Brief vom 8. Januar 1757, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 8. Januar 1757

Mein wehrtester Freund.

Ich bin Ihnen ganz verpflichtet für die bemühungen mit Hrn. Reich wegen Hr. Heideggers. Man wird den Entschluß directe an Hrn. Reich schreiben. Es scheint man werde den jungen Menschen wegen der Kriegerischen Conjuncturen dises jahr noch hier behalten.

Eben so sehr danke für die bemühung mit der subscription. Ich habe alles Mercantilische dieserhalber Hrn. Dr. Hirzel, und Orell, Buchhändler, überlassen. Darum belieben sie den Erfolg davon an diese leztern zu schreiben. Dabey seyn sie beruhiget daß alle Artikel stricte erfüllet werden sollen; oder ich selbst muß von den ersten betrogen werden.

Sie sagen von einem Renner in der bibliothek des Klosters Heilsbronn; wird Heilsbronn in Schwaben seyn, aber ist ein Kloster in diser Stadt? In der Abtey Santgall ist auch eine Handschrift von den Helden die vor Troja gestritten. Haben sie die güte den Anfang und das Ende des Codicis der königl. bibliothek abschreiben zu lassen. Und lassen sie eben dieses aus Flores und Blanchefleur thun. Man hat uns aus Straßburg einen Codicem mit pergament gelehnt, der seltsame stücke von Gotfrit von strasburc und Cuonrat von Wirzburc enthält, welche beyde wir schon aus der Manessischen Sammlung kennen. Die Erndt wird täglich reicher.

Ich habe auf die Neujahrsmesse durch Einschluß an Vos acht Artikel für ihr Wörterbuch an sie abgefertiget; und Wieland hat den neunten hinzugeleget. Der fryhling dises Freundes hat sich nicht mehr gefunden, man ist aber im Begriffe ihn neu aufzulegen, so wohl als seine Erzählungen. Wir sind mit Gellerts Erzählungen mittelmässig zufrieden, und Gleims Romanzen verweisen wir zu den bänkelsingern.

Es verdrießt mich daß Vos die Larve und das Banket verworfen hat. Vielleicht hat er das ding nicht verstanden, und vielleicht mir schonen wollen. Sie thun mir einen grossen gefallen, wenn sie es irgend zum druk befödern können. Schiken sie es a drittura an Hr. Zachariä, doch ohne mich einzumengen. Ich habe nicht das beste vertrauen zu Hrn. Gleim. Er ist zu zweydeutig gesinnet.

Der Leviathan ist nicht ein Manuscript, er ist gedrukt da, und betitelt: Murnarus Leviathan, vulgo dictus Geltnar oder gensprediger. Murnarus qui et schoenhenselin oder schmuzkolb de se ipso. item Raphaëlis Musæi in gratiam Martini Lutheri et Hutteni, propugnatorum Christianæ et germanicæ libertatis ad osores epistola. Es ist eine blutige satire wider Murner. Thomas Murner, heißt es, et Weddelus causidicus ⟨miseri⟩ ac deplorati illi Lutheromastiges ante paucos dies homines fuere, nunc verò præstigio quodam quod sibi ⟨met⟩ constituerunt demonis cujusdam operā et ⟨incautamentis⟩, cui nomen Plutus, unus in Draconem alius in porcum versus est. Und das ist der Inhalt. Es sind alles 4 bogen. Befehlen sie so lasse ich sie ihnen abschreiben. Melden Sie Hrn. von Arnimb daß er uns, d. i. Wielanden und mir befehle.

Sie glauben nicht, wie ganz hizig unsere bürger und Landleute für den [→]Preussischen Held sind. Jedermann bittet Gott für das glük seiner waffen, und die andächtigsten frauenspersonen so sehr als die wildesten männer. Bern will nicht zugeben, daß das Bataillon so sie in französischen Diensten haben, für auxiliar gebraucht werde; wenn unsers so gebraucht wird; so ist es wider unsere Intention, und wir werden es gerne wehren, wenn wir können. Wenn mans ruinieren will, so muß man es über Rhein schiken.

Die Eidsgenossen haben das glück, daß ihnen keine partey nachwirbt. 1630. ward von allen seiten um sie gebuhlet, sie mit einzuflechten.

Wir verlassen uns sehr auf die vorsicht, und auf eine besondere Vorsicht die über dem preussischen König waltet.

Izt habe ich noch einen absonderlichen Auftrag zu welchem ich durch einen von meiner Frauen Brudern, der ein Kaufmann ist, ersucht werde. Er hat seit kurzem einen Correspondent bekommen an Hrn. Samuel Ernst Schwarz in Berlin. Dieser hat zum theil, zum theil verlangt er, für 3–4000. Reichsthlr. seidener waaren. Mein schwager hat sich von ihm informirt und gute berichte erhalten: Er wünschte aber zu seiner mehrern beruhigung noch mehrere, und weil er weiß daß ich Ihre bekanntschaft habe, so hat er mich sehr gebeten mich durch sie zu erkundigen, wie es um die facultäten und die handlung Hrn. Schwarzen bewandt seyn möchte. Ich glaube sie werden schon gelegenheit finden, nachrichten davon einzunehmen. Sie verpflichten mich und noch einen braven mann mehr. Also bitte dises baldmöglichst zu effectuiren und mir die bemühung in meine übrige Rechnung zu schreiben.

Wir haben einen Theologum verlohren, und einen Literatorem bekommen.

Ihr allezeit ergebener und
wahrer aufrichtiger Diener
Bodmer

Zürch den 8ten Januar 1757.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Stellenkommentar

Flores und Blanchefleur
In der Berliner Königlichen Bibliothek (heute Staatsbibliothek zu Berlin) befindliche Handschrift Florens und Blanchefleur (SBB, Ms. germ. fol. 18) aus der Werkstatt von Diebold Lauber.
uns aus Straßburg einen Codicem
Wahrscheinlich über den Straßburger Professor, Philologen und Sammler Johann Daniel Schöpflin, der mit Bodmer und Breitinger im Briefwechsel stand (ZB, Ms Bodmer 4c.15 u. 22.32).
mit Gellerts Erzählungen
Bodmer bezieht sich hier wohl nicht auf die Ausgabe der Fabeln und Erzählungen, sondern auf Gellerts neuere Lehrgedichte und Erzählungen, 1754. – [J. W. L. Gleim], Romanzen, 1756.
Preussischen Held
Friedrich II. von Preußen.
1630. ward von allen seiten um sie gebuhlet
Anspielung auf die Rolle der Eidgenossenschaft im Dreißigjährigen Krieg. Trotz zahlreicher Versuche, u. a. vom schwedischen König Gustav Adolf, die Schweiz einzubinden, konnte sie sich aus den militärischen Aktionen weitgehend heraushalten.
einen Correspondent bekommen
Der Kaufmann Samuel Ernst Schwarz, der wegen dubioser Geschäfte in verschiedene Auseinandersetzungen verwickelt war.
einen Theologum verlohren
Johann Jakob Zimmermann verstarb am 30. November 1756. Sein Nachfolger als Chorherr und Professor für Theologie am Carolinum wurde Johann Caspar Hagenbuch.

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann