahn werde in Kopenhagen mit Hn Kl. Bruder eine Handlung oder Fabrik anfangen. Um dieses Bruders willen habe Kl. vornehmlich in die verbindungen mit Rahnen getreten. –

Wie sehr wünschte ich jezo, daß ich alles, was mir in Kl. Aufführung mit so vielem Recht, wie ich glaube, mißfällig gewesen ist, aus dem Gedächtniß der Menschen auskratzen könnte! Sagen sie nicht mein Freund, daß mein Reden meinem Wunsche widerspreche; oder ich müste glauben daß ich mich betrogen, zu denken, daß in ihrem herzen ein Winkel ist, ein Ort, der jedermann undurchschaubar ist, wohin sie meine Geheimnisse verwahren; sie sind einem felsen anvertraut, wer den zu spalten meint, hat vergebliche Arbeit.

Ich weiß kein wort, wie meine Freunde zu Winterthur Klopstoks Entfernung von mir aufgenommen haben; ich muß fürchten, daß sie mit falschen Erzählungen seyn irre gemacht worden. Sch... mag mir da wol das Wort nicht geredet haben. Was sie einmal von Kl. taftmalerey nach Winterth. geschriben, hat er ihm mot à mot communiciert. –

Ich habe bemerket daß Hr. K. ein grosses vertrauen zu Hn Kramer dißmaligen prediger in Quedlinburg setzet: Wenn sie Gelegenheit finden, so erkundigen sie sich doch um den moralischen Charakter dises predigers. – Ich wünsche daß Ihre Trauer sich über dem Lesen des Noah ein wenig zerstreuen möge. Gerad izt bin ich begriffen etliche von den ertrunkenen antediluvianen, die Raphael in den Himmel führt, zu charakterisieren. Diese stelle gehört ganz in Hn Hofp. SakensJudicatur⟩. Adieu, mon cher ami. Ich erwarte von ihnen doch un mot de consolation wegen Klopst. Ich verbleibe von gantzem Herzen

Ihr getreuer Fr. und Diener B...r.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Eigenhändige Korrekturen

materie gern unberührt
materie ⌈gern⌉ unberührt
zum zweiten und dritten mal
zum zweiten ⌈und dritten⌉ mal
auch sehr gerührt
auch ⌈sehr⌉ gerührt
seine kurze Rükkunft
seine späte kurze Rükkunft
es mir bey
es mich |mi|⌈r⌉ bey
konnte; und seitdem
konnte; ⌈und⌉ seitdem
den schrieb
den geschrieben schrieb

Stellenkommentar

luzernischen priester
Der mit Bodmer und Breitinger freundschaftlich verbundene Bernhard Ludwig Göldlin war Pfarrer am Stadtspital in Luzern, wo ihn Klopstock im Herbst 1750 besuchte und Teile des Messias vortrug. Göldlin übersetzte einzelne Gesänge des Messias auch ins Italienische. Während des Besuches Klopstocks in Luzern kam es zum Bruch mit Bodmer, da Göldlin Klopstock und dem ihn begleitenden Rahn einen Brief zeigte, in dem sich Bodmer über das Verhalten Klopstocks in Zürich beschwerte. Vgl. Klopstock Briefe 1985, Bd. 2, S. 417 f. Der Briefwechsel zwischen Göldlin und Bodmer (ZB, Ms 2.14) brach nach 1750 ab.
die Farbe
Wohnhaus »Hohe Farb« der Familie Rahn, wo Klopstock seit dem Streit mit Bodmer vom September 1750 bis Februar 1751 wohnte. In dem Haus vor der Zürcher Niederpforte befand sich ursprünglich auch die von Johann Heinrich Rahn geführte Färberfirma. Vgl. zur Familie Rahn: Schnyder-Sprofs Familie Rahn 1951, S. 373–402.
asiatischen Compagnie
Der gesamte Überseehandel (insbesondere mit Tee) Dänemarks lag in den Händen der 1732 von König Christian VI. gegründeten Dänisch-Asiatischen Compagnie.
Rükfoderung der duplonen
Vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1750-11-14.html.
Bruder
August Philipp Klopstock, der in Lyngby eine Seidenfabrik betrieb.
Sch...
Johann Georg Schulthess.
mot à mot
Übers.: »Wort für Wort«.
ein grosses vertrauen zu Hn Kramer
Johann Andreas Cramer, Mitbegründer der Bremer Beiträge, war seit 1750 Oberhofprediger und Konsistorialrat in Quedlinburg. Auf Empfehlung Klopstocks berief ihn der dänische König Friedrich V. 1754 als Hofprediger nach Kopenhagen, wo er gemeinsam mit Klopstock die moralische Wochenschrift Der nordische Aufseher herausgab.
un mot de consolation
Übers.: »ein Wort des Trostes«.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann