Brief vom 18. Juli 1753, von Bodmer, J. J. an Sulzer, J. G.

Ort: Zürich
Datum: 18. Juli 1753

Ihr wehrtestes vom 30 März ist das letzte, das ich von Ihnen empfangen. Auf den Brief, den ich mit den Meßleuten an Sie geschikt habe, und der mit einem Exemplar der Abhandlung vom Noah begleitet, bin ich ohne antwort. Zu diesem stillschweigen hatte mich schon der Eingang Ihres Letzteren vorbereitet. Gott gebe daß sie bald von ihren baugeschäften und ihren Voltärischen sorgen erlöst werden. Voltaire hat die ungebetene gütigk. gehabt und mir l'art de bien argumenter durch die post gesandt, nebst einem burlesquen billet. Profess. König schiket mir seine sachen auch. Diese Herren glauben daß alle welt sich in ihre Händel interessiere. Unser Hr. provisor wird izt bey Hn König seyn, oder wol schon nach Hamburg verreist seyn. Seine Excursion von Calais nach London war ganz kurz. Durch ihn verhoff ich anecdote von der amourette des Poeten zu erhalten. Klo. hat mir nicht mehr geantwortet. Man schreibt mir er habe vorm jahr in Hamb. spent several weeks only in the compagny of Miss Moller always attending and worshipping his idol. Gleim hat mir nicht ein gutes wort für den Noah, den ich ihm mit einem freundschaftl. briefe zugesandt, gegeben. Dennoch versichert mich Hr. von Kl... aus Potsdam am 22 May auf seine Ehre, daß Gl... Kramer, Giseke, voll Hochachtung gegen mich sind. Sie unterscheiden vermuthlich zwischen mir und dem Verfasser des Noah. Er füget aber auch hinzu, es werde diesen herren fremde dünken, daß Wieland, Gleimen und Ramlern p. in der Abhandlung vom Noah angegriffen habe. Man wisse aber auch daß ich ihn nicht dazu veranlasset habe. –

Aber was wäre es denn wenn ich ihn veranlasset hätte, etliche gute satyrische traits auf gewisse bandes joyeuses looszuschiessen. In der syndflut sind etliche Verse auf die Gessnerische nacht, welche der und diser auf sich ziehen kann. Diese herren hatten die morale gar zu übel gemißhandelt. –

Gessner hat mir das erste stük des Schachspiels gezeiget; was für eine vermischung der buchsbäume, von männchen, der Götter und der Menschen! Alle werden in eine welt gesezet. Kein wunder, daß der Noah denen nicht gefällt, welche solche ausschweifungen loben! Haller ist ganz ein Berner geworden. Göttingen ist ihm ein Ekel. –

Hr. von Hagedorn fährt fort mich zu lieben, wiewol ihm der Hexameter nicht recht ligt. Es thut mir wehe, daß man in meinen gedichten nur den Hexameter siehet. Sein Epigramma auf mein portrait ist mir ein besserer Zeuge von seiner Freundschaft, als von seiner Erkenntniß. Ich will doch ungleich lieber so gelobt werden, als er selbst in den stances vom baron de Bar gelobt wird; wenn das nicht vielmehr der ärgste Tadel ist. –

Dise vier wochen ist Hr. Le maitre oder Meister, der französische prediger von Erlang hier gewesen. Doctor Schmiedel war mit ihm. Hr. Meister ist ein alter vertrauter ob ich gleich nicht an seine Gottseligkeit hinaufsteige.

Hätte ich izo einen spiritum familiarem zu meinem Dienste so sollten sie heute noch die Zulica, die Briefe der abgestorbenen, die Wiederkunft Jacobs, die syndflut und andere stüke haben, die würklich aus der presse sind. Ich sehe keine gelegenheit sie vor der Michelismesse zu überschiken. Aber dann sollen sie auch die Colombona, die Dina, den geprüften Abraham, den Parcival – haben. In drey wochen kommen alle diese stüke an das licht. Der Parcival ist ein gedicht in der dicht- und denkart der zeiten Wolframs von Eschilbach. Wenn mich keines von disen stüken mit den deutschen versöhnet, so renoncier ich de grand coeur auf ihren beifall. –

Ich denke wol Sie, mein wehrtester, werden für mich erschreken, da sie vernehmen daß ich so vil episches zeug publiciere. Ich behalte indessen mein gutes gewissen, und wenn diese werke ihnen künftig mißfallen, so gestehe ich ohne pein und marter, daß ich gerne besser geschrieben hätte. Dabey würde mich verdriessen, daß nicht mehr andere eben so schlecht, in meiner Art von schlechter poesie, schreiben, denn ich kann nicht leugnen daß diese schlechte Dichtart mir vil vergnügen machet. Der gepryfte Abraham ist Wielands werk, und nach meinem sinne, nur nicht orientalisch genug, geschrieben. Es ist kaum möglich daß meine zwo tragödien, der keusche Joseph, und die Erkennung Josephs auf die Michelismesse herauskommen.

Wenn das Gebet eines Freygeists ex persona geschrieben ist, so ist ein Freygeist ein rasender Mensch der ins tollhaus gehört. Hier hatten wir von einem Freigeist den begriff, daß er ein Deist sey. Unser W. hat ein Gebet eines Deisten geschrieben, und gedenkt es zu publicieren, welches nicht aus blossen figuren bestehet. Klo. sollte sich nicht an Metaphysische, logischematerien machen, oder die Metaphysik, die Logik, die er so herzlich verachtet, werden sich an ihm rächen. W. ist unser nun sehr wol gewohnt. Hr. Br. ist sein held. Er kennet und besucht nur meine besten freunde. Er verachtet die jungen verführer nur schier zu viel. Er hat den kleinen Schuldheiß nicht sehen wollen, der ex professo gekommen war, dieses monstrum hominis, wie er sagte, zu sehen. Hingegen sind diese herren ihm spinnefeind. Dr. H...l siehet mich nicht mehr, er geniesst das leben so, wie der genuß des lebens in den trinkliedern gelehrt wird. Sie haben von Hr. von Kl. das Est mihi propositum in tabernā mori sehr gut gelernet. Dieser Hr. hat auch dem Geßnerchen geschrieben, sehr zärtlich. Geßner hat mir den brief vorgelesen. Ich hatte gemeint, daß er das leere in diesen Köpfen besser bemerket habe. –

Wie herzlich gönne ich Ihnen die ambrosischen stunden bey dem Hrn. provisor. Vielleicht bin ich dann in der gestalt Jacobs, Colombos, und Parcivals bey ihnen. – Bey mir wird Wieland noch eine zeitlang bleiben, vielleicht über den Winter. Er grüsset Sie mit vieler Ehrfurcht und ich grüsse die Frau professorin mit zärtlicher freundschaft und verharre mit wahrer Ergebenheit

Ihr aufrichtiger
Bodmer

d. 18 Julii 1753.

Überlieferung

H: ZB, Sign.: Nachlass Ms Bodmer 12a.

Vermerke und Zusätze

Vermerk Sulzers auf der ersten Seite: »18 Jul. 53«.

Stellenkommentar

einem burlesquen billet
Das 1753 erschienene achtseitige Heft L'art de bien argumenter en philosophie, réduit en pratique par un vieux capitaine de cavallerie, travesti en philosophe bestand aus zwei Briefen, in denen eine von Maupertuis geäußerte Morddrohung an Voltaire fingiert war. Die Streitschrift Voltaires ging auf seine Freundschaft mit dem französischen Literaten La Beaumelle zurück, die Voltaire zufolge wegen Maupertuis' Verleumdungen scheiterte. Das von Voltaire geschenkte Exemplar befindet sich in Bodmers Bibliothek (ZB, Sign. 25.536,3). Das Begleitbillet ist offenbar nicht erhalten.
Profess. König schiket mir
Samuel Königs Schreiben nicht ermittelt.
Unser Hr. provisor
Martin Künzli.
Man schreibt mir
Zitat aus einem Mitte Mai 1753 entstandenen Schreiben Friedrich von Hagedorns an Bodmer (Hagedorn Briefe 1997, Bd. 1, S. 363).
versichert mich Hr. von Kl...
Kleists Brief vom 22. Mai 1753: »Es wird ihnen also etwas fremde dünken, wenn sie sehen werden, daß Herr Wieland Gleim, Ramlern u.s.w. im vertheidigten Noah angriff. Indessen hat dieses nichts zu bedeuten. Man wird es dem Herrn Wieland seiner guten Absichten wegen nicht übel nehmen, und man weiß, daß Ew. Hochedelgeb. ihn dazu nicht veranlasset, sondern daß er es aus eigenem Triebe gethan.« (Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 236).
daß Wieland, Gleimen und Ramlern
Vgl. C. M. Wielands Kritik an Gleim und Ramler in seiner Abhandlung von den Schönheiten des Noah, 1753.
vermischung der buchsbäume
Ramlers Schachspiel beginnt mit den Worten: »Ich singe Schlachten und Krieg, und gedrechselte Völker von Buchsbaum«.
Epigramma auf mein portrait
F. v. Hagedorn, Ueber das Bildniß des Herrn Professor Bodmers, Mitgliedes des großen Raths zu Zürich, 1752: »In dieser Bildung herrscht der schöpferische Geist,/ Der neuen Witz und Muth im Noah uns beweist./ Sein Auge lebt und denkt, und weissagt Meisterstücke./ Wie reizt mich's, daß ich hier auch einen Freund erblicke,/ Der mich so lange liebt, und daher fast vergißt,/ Daß meine Dichterei dem Reim noch dienstbar ist!« (F. v. Hagedorn, Sämmtliche poetische Werke, 1757, Bd. 1, S. 85).
stances vom baron de Bar
[G. L. von Bar], Stances à Monsieur de Hagedorn, 1753.
Hr. Le maitre oder Meister
Zu Johann Heinrich Meister vgl. Kommentar zu Brief letter-bs-1749-02-20.html. Bei Meisters Begleiter handelte es sich vermutlich um den Botaniker und Naturforscher Kasimir Christoph Schmidel.
die Wiederkunft Jacobs
Bodmers 1753 entstandene kurze Erzählung in Hexametern Jacobs Wiederkunft von Haran. Ein Gedicht.
die Dina
Bodmers Kurzepos Dina und Sichem. In zween Gesængen.
Gebet eines Freygeists
F. G. Klopstock, Drey Gebete eines Freygeistes, eines Christen und eines guten Königs, 1753.
W. hat ein Gebet eines Deisten geschrieben
Wieland ließ den Gegenentwurf unter dem Titel Gebet eines Deisten mit der Ortsangabe Berlin drucken. In Zürich war ihm der Druck verweigert worden.
Hr. Br.
Breitinger.
Est mihi propositum in tabernā mori
Übers.: »Mein Begehr ist in der Kneipe zu sterben«.
dem Geßnerchen geschrieben
Kleist an S. Geßner, Potsdam, 16. Mai 1753 (Universitätsbibliothek Leipzig, Slg. Nebauer/L/Ha-Le/L 352. Abgedr. in: Sauer (Hrsg.) Briefe von Kleist 1880, S. 234–236).

Bearbeitung

Transkription: Jana Kittelmann und Baptiste Baumann
Kommentar: Jana Kittelmann