Brief vom 12. Juni 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 12. Juni 1757

den 12 Junius 57.

Mein wehrtester.

Ich hatte Ihnen den auftrag wegen des fabricanten S. mit einiger schüchternheit gemacht, izt bin ich Ihnen ungemein verbunden daß sie sich dieser sache, die doch extra tuum forum ist, mit solchem Fleisse annehmen. Mein l. Schwager hat die Ehre Ihnen in dem schreiben zu danken in welches diese Zeilen eingeschlossen sind. Er ist schon ein mann, der eine solche gefälligkeit verdienet, und ihren Werth erkennet.

Die schnellen progresse des Königs haben W. schon mehrmals in versuchung geführt, aber der geist der ode hat noch nicht auf ihn kommen wollen. Wir sehen den sieger an für ein Werkzeug in der hand der vorsehung, die potentaten an ihre Menschlichkeit und unterthänigkeit zu erinnern. Bald hoffen wir ihn auch als den gesetzgeber des deutschen R. zu sehen; der ihm eine bessere Consistenz giebt. Es ist nicht zu sagen, wie ihm die Catholischen fluchen, aber die segnungen der protestanten entschädigen ihn reichlich. Der Obriste Lochmann und sein major, Muralt, sind noch immer relegiert. Der Obrist hatte ordre bekommen vor Geldern zu gehen, es blokieren zu helfen. Er wuste damalen daß er destinirt war weiter in Westphalen und bis Hanover zu marchieren. Er refusirte das alles mit vorstellung, daß die Capitulation nur defensio wäre, und das deutsche Reich mit Nahmen ausgedungen wäre. Er hätte stricten befehl von seiner Republik, und das bürgerrecht stühnde ihm und seinen officieren darauf. Er unterredete sich darüber mit diesen, und sie thaten dieselbe Erklärung. Der Prinz von Soubize und Maillebois schrieben nach Hof und an den marquis von Paulmi, der des Maillebois schwager ist. Lochmann berichtete die sache unserm stande, der sein betragen lediglich guthieß, und dem ambassador, der izt zu Versailles ist, dem marquis de paulmy und dem Comte d'Eu solches mit einiger rechtfertigung declarierte. Eh diese 3 briefe zu Paris seyn konnten empfingen wir von Hrn. von Chavigni einen bösen brief, darinn er Lochmans refus für insoutenable giebt und begehrt, daß der stand ihn bestrafe damit der K. es nicht thun müsse. Darauf hat man nicht geantwortet weil man geglaubt, die antwort wäre in den vorbesagten briefen enthalten. Aber auch auf diese briefe ist hingegen bis auf diesen tag nichts antwortendes eingekommen. An statt dessen haben Lochman und Muralt ordre du Roi bekommen nach Lisle und Valenciennes zu gehen, wo sie alle Freiheit haben ausgenommen daß sie ausser der Stadt nicht über nacht bleiben dürfen. Das Regiment ligt izt in der stadt Cöln.

Steinmez hat W. noch nicht geantwortet. Wir meinen seine Erklärungen haben ihm nicht angestanden. W. denkt nicht so viel böses von sich selbst wie dise leute von dem menschen; und das böse dessen er sich selbst beschuldigt sind Vapeurs. Wir könnten den preis der für das Trauerspiel aufgesezt ist, leicht verdienen, aber wir verwerfen dise Richter. Es sind alles Nicolaiten; und von Nicolai stehet im Liede:

Sieben Stentors enthielt er in s. körper und jeder
Von den sieben war schon in den jahren des jünglings ein stentor.

Sie haben die Monima stark gelobt, da sie sagen, sie hätten sie mehr für ein Episodium aus einer Epopöe gehalten. –

Es darf auch heroische Erzählungen geben.

Was denken sie davon wenn W. ein gedicht, eine Epopöe von der Kindheit Jesu schriebe, die göttlicher wäre als des Pater Ceva?

Ich hatte gehoffet der Baron Schoenaich würde unter dem Hrn. Vetter Schmettau einen Fahnen bekommen; und seinen Heldenmuth künftig im feld statt aufm papier anzeigen. Der ArminiusSchönaich hat ihn nicht ein jota gebessert, ich fürchte daß auch ein schönaichvogler ihn eben so wenig bessern würde. Er ist wie von Gottscheds geist abgeschnitten, als seine Helfte.

Hr. stadtschreiber Sulzer, Hr. provisor, Herr Diacon, Hr. Canon. Br. Hr. Wiel. und ich danken für den discurs Academique; einige von uns hätten den Künsten mehr gegeben. Wir sehen ihrem lexicon mit Verlangen entgegen, und doch spornen wir sie nicht, wir wissen wol, daß ein solches werk nicht im schlafe kömmt wie die träume.

Wir wollen die kleine Victoria für einen bonam avem annehmen, wiewol wir einen Victorium oder Victorem erwartet hatten.

Rahn und Meyer sind wider anheimisch und machen ein grosses lob von ihrer Güte, Höflichkeit, Freundschaft.

Ich bin ihr schuldiger für Placii Colombeis. Es ist ein opus juvenile. Munter, der autor des gedichts de Dei Existentia hat mir Judith ein singspiel geschickt, das ohne Geist und Licht ist. Ich habe alle hoffnung von ihm verlohren. Hr. Arnimb hat gewiß müssige stunden. Ich wollte ihm lieber minnegesænge abzuschreiben geben.

Ist es nicht moeglich dass sie dort oder in Leipzig oder Hamburg Mary Jone's Jacob and Rahel a poem für mich bestellen können, von welchem in der britischen Bibliothek so groß gesprochen wird.

Gleich izo habe den sterbenden Adam gelesen, es ist alles πάθος darinnen, aber es fehlet am ἤθος.

Leben sie so vergnügt in ihrem Herzen als es Ihnen gönnt

Ihr Ergebenst. B.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Anschrift

A Monsieur Sulzer professeur tres-celebre à Berlin

Stellenkommentar

Obriste Lochmann und sein major
Vgl. zu den Ereignissen um Ulrich Lochmann und seinem Regiment auch Bodmers handschriftlich überlieferte Ausführungen Das Regiment Lochmann betreffend (ZB, Ms Bodmer 36.11) sowie Höchner Selbstzeugnisse von Schweizer Söldneroffizieren 2015, S. 186–197.
Muralt
Wilhelm Bernhard von Muralt.
göttlicher wäre als des Pater Ceva
Tommaso Cevas Gedicht Jesu Puer von 1690 hat Jesus als Knaben zum Thema.
einen Fahnen bekommen
Schönaich war mit dem preußischen Staatsminister und Oberjägermeister Gottfried Heinrich von Schmettau verwandtschaftlich verbunden.
ein schönaichvogler
Ob Bodmer, wie im Fall des Arminius-Schönaich, auch eine Parodie auf Schönaichs neueren Heldenepos von 1757, Heinrich der Vogler, verfasste, konnte nicht ermittelt werden.
bonam avem
Übers.: »gutes Vorzeichen«.
hat mir Judith ein singspiel geschickt
Balthasar Münters Brief vom 9. Mai 1757 (ZB, Ms Bodmer 4.3.2). Das als Manuskript an Bodmer gesandte Werk ist wohl mit Münters 1759 in Musik gesetztem und gedrucktem Stück gleichzusetzen: Das gerettete Bethulia. Ein geistliches Singgedichte Aus dem Apocryphischen Buche Judith verfasset. Die Musik stammt von Adolf Karl Kunzen.
in der britischen Bibliothek
Anonym, Nachricht von den Lebensumständen und Schriften der Frau Elizabeth Rowe. In: Brittische Bibliothek, 1756, S. 644–671.
πάθος
Pathos.
ἤθος
Ethos.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann