Brief vom 12. April 1757, von Sulzer, J. G. an Bodmer, J. J.

Ort: Berlin
Datum: 12. April 1757

Mein werthester Herr und Freünd

Weil die Hrn. Mayer und Rahn in 14 Tagen von hier abreisen um gerade nach der Schweiz zu gehen, so verspahre ich bis dahin Ihnen weitläufig zu schreiben. Jezo melde nur daß ich Placcii Gedichte aufgetrieben habe und Ihnen durch bemeldte Gelegenheit schiken werde. Eben diese Hrn. werden auch die hier aufgetriebene Beysteüer für die Minnesinger mitbringen.

Meine Frau hat mir die vierte Tochter gegeben, die die dritte Lebende ist. Ich werde mir alle mögliche Mühe geben dieses Kleeblatt nach dem Muster der Siphaitinnen zu bilden.

Ich habe Hr. Wielands geistliche Oden zwahr mit großem Vergnügen gelesen, aber ich gestehe, daß es hier und da durch allzusehr mahlerische Ausdrüke etwas gelitten hat.

Ich bin Ihnen für den reichen Beytrag zu meinem Wörterbuch, auch Hrn. Wielanden für den seinigen sehr verbunden. Sie trösten mich für den Verlust einer ziemlichen Anzal eigener Artikel, die ich unglüklicher Weise durch ein auf meinem Tische eingebranntes Licht verlohren habe. Aber wie soll ich mich wegen des Verlusts der Larve und des Banquets der Dunse rechtfertigen, welche daßelbe Feüer verzehret hat? Sie trugen mir auf beyde an Hrn. Zachariä zu schiken. Der Brief, der sie begleiten sollte war schon geschrieben. Aber ich hatte noch einige Zweifel. Ich entschloß mich diese Stüke verschiedenen hiesigen Verlegern anzubieten und fand endlich Klütern dazu geneigt. Die beyden Stüke wurden auf meinem Tische hingelegt und sollten den andern Tag abgeholt werden, da der kleine Brand entstand der das eine ganz verzehret und von der Larve nur eine Eke übrig gelaßen. Ich bitte Sie deshalb um Vergebung. Wenn Sie Copien davon haben, so schiken Sie mir sie zu. Ich werde sie sogleich dem Druk übergeben.

Ich werde hier ofte über den Marsch der Schweizer Reg. in franz. Diensten zur Rede gestellt. Hat die Sache nicht können hintertrieben werden?

Der König hat bald ganz Europa gegen sich, und meist alle Sächsischen Regimenter sind aufrührisch worden. Deßwegen verliehren wir den Muth gar nicht. Die unwilligen Sachsen müßen jezo zerstreüt in den alten Regimentern wieder ihren Willen dienen. Machen Sie sich auf anhörung großer Thaten gefaßt. Unsre Armee hat ungleich mehr Muth, als Wiederstand. Der König hat sich erkläret, daß er aus dem seinigen die von den Franzosen eingefoderte Brandschazungen bezalen will und die Gelder sind würklich angewiesen. Welcher König hat für sein Volk so viel gethan? Sie sehen daraus daß es uns an den Nervo rerum hier nicht mangelt.

Der Herr v. Kleist, der Major worden ist neülich tödtlich Krank gewesen, aber nun wieder beßer.

Der König hat in Dreßden Rabnern sehen wollen, dieser wollte Ihm nicht durch den franzosen d'Argens vorgestellt werden und gebehrdete sich so wunderlich, daß die Audienz wieder zurüke ging. Ich bin von Herzen der ihrige

Sulzer

den 12 Aprill.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 5a. – A: ZB, Ms Bodmer 13a. – E: Anonym Über Friedrich den Großen I 1807, S. 359 (Auszug).

Stellenkommentar

die vierte Tochter gegeben
Maria Johanna Victoria Sulzer war am 24. März 1757 geboren worden und verstarb am 21. März 1761.
Siphaitinnen
Die Töchter Siphas (der Züge Sulzers trägt) in Bodmers Epos Der Noah.
Nervo rerum
Vom lat. »Nervus rerum« (wörtl. »Nerv der Dinge«), hier für »Geld« verwendet.
tödtlich Krank gewesen
Vgl. Lessing und Kleist an Gleim, Leipzig, 2. April 1757: »Ich schreibe Dieses in dem Zimmer Ihres Freundes, des Herrn Major von Kleist, und vor seinem Bette. Er liegt bereits den achten Tag an einem Katarrhalfieber krank. Ihre Besorgniß aber unnötigerweise nicht zu vergrößern, setze ich sogleich hinzu, daß er wieder außer Gefahr ist.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 394).
nicht durch den franzosen
Vgl. Rabeners Brief an Gellert vom 18. Januar 1757 (Gellert Briefwechsel , Bd. 2, S. 86).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann