Brief vom 4. April 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 4. April 1757

Zürch den 4. April. 1757

Mein theuerster Freund.

Ich will es an unsern Freunde lassen, Ihnen die neuen stüke von ihrer Arbeit zuzufertigen. Ich selbst habe diese Messe mit nichts belästiget. In den Freymüthigen Nachrichten ist bisweilen ein artikel in welchem ich die hand gehabt habe. Sie können in dem 52sten stücke sehen wie unnütze der pfarrer Füßlin vom Feldheim sich gegen Milton und Miltons verehrer gemachet hat. Er hat es noch ärger machen wollen, aber die Censores der bücher haben ihm die hände gebunden. Wir lassen ihn so rasen. Es giebt leute hier, die es nicht sehr ungern sehen. Er machet sich pedantisch breit mit einer Historie der Catharer, die er geschrieben hat.

Die Rache und die Klage, zwey heldengedichte aus dem schwäbischen Zeitpunkte haben nicht mögen fertig werden. Sobald sie fertig sind, verspricht Hr. Orell den manessischen Codicem unter die presse zu legen.

Ist Ihnen Placii poëma de Columbi navigatione noch nicht in die hände gefallen?

Man sagt uns daß Klopstok vor eine prächtige ausgabe seiner Messiade eine Abhandlung von der biblischen poesie od. Epopöe gegeben habe, die hier nicht gefunden wird. Hr. Canon. Breitinger hat diese Materie schon lange in seinem kopf herum geworfen, ich glaube daß wir bald etwas systematisches darüber von ihm bekommen werden. Wieland hat trauerspiele in gedanken; Panthea, Timoleon, Moses, Zenien, Zenobia. –

Hat die gesellschaft der schönen Wissenschaften den Preis den sie für das beste Trauerspiel aufgesezt hat, ausgetheilt, und wer ist der glükliche Reinhard gewesen?

Wir kennen die kaiserliche Academie der schönen künste nicht, und sehen keine Ursache, daß wir Ihnen oder den schönen Wissenschaften viel gutes von Ihren diensten versprechen könnten.

Der Autor der Idyllen arbeitet an Abel, der III. gesänge bekommen wird. Ich habe sehr schöne stücke davon gesehen. Er wünschete des sel. Hagedorns portrait von Ölfarben zu haben. Haben sie ein solches so lassen sie es für ihn von Hempel oder einem noch geschiktern Mahler copiren. Die Rahme muß 1. 12 Fuß oder 34 Ellen hoch seyn. Er wird sie viel Dank remboursieren

Haben sie noch keine Nachrichten von Munter eingezogen? Er ist aus Lübek, und studiert in Jena; wenn er in gute hände fällt, so kann er wie Wieland werden. Ich wollte gern Nachrichten von seiner Conduite haben.

Ich fürchte, daß Zachariä die Satyren nicht angenommen habe; Hr. Uz, der darinnen angezäpfet wird, ist sein zu guter Freünd. Und doch verdient Uz den Plaz den er da bekommen hat, nur allzuwohl. Ich hätte sehr gern gesehen, daß die sachen in Deutschland wären gedrukt worden, wenn es aber nicht seyn kan, so schiken sie die beyden stücke an unseren Orell als etwas von einem Obersachsen. Ich will dann schon dazu rathen.

Der schuldheiß Wolleb von Basel hat mich mit seinem Antrage einer Aussöhnung mit Gottscheden wider geplaget. Der gute mensch meint, unser Streit sey nur um die primauté, wir wollten jeder gern an dem haupte einer sekte stehen. Er bekümmert sich um das meritum Causæ nicht, und hat keinen begriff von dem Einfluß, den der geschmak auf die sitten hat. Izt sieht er mich als einen feindseligen menschen an. Er hat das wenigste, oder gar nichts von unsern Controversen gelesen.

Ich schike Ihnen die premices von unserm neuen Theologo, damit sie sehen in welche Hände die theologia bey uns gefallen ist. Er machet uns oft eine traurige Comödie.

Ein junger mensch hat ein paar Gesänge der Ilias mit viler geschiklichkeit in Hexameter übersezet. Es ist eben der, welcher Thomsons Frühling übersezet hat.

Wir haben gerne gehört, daß das wörterbuch des geschmakes so stark avancirt. Wir versprechen uns grosse Würkungen davon.

Diesesmal habe ein Exemplar von Wielands Frühling bekommen, der ein andrer als Kleistens ist. Indessen wird er bald wieder neu aufgeleget werden. Haben Sie Wielands Lobgesang auf die Liebe gesehen? Ich glaube ja.

Woher mag es kommen daß Hrn. von Kleist frühling so viel aufsehen gemacht hat. Hingegen Wielands im dunkeln geblieben? Ich glaube, im alten Griechenlande hätte man disem mehr Recht widerfahren lassen. Leben sie so vergnüget als es Ihnen gönnt

Ihr Fr. und Dr.
B.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Einschluss und mit gleicher Sendung

Schrift von Johann Caspar Hagenbuch.

Stellenkommentar

in dem 52sten stücke
[J. K. Füssli], Zweytes Sendschreiben an einen Liebhaber der Geschichten. In: Freymüthige Nachrichten, St. 52, 29. Dezember 1756, S. 411–413.
Historie der Catharer
Vgl. die insgesamt 36 »Sendschreiben an einen Liebhaber der Geschichten« in den Freymüthigen Nachrichten, 1756–1758. Dort kündigte Johann Konrad Füssli eine umfangreiche Ketzergeschichte an und ließ mehrere Kapitel seiner Arbeit abdrucken. Das vollständige Werk erschien allerdings erst ab 1770 in drei Bänden als Neue und unpartheyische Kirchen- und Ketzerhistorie der mittleren Zeit. Vgl. dazu Lavater-Briner Johann Konrad Füssli 2015, S. 157 f.
Rache und die Klage
J. J. Bodmer (Hg.), Chriemhilden Rache, und die Klage, 1757.
eine Abhandlung von der biblischen poesie od. Epopöe
Klopstocks bekannt gewordene Abhandlung Von der heiligen Poesie erschien tatsächlich zunächst nur im ersten Band der prächtigen sogenannten Kopenhagener Ausgabe.
Antrage einer Aussöhnung
Der Basler Schultheiß Emanuel Wolleb hatte 1734 in Leipzig Gottsched und seinen Kreis kennengelernt und blieb fortan einer seiner wichtigsten Anhänger in Basel. Die von ihm angeregte Aussöhnung zwischen Bodmer und Gottsched, der ihm 1758 seine Beobachtungen über Gebrauch und Misbrauch deutscher Wörter und Redensarten widmete, kam nicht zustande.
primauté
Übers.: »Vorrang, Oberhoheit«.
premices von unserm neuen Theologo
Nicht ermittelt, um welche »Anfänge« Hagenbuchs es sich hier handelt. Vermutlich war es die 1757 erschienene Schrift Prolusio subita de verbis dysnoētois I. Ioh. V. versu 6.
ein paar Gesänge der Ilias mit viler geschiklichkeit in Hexameter
Johannes Tobler ließ 1757 seine Übersetzung Thomsons Frühling sowie 1761 Thomsons Sommer drucken. Toblers hexametrische Übersetzungsversuche der Ilias sind ab 1755 unterschiedlich belegt. Seine Übersetzung des Anfangs der Ilias gab Tobler 1784 und 1785 in seinem Parabomios heraus (Bd. 1, 1784, S. 75–83). Vgl. dazu Klopstock Briefe 1985, Bd. 2, S. 415. 1760 erschien zudem Bodmers Vierter Gesang und sechster Gesang der Ilias in Hexametern übersetzt.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann